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ARTIKEL/426: Der Einfluß der Pharmaindustrie im Gesundheitswesen (Teil 3) (IPPNWforum)


IPPNWforum | 121 | 10
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Alles nur gekauft? Studien und Fortbildung
Der Einfluss der Pharmaindustrie - Teil 3

Von Dr. Joachim Both


Die Bundesärztekammer verlangt: "Sponsoring ist transparent zu machen. Der Sponsor darf nach Form und Inhalt Weiterbildung nicht beeinflussen. Die Verbindungen von Referenten zur Industrie müssen offen gelegt werden."


Von Fortbildungen über den Wissenschaftsbetrieb bis hin zu Studienpublikationen in Fachzeitschriften - überall lässt sich unschwer die Handschrift der Pharmaindustrie erkennen, ihren Selbstverpflichtungserklärungen zum Trotz. Alternative Ansätze gibt es, sind aber nicht die Regel und fordern ein Umdenken.


Fort- und Weiterbildung

Das Institut für Epidemiologie und Sozialforschung Hannover hat eine systematische und detaillierte Literaturübersicht zum Sponsoring der Industrie in den vergangenen 10 Jahren erstellt. Darin sind 22 meist englischsprachige, aber auch einige deutsche Studien aufgeführt.

Wieder einmal ist es der Wahrnehmungsbias, der überrascht: Bei Umfragen unter Radio-Onkologen hielten 66% Pharmainformationen nützlich für ihre Fortbildung. Dabei sahen lediglich 5% einen möglichen Einfluss auf ihr Rezeptierverhalten, hielten aber 33% ihrer Kollegen für beeinflussbar. In einem andern Fall wurden 487 englischen Klinik- und Hausärzten befragt. Etwa die Hälfte gab an, Zuwendungen durch die Industrie erhalten zu haben. Davon erkannten immerhin 40% einen Interessenkonflikt, gleichzeitig beanspruchten aber 86%, immun gegen Beeinflussbarkeit zu sein.

Die Bundesärztekammer verlangt: "Sponsoring ist transparent zu machen. Der Sponsor darf nach Form und Inhalt Weiterbildung nicht beeinflussen. Die Verbindungen von Referenten zur Industrie müssen offen gelegt werden." Mit der gesetzlichen Einführung zur Weiterbildungspflicht 2003 wurde im Sozialgesetzbuch zudem ausdrücklich festgehalten, dass Fort- und Weiterbildung frei von wirtschaftlichem Einfluss zu erfolgen haben.

Trotz dieses Verbots manipulieren Pharmakonzerne aber Ärzte-Fortbildungen. "Es ist eine Produktwerbung und schlimmer als Werbung, denn sie ist getarnt als Fortbildung", erklärte Prof. Peter Sawicki, (Noch-)Leiter des IQWiG, dazu schon 2007 in der Fernsehsendung Panorama. Mit der gesetzlich geforderten Fortbildung besteht bei den Landesärztekammern neben deren Zertifizierung eigentlich auch die Pflicht, diese auf ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit hin zu überprüfen. In derselben Sendung gezielt befragt, gab Dr. Koch, Präsident der Bayerischen Ärztekammer unumwunden zu, damit personell überfordert zu sein.

Noch weniger werden zahllose Internetportale kontrolliert, die zumeist von der Pharmaindustrie direkt oder indirekt unterhalten werden. So haben die großen Konzerne eigene Portale, bei denen man allein durch Einloggen mit seiner Arztnummer die begehrten Weiterbildungspunkte erhält. Trotz des aufwendigen Auftritts wird hier niemals Geld verlangt - seltsam?

Prof. Mueller-Oerlinghausen, langjähriger Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, meint hierzu: "Warum wir Fortbildung umsonst bekommen müssen, warum Akademien für Ärztliche Fortbildung sagen müssen, ohne pharmazeutische Industrie geht es überhaupt gar nicht, hat mir nie eingeleuchtet."

Das Fazit kann nur lauten: die Ärzteschaft muss für den Umgang mit der Industrie besser sensibilisiert werden. So gibt es industrieunabhängige Angebote, aber schon während des Medizin- und Pharmaziestudiums wird man durch Kursangebote an die Pharmaindustrie herangeführt. Wichtig ist daher ein frühes, gezieltes Gegensteuern gegen die Pharmasozialisation. Solche Vorschläge samt Curricula wurden von der WHO schon vor längerem erarbeitet; in Berlin sollen sie im kommenden Semester erstmalig angeboten werden.


Medizinische Fachliteratur

Zu Arneimitteln existieren unterschiedliche Informationsquellen. Zum Zeitpunkt der Zulassung eines neuen Medikaments liegen grundsätzlich nur dem entsprechenden pharmazeutischen Unternehmen sowie den Zulassungsbehörden (z.B. EMEA in Europa, FDA und den USA) sämtliche bis zu diesem Zeitpunkt erhobenen Informationen vor, insbesondere zum Wirksamkeitsnachweis. Diese Informationen, speziell die Rohdaten, sind der Öffentlichkeit nicht in vollem Umfang zugänglich. Die Fachöffentlichkeit wird dagegen in medizinischen Fachzeitschriften informiert, in denen mehr oder weniger unabhängige Forscher daraus Studien zu einem neuen Medikament veröffentlichen. Wissenschaftler der University of California haben untersucht, inwieweit diese beiden Formen von Studien übereinstimmen. Sie untersuchten den Zeitraum 2001 und 2002 und fanden, dass die Informationen für die Fachöffentlichkeit weitgehend unvollständig und verzerrt waren. So wurden längst nicht alle Zulassungsstudien veröffentlicht.

Allerdings: Je positiver der Outcome, desto eher wurde die Studie auch veröffentlicht. 47% der negativen Ergebnisse wurde dagegen nicht publiziert. 4 Studien mit negativem Outcome erschienen sogar als positiv, einfach durch Veränderung der statistischen Signifikanzwerte. Eine andere Gruppe konnte 2008 aufzeigen, dass von 74 an die FDA eingereichten Studien 31% nicht nach Außen veröffentlicht wurde. Obwohl bei den eingereichten Studien nur 51% positiv abschnitten, ergaben in der Fachliteratur 94% aller Studien ein positives Bild.

Ein neuer Trend macht die Willkür bei der Interpretation der Ergebnisse noch deutlicher: Firmen lassen ganze wissenschaftliche Artikel von Ghostwritern verfassen. Bezahlte "Meinungsführer", in der Regel bekannte Chefärzte und Professoren, geben dafür dann ihre Namen, eine Win-Win Situation für alle - außer den Patienten. Laut Aussagen des dänischen Cochrane Centers sollen in bestimmten Medien bis zu drei Viertel aller Publikationen so zustande kommen. Diese Erkenntnisse erscheinen von weitreichender Bedeutung. Da es sich stets um neue, also patentgeschützte und daher sehr teure Mittel handelt, sogenannte Blockbuster, wird für diese Art der Patientengefährdung auch noch sehr viel Geld ausgegeben.

Ein erschreckendes Beispiel aus dem letzten Jahr: Oseltamivir, besser bekannt als Tamiflu und angeblich wirksam gegen Schweinegrippe und Vogelgrippe wurde allein in Deutschland nach massivem öffentlichen Druck in einem Umfang von mehreren 100 Millionen Euro eingelagert. Eine Cochrane Gruppe fand heraus, dass von 10 Studien zum Medikament nur 2 vollständig veröffentlicht worden waren. Eine der Studien war von einem Ghostwriter, alle anderen bis auf eine einzige waren von Wissenschaftlern verfasst, die von La Roche bezahlt wurden. Welchen Nutzen haben solche Studien außer den für den Hersteller?

Die großen, renommierten Fachzeitschriften haben 2004 beschlossen, keine Studien mehr zu publizieren, die nicht zuvor in dem zentralen Register der USA oder GB angemeldet wurden. In den USA ist es seit 2008 Gesetz, klinische Studien vor Beginn zu registrieren und die Ergebnisse im Internet zu veröffentlichen. Davon ist Deutschland weit entfernt. Zwar gibt es Ansätze zu einer zentralen Registrierung und einzelne Fachzeitschriften haben sich dieser Forderung angeschlossen, u.a. das Deutsche Ärzteblatt. Alles basiert aber auf freiwilliger Basis.

Dennoch scheint die Thematik langsam bei der Ärzteschaft anzukommen. So wurde 2009 eine Untersuchung vorgestellt, mit der die Arzneimittelkommission (AKDÄ) vom Ärztetag beauftragt worden war. Deren Übersichtsarbeit für die Zeit von 2002 bis 2008 bestätigte, dass von der Pharmaindustrie in Auftrag gegebene Studien deutlich günstigere Ergebnisse im Sinne des Herstellers erbringen. Das entspricht im wesentlichen den Befunden in einem Sonderheft 326 des BMJ.

Vor solch erschreckendem Publikations-Bias der Fachliteratur können wir nicht wissentlich unsere Augen verschließen. Neben einer bereits vom IQWiG geforderten europaweit gesetzlich geregelten Registrierungspflicht, müssen auch Mittel und Wege gefunden werden, medizinische Forschung und insbesondere klinische Studien wieder zurück in die öffentliche Verantwortung zu holen.

Das hohe Gut der Patientensicherheit steht auf dem Spiel. Enorme Summen an Versichertenbeiträgen könnten eingespart und besser verwendet werden. Alternativen zum heutigen System aufzuzeigen, könnte ein weiteres spannendes Thema sein.

Dr. Joachim Both, IPPNW Berlin Interessenkonflikt: keine Rückfragen: jboth@arcor.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Von zehn Studien zu Tamiflu sind nur zwei vollständig veröffentlicht worden. Eine der Studien war von einem Ghostwriter, alle anderen bis auf eine einzige waren von Wissenschaftlern verfaßt, die von La Roche bezahlt werden. Welchen Nutzen haben solche Studien, außer für den Hersteller?

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Quelle:
IPPNWforum | 121 | 10, März 2010, S. 8 - 9
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Anschrift der Redaktion: IPPNWforum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Dezember 2010

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