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SCHMERZ/538: MBSR - eine alternative Möglichkeit zur Bewältigung von Schmerzen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2010

Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) nach Jon Kabat-Zinn
Eine alternative Möglichkeit zur Bewältigung Schmerzen

Von Harald Lucius


MBSR hat sich in der Schmerztherapie in Deutschland noch nicht durchgesetzt. Dr. Harald Lucius gibt eine Einführung in das Thema.


1979 gründete Dr. Jon Kabat-Zinn an der Massachusetts Medical School in Worcester/USA die Stress Reduction Clinic. Dort entwickelte er in den folgenden Jahren das Programm der Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) und begann dieses an seine Schüler und zunehmend auch an Patienten weiterzugeben.

Im Laufe der Entwicklung des MBSR (zu deutsch: Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion) - "Konzepts" wurde die Methode in den USA an tausenden von Schülern, Klienten, Patienten, Ärzten und andere in der Verantwortung für Menschen Tätigen erprobt. Es entstanden zahlreiche Einrichtungen an verschiedenen Kliniken sowie Zentren und Schwerpunktinstitute zu Forschungszwecken.

Nach Europa gelangte MBSR vor etwa 15 Jahren. In Deutschland gibt es inzwischen ein "Institut für Achtsamkeit" in der Nähe von Köln und einen Forschungsschwerpunkt an der Universitätsklinik Freiburg. Weitere Zentren, medizinische Einrichtungen und wissenschaftliche Arbeitsbereiche bestehen in Köln, Erfurt und München sowie im Klinikum Essen Mitte in der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin.


Was Achtsamkeit nicht ist: Achtsamkeitsübungen nach MBSR sind nicht etwa ein "neues Konzept". Es handelt sich nicht um eine Therapie im eigentlichen Sinne, spirituell-religiöse Ausrichtungen sind für das Training nicht erforderlich und MBSR hat nicht primär mit buddhistischen Parktiken zu tun. Andererseits wurzeln wesentliche Bestandteile im Zen und in der Vipassana-Meditation. Achtsamkeit hat nicht vor allem mit Konzentration zu tun - es handelt sich eben nicht nur um eine Fokussierung von Aufmerksamkeit und damit eine Begrenzung, Beschränkung oder Zuspitzung. Es geht auch nicht darum, die Übungen richtig oder falsch zu machen.

Was Achtsamkeit ist: Achtsamkeit ist eine (geistige) Einstellung und Haltung, in der man sich um ein breites und gleichmütig annehmendes Achten auf alle Phänomene bemüht. Dies bedeutet, alle aufkommenden Empfindungen und Wahrnehmungen mit einer gelassenen Akzeptanz zu "betrachten", ohne sie verändern, beeinflussen oder auch loslassen zu wollen. Es geht um Wahrnehmung, um das Registrieren von Aspekten, die "im Bewusstsein" auftauchen und wieder verschwinden. Hierzu zählen Gedanken aller Art, Emotionen, Erinnerungen, Bilder, auch direkte Sinneswahrnehmungen aus der Umgebung oder dem Körperinneren, emotionale Vorgänge und die Grundsinne Hören, Riechen, Tasten/Fühlen, Sehen und Schmecken. Regelmäßiges Üben ermöglicht ein offenes Wahrnehmen von Phänomenen und letztlich im Optimalfall ein beständiges Gewahrbleiben nach dem Grundsatz: Ein Buddha ist ein Mensch, der 24 Stunden am Tag in Achtsamkeit lebt (Thich Nhat Hanh). Der tibetische Lama Chögyam Trungpa hat diese Geisteshaltung als Panoramabewusstsein bezeichnet. In der buddhistischen Praxis ist Achtsamkeit das siebte Glied des achtfachen Pfades, die dritte der fünf Fähigkeiten und der erste Aspekt der sieben Faktoren des Erwachens.

Achtsamkeitsbasierte Verfahren haben inzwischen eine gewisse Tradition z.B. als Bestandteile psychotherapeutischer Verfahren und sind wissenschaftlich gut untersucht. Aspekte der Mind-Body-Medicine, die dialektisch-behaviorale Therapie und die im Zuge der Etablierung des MBSR/Achtsamkeitstrainings durch das "Institut für Achtsamkeit" in Rommerskirchen geförderte Entwicklung der aus den USA stammenden Mindfulness-Based Cognitive Therapy (MBCT) sind ebenfalls Teil psychotherapeutischer Therapiekonzepte.

Achtsamkeit in der Schmerztherapie: In der Schmerztherapie konnte sich MBSR vor allem im schulmedizinischen Umfeld hierzulande leider noch nicht recht durchsetzen. Nach Kabat-Zinn besteht Schmerz aus physischen, seelisch/geistigen und kognitiven Anteilen, von denen der physische Anteil am schlechtesten zu beeinflussen sei, wir hingegen mit Hilfe des Achtsamkeitstrainings lernen können, seelische und kognitive Faktoren zu erfassen und mit ihnen umzugehen, um dadurch den eigenen Leidensdruck des "körperlichen Schmerzes" zu vermindern. Es gibt inzwischen eine Reihe von interessanten Studien zur Wirksamkeit des Achtsamkeitstrainings vor allem bei fuktionellen Schmerzsyndromen wie chronischen Rückenschmerzen, dem Fibromyalgiesyndrom und Kopfschmerzen vom Spannungstyp, aber auch zu Krebserkrankungen und zur Polyneuropathie liegen Daten vor. Dabei kommt es neben dem "Training" vor allem auf den achtsamen Umgang mit Phänomenen des Alltags an. Weitere Informationen können einschlägigen Weblinks unter dem Kürzel "MBSR" entnommen werden.

Achtsamkeit als Praxis: Ein Achtsamkeitstraining besteht entweder aus einem Acht-Wochen-Kurs, der in Form von abendlichen Zwei- bis Drei-Stunden-Übungen einmal wöchentlich sowie einem ganztägigen Achtsamkeitstag abgehalten wird. Angeboten werden darüber hinaus Jahrestrainings.

Zur Zeit finden derartige Kurse in Schleswig-Holstein nur vereinzelt an wenigen Orten statt.


Ein Achtsamkeitskurs hat drei inhaltliche Schwerpunkte:

1. Den sogenannten Bodyscan, eine angeleitete Körpermeditation

2. Verschiedene Übungen zur achtsamen Körperarbeit, die der Tradition des Hatha-Yoga entlehnt sind. Auch QiGong oder TaiQi eignen sich gut.

3. Die dritte Praxis, welche sich an Zen-Übungen und der hinduistisch-buddhistischen Vipassana-Tradition orientiert. Hierbei handelt es sich um eine Sitzmeditation, die bei Bedarf im Wechsel mit Geh- und Stehmeditationen durchgeführt werden kann.

"Die Schönheit der meditativen Arbeit liegt darin, dass wir auf die Praxis selbst vertrauen können, um uns aus dem Schlamassel zu führen. Sie hält uns auf dem Pfad, selbst in den dunkelsten Momenten; sie stellt sich selbst unseren fürchterlichsten Geisteszuständen und äußerlichen Bedingungen. Sie erinnert uns an unsere Möglichkeiten" (Jon Kabat-Zinn)


Weblinks:
www.mbsr-deutschland.de
www.institut-fuer-achtsamkeit.de
www.umassmed.edu/cfm/mbsr/
www.mbsr-freiburg.de

Buchtipps zum Einlesen:
- Gesund durch Meditation, Jon Kabat-Zinn, Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2006
- Im Alltag Ruhe finden, Jon Kabat-Zinn, Herder Verlag, Freiburg 1998
- Zerbrochen und doch ganz - die heilende Kraft der Achtsamkeit, Saki Santorelli, Arbor Verlag Freiamt/Schwarzwald 2006
- Gut leben trotz Schmerz und Krankheit, Vidyamala Burch, Goldmann/Arkana, 2009


Dr. med. Harald Lucius
Arzt für Neurologie und Psychiatrie, spez. Schmerztherapie, Chirotherapie, Akupunktur
Leiter der Schmerzambulanz am Schlei-Klinikum Schleswig / FKSL
Am Damm 1, 24837 Schleswig
www.schlei-klinikum-schleswig-fksl.de


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201006/h10064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Juni 2010
63. Jahrgang, Seite 57
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2010