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INFEKTION/1103: Zoonosen und lebensmittelbedingte Infektionen gemeinsam bekämpfen (FR)


ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz 2/2009
Die Zeitschrift des Senats der Bundesforschungsanstalten

Zoonosen gemeinsam bekämpfen Europäisches Netzwerk Med-Vet-Net erforscht Zoonosen und lebensmittelbedingte Infektionen

Von Karin Schlesier, Tanja Burgdorf, Heidi Spitznagel, Burkhard Malorny, Reimar Johne, Alexandra Fetsch, Angela Körner, Kasten Nöckler, Thomas Alter, Bernd Appel und Annemarie Käsbohrer (Berlin)


Hunderte von Bakterien, Viren und Parasiten werden vom Tier auf den Menschen übertragen - häufig über Lebensmittel. Die Krankheiten, die diese Erreger auslösen, nennt man Zoonosen, und die Zahl der Krankheiten ist in den letzten Jahren gestiegen. Im Forschungsnetzwerk Med-Vet-Net arbeiteten über 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Verhütung und Bekämpfung von Zoonosen und lebensmittelbedingten Krankheiten. Das Bundesinstitut für Risikobewertung, der deutsche Partner des Netzwerks, erforschte im Rahmen des Projektes unter anderem Bakterien in Hähnchenfleisch, Parasiten im Schweinefleisch und Viren in Wildschweinfleisch.


Bevor Med-Vet-Net im September 2004 seine Arbeit begonnen hat, arbeiteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf ihren Gebieten oft isoliert von den jeweils anderen Fachbereichen. Um die Forschung im Bereich der Verhütung und Bekämpfung von Zoonosenzu verbessern und zu verzahnen, finanzierte die Europäische Union im Rahmen des 6. Rahmenprogramms für fünf Jahre das Projekt Med-Vet-Net, das Veterinärmedizin, Humanmedizin, Lebensmittelwissenschaften, Molekularbiologie, Epidemiologie und Risikomodellierung zu einem europäischen Exzellenznetzwerk Lebensmittelsicherheit zusammengeführt hat.

Mehr als 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 15 wissenschaftlichen Einrichtungen in zehn europäischen Ländern begannen einen intensiven Wissensaustausch und eine enge Zusammenarbeit. In 34 verschiedenen Arbeitspaketen gewannen die Expertinnen und Experten eine Vielzahl neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse aus den Bereichen Epidemiologie, Wechselwirkung zwischen Wirt und Erreger, Diagnose und Bekämpfung sowie Risikoforschung.


Risikobewertung von Campylobacter in Hähnchenfleisch

Modelle zur Bewertung des mikrobiologischen Risikos werden für die Lebensmittelüberwachung immer wichtiger. In Europa gibt es bereits mehrere Modelle für die quantitative Risikobewertung der Bakterienart der thermophilen Campylobacter in Hähnchenfleisch für verschiedene Stufen der Lebensmittelkette. Einige dieser Modelle wurden von Med-Vet-Net-Partnern zum Teil unabhängig voneinander entwickelt, im Rahmen des Projekts miteinander verglichen und in ein gemeinsames Rahmenwerk zur Risikobewertung von Campylobacter in Hähnchenfleisch integriert.

Im Ergebnis wurde ein frei verfügbares Software-Tool ins Internet eingestellt, das Ländern, die noch keine großen Erfahrungen mit quantitativen Risikobewertungsmodellen haben, als Hilfestellung bei der Erarbeitung und Anwendung eigener Modelle dienen soll. Dieses Tool kann somit zu einer weiteren Harmonisierung der Bewertung mikrobiologischer Risiken innerhalb von Europa beitragen.


Frühe Diagnose von Infektionen mit Trichinen

Bisher musste das Fleisch von Tieren - insbesondere vom Schwein, Wildschwein oder Pferd - auf Trichinen untersucht werden. Diese Fadenwürmer verursachen Trichinellose, eine Erkrankung, die beim Menschen milde bis tödlich verlaufen kann. Die Infektion erfolgt durch den Verzehr von Fleisch oder daraus hergestellten Produkten, zum Beispiel Rohwurst, die infektiöse Larven des Parasiten enthalten.

In Deutschland sind Trichinellose-Fälle beim Menschen allerdings selten und zumeist importiert. Durch neue Rechtsvorschriften in der EU können Schweinemastbetriebe sich inzwischen als Betrieb mit vernachlässigbarem Risiko für Trichinenbefall registrieren lassen. Neben anderen Vorraussetzungen ist dafür ein geschlossenes Haltungssystem mit Barrieren notwendig, das eine Infektion der Schweine über die Umwelt weitestgehend ausschließt.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am BfR haben Schweine im Alter von sechs Wochen mit zwei verschiedenen Trichinenstämmen infiziert und mit unterschiedlichen Methoden über die gesamte Mastperiode untersucht. Mit dem hierbei verwendeten E/S-ELISA-Test können gegen Trichinellen gerichtete Antikörper im Blut der Schweine früh - ab der 4. bzw. 5. Woche nach Infektion - nachgewiesen werden. Auch über die gesamte Mastperiode und in Fleischsaftproben nach der Schlachtung ist damit ein zuverlässiger Nachweis möglich. Der Test war dabei bei Infektionen mit nur wenig Larvenbildung sensitiver als der herkömmliche Larvennachweis in Muskelfleisch. Der Nachweis mittels Western Blot, der auf einem anderen Antigen basiert, ist ebenso für den Nachweis beider Erregerstämme geeignet. Die gewonnenen Referenzmaterialien stehen nun den beteiligten Laboren zur Verfügung, so dass sie ihre Arbeit weiter harmonisieren können.


Tiere als Überträger viraler Zoonosen?

Viren, die über Lebensmittel von Tieren auf den Menschen übertragen werden können, wurden in der Vergangenheit oft wenig beachtet. Die bei Bakterien gemachten Erkenntnisse können jedoch wegen offensichtlicher Unterschiede nicht einfach auf Viren übertragen werden. So ist beispielsweise eine Kühlung von Lebensmitteln für die Verhinderung Lebensmittel-assoziierter Virusinfektionen völlig wirkungslos. Noch heute erschweren methodische Probleme wie der sichere Virusnachweis in Lebensmitteln eine intensivere Erforschung.

Lebensmittelliefernde Tiere können Viren beherbergen, die auf den Menschen über daraus hergestellte Lebensmittel übertragbar sind. Hierzu gehören das Hepatitis E-Virus (HEV), das Encephalomyocarditis-Virus, das Frühsommer-Meningoenzephalitis-Virus und das Anellovirus. Das Hepatitis E-Virus kann beim Menschen eine akute Leberentzündung verursachen. Während in Asien, Afrika und Mittelamerika größere Epidemien der Erkrankung auftreten, wurden in Deutschland im Jahr 2008 nur rund 100 Fälle gemeldet. Die Mehrzahl dieser Fälle wird allerdings nicht bei Reisen in die betroffenen Länder, sondern in Deutschland selbst erworben.

Nach der erfolgreichen Etablierung von Nachweisverfahren haben Wissenschafterinnen und Wissenschaftler des BfR in zwei Studien erstmals gezeigt, dass HEV in deutschen Tieren, vor allem in Wildschweinen, weit verbreitet ist. In machen Gebieten wurde HEV in bis zu 25% der untersuchten Wildschwein-Leberproben nachgewiesen. Da einige der HEV-Stämme eng verwandt mit humanen HEV-Stämmen von Erkrankungsfällen in Deutschland sind, kann man davon ausgehen, dass Wildschweine in Deutschland das Virus beherbergen und zumindest einige der Viren auch auf den Menschen übertragbar sind. Vorsicht ist deshalb beim Zerlegen und Zubereiten von Wildschweinen - natürlich auch im Hinblick auf andere Infektionserreger - geboten. Gründliches Händewaschen gilt dabei als wichtigste vorbeugende Maßnahme. Da das Virus hitzeempfindlich ist, stellt eine sichere Zubereitung, bei der das Wildschweinfleisch gut durcherhitzt wird, den besten Schutz vor einer Übertragung dar.

Die geringe Zahl an humanen Erkrankungen im Gegensatz zur starken Verbreitung des HEV in den Wildschweinen zeigt, dass entweder zusätzliche Faktoren zur Übertragung des Virus auf den Menschen nötig sind oder dass nur hohe Viruskonzentrationen zur Infektion des Menschen führen. Die beteiligten Institute planen eine weitere Zusammenarbeit, um die Verbreitung des Virus in Wild- und Hausschweinen in Europa, die Übertragungswege sowie mögliche Schutzmaßnahmen weiter zu erforschen.


Molekularbiologie hilft bei Erkennung und Begrenzung des Problems

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des BfR entwickelten auch neue molekularbiologische Techniken, zum Beispiel Genotypisierung mittels Mikroarrays, zur Charakterisierung von Campylobacter, Salmonella und Verotoxin-bildenden E. coli (VTEC). An ausgewählten Stammsammlungen führten sie außerdem Studien zu den Resistenzeigenschaften und den Virulenzdeterminanten der Erreger durch. Die Mikroarray-Analysen für Salmonella zeigten, dass die fünf bedeutendsten Serovare (= Variationen innerhalb der Subspezies von Bakterien) für den Menschen - Typhimurium, Enteritidis, Hadar, Virchow, Infantis - alle ein einzigartiges Virulenzgen-Repertoire besaßen. Innerhalb eines Serovars traten dagegen nur geringe Unterschiede in der Anwesenheit bzw. Abwesenheit der Virulenzgene auf. Bei VTEC zeigten die Mikroarray-Studien, dass die Mehrzahl der untersuchten Isolate ein typisches Virulenzgenprofil, vergleichbar mit dem des pathogenen E. coli O157:H7, hatten. Die erarbeiteten Ergebnisse tragen wesentlich zur Entwicklung schnellerer Diagnoseverfahren sowie zum besseren Verständnis des Infektionsgeschehens bei und unterstützen die Suche nach geeigneten Begrenzungsstrategien.


...und in Zukunft?

Obwohl das fünfjährige Projekt inzwischen erfolgreich abgeschlossen wurde, ist eine weitere Zusammenarbeit der beteiligten Institute bereits beschlossen. Die Med-Vet-Net Association, gegründet im Oktober 2009, setzt die gemeinsame Arbeit aller Partnerorganisationen mit eigenen Mitteln fort.


Info:
Informationen im Internet:
Bericht des Netzwerks Med-Vet-Net:
www.medvetnet.org/cms/templates/doc.php?id=385
Nachfolgeorganisation Med-Vet-Net Association:
www.medvetnet.org/mvnassociation

BfR
Dr. Karin Schlesier, Dr. Tanja Burgdorf,
Dr. Heidi Spitznagel, Dr. Burkhard Malorny,
PD Dr. Reimar Johne, Dr. Alexandra Fetsch,
Angela Körner, Dr. Kasten Nöckler,
Prof. Dr. Thomas Alter (FU Berlin),
Prof. Dr. Bernd Appel, Dr. Annemarie Käsbohrer,
Bundesinstitut für Risikobewertung,
Thielallee 88-92, 14195 Berlin.
E-Mail: annemarie.kaesbohrer@bfr.bund.de,
karin.schlesier@bfr.bund.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Petrischale mit Campylobacter-Kolonien
- Eine Schweinefleischprobe wird im Labor für die Untersuchungen vorbereitet
- Vortrag im Rahmen eines Med-Vet-Net-Workshops


Diesen Artikel inclusive aller Abbildungen finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
www.forschungsreport.de


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Quelle:
ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz
2/2009, Seite 15 - 17
Herausgeber:
Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Redaktion: Dr. Michael Welling
Geschäftsstelle des Senats der Bundesforschungsinstitute
c/o Johann Heinrich von Thünen-Institut
Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
Tel.: 0531/596-1016, Fax: 0531/596-1099
E-Mail: michael.welling@vti.bund.de
Internet: www.forschungsreport.de, www.bmelv-forschung.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2010