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INFEKTION/1091: H1N1 - Prävention und Profit in Zeiten der Neuen Grippe (medico international)


medico international - Newsletter 10/2009 vom 5. August 2009

Prävention und Profit in Zeiten der Neuen Grippe (H1N1)

Von Dr. Andreas Wulf, 29.07.2009


Vielleicht seit dem Beginn der AIDS Epidemie in den 80er Jahren ist nicht mehr so intensiv über das rechte Maß und die richtigen Maßnahmen zur Bewältigung einer Gesundheitsgefahr gestritten worden. Spielen die Behörden in den betroffenen Ländern die reale Gefährdungslage herunter, um ihre Touristik Industrie nicht zu gefährden, und von der realen Vernachlässigung der öffentlichen Gesundheitsdienste im Bundesstaat Chiapas abzulenken, wie uns unsere Partner aus Mexiko berichten?

Oder inszeniert die WHO und die Weltgemeinschaft eine überdramatisierte Katastrophe, um ihre eigene Wichtigkeit zu bestärken und gemeinsame Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, während zugleich die Kluft zwischen der gesundheitlichen Realität in der Welt angesichts der Krisenökonomie weiter zunehmen wird?

Ohne Zweifel bestärkt aktuell die "Chronik einer angekündigten Seuche" angesichts der offensichtlichen geringen Gefährlichkeit des neuen Influenza-Virus bei vielen den Trend zum Misstrauen gegenüber den großen Katastrophenszenarien, medienwirksam von der WHO Chefin Margareth Chan mit dem Pandemie-Stufenplan im Frühjahr vorgeführt. Und wenn auch manche Gesundheitsplaner die Influenza H1N1 als gelungenen "Probelauf" für die bereitliegenden Katastrophenpläne einschätzen, und die Unberechenbarkeit von Virusmutationen kein Argument gegen eine solche Vorbereitung sein kann, so bleibt es doch besonders wichtig, ein gesundes Misstrauen zu behalten gegenüber den Profiteuren solcher Szenarien, und immer wieder die Frage zu stellen: qui bono? Wem nützt es?

Zeigt sich doch bei allen Debatten um die globale Bewältigung der Gesundheitsbedrohungen, dass das Hemd immer noch näher als der Rock ist - und globale Solidarität ein schönes Wort bleibt, solange es nicht die etablierte Ordnung gefährdet. Nirgendwo wird dies sichtbarer als an den "harten Fakten" der Produktion und Verteilung von Medikamenten und Impfstoffen. Müsste sich nicht hier die "globale Verantwortung" für die vermeintlich globale Herausforderung in einer eben solchen kollektiven Bereitstellung der Instrumente zu ihrer Bewältigung beweisen?

Während die Entwicklung eines Impfstoffes gegen den neuen Virus fieberhaft vorangeht, hinken die politischen Voraussetzungen dafür nach wie vor hinterher. Die in Entwicklungs- und Schwellenländern verfügbare Impfstoffproduktion ist zumeist begrenzt auf die bekannten Standard Impfungen und von ihrem Produktionsumfang nur langsam auszuweiten - die moderneren Verfahren, die in den letzten Jahren in den Industrieländern entwickelt wurden, setzen statt Eiern rascher vermehrbare Zelllinien ein, diese Technologie ist aber vielfach durch Patente abgesichert und nicht einfach kopierbar. Zusammen mit einem zu erwartenden "profitablen" Preis für die neuen Impfungen werden die Menschen in den wirtschaftlich abgehängten Regionen der Welt daher kaum die Chance auf einen gerechten Anteil an dieser Produktion haben - außer durch caritative Gesten, wie die gerade mal 150 Mio. Impfdosen, die die Produzenten der WHO versprochen haben, bei geschätzten 900 Mio. Dosen Jahresproduktion wären das gerade mal 16% für mindestens zwei Drittel der Weltbevölkerung.

Dabei wäre dies möglicherweise die Gelegenheit, einmal Ernst zu machen mit der beschworenen "globalen Solidarität". Interessanterweise haben gerade erst die Staaten des ConoSur, Argentinien, Brasilien, Chile, Paraguay und Uruguay, den Vorstoß gemacht, die neue Vaccine gegen die pandemische Influenza zu einem "Global Public Good" zu machen und konsequent auf Patentierungen zu verzichten - das wäre in der Tat eine revolutionäre Neuheit, und könnte im Zusammenspiel mit einem umfangreichen Technologie Transfer in die Länder des Südens die Verfügbarkeit der potentiell lebensrettenden Impfungen systematisch ausbauen. Wenn es zu einer solchen Initialzündung käme - dann wäre ein wichtiger Baustein in der Strategie für eine "Gesundheit für Alle", wie sie die WHO erst in ihrem letzten Jahresbericht 2008 wieder betont hat, gelegt. Und an solchen Zielen muss sie sich wie auch die anderen Akteure der Globalen Gesundheitspolitik weiterhin messen lassen.


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Quelle:
medico-Newsletter 10/2009 - Mittwoch, 5. August 2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2009