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HERZ/478: Nachrichten vom Europäischen Kardiologenkongress in Stockholm (2) (idw)


Deutsche Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung - 30. und 31.08.2010

Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie zum Europäischen Kardiologenkongress in Stockholm


→  Deutsche Arteriosklerose-Studie: Dicke Kinder haben schlechte Karten
→  Neuer Test liefert prognostische Informationen bei Patienten mit akuter Lungenembolie
→  Neuer Score aus Leipzig errechnet individuelle Prognose für Herzklappen-Reparatur
→  Studie aus Leipzig: Sozial schwachen Kindern tut Schulsport besonders gut
→  Studie: Defis bringen bei gefährlicher angeborener Herzmuskelerkrankung ARVC
      langfristigen Überlebensvorteil

Raute

Deutsche Arteriosklerose-Studie: Dicke Kinder haben schlechte Karten

Leipzig, Stockholm/ Montag, 30. August 2010 - "Übergewicht und Fettleibigkeit führen bereits im frühen Kindesalter zu ausgeprägten Stoffwechsel-Veränderungen und generalisierten Gefäßschäden als Frühform einer Arteriosklerose", berichtet Priv.-Doz. Dr. med. Sandra Erbs (Klinik für Innere Medizin/Kardiologie, Universität Leipzig - Herzzentrum GmbH) auf dem Europäischen Kardiologenkongress (ESC; 28. August bis 1. September) in Stockholm. Adipöse Kinder weisen häufig eine Fehlfunktion der Blutgefäß-Innenwand ("Endotheldysfunktion") auf, eine krankhafte Dicke der inneren und mittleren Schicht der Gefäßwand der Halsschlagader (Intima Media Dicke), sowie eine eingeschränkte Fähigkeit der so genannten zirkulierenden Endothel-Vorläuferzellen, Blutgefäße zu regenerieren.

Im Rahmen der Leipziger Studie wurden insgesamt 156 Kinder untersucht: 86 adipöse oder übergewichtige mit einem Durchschnittsalter von 12,2 Jahre und einem Durchschnitts-Body-Mass-Index 28.3) sowie 70 normalgewichtige Kontrollkinder. Die Studie ist Teil der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Klinischen Forschergruppe "Atherobesity". Untersuchungsziel war herauszufinden, inwieweit bereits adipöse oder übergewichtige Kinder von Schädigung der Gefäße betroffen sind.

"Das erklärte Ziel muss sein, effiziente Strategien in Bereich der Primär- und Sekundärprävention bereits in früher Kindheit zu etablieren, um die Häufigkeit der Adipositas zu reduzieren", folgert Dr. Erbs aus den Studienergebnissen. "Hier sollte neben einer engen Zusammenarbeit mit Kindergärten, Schulen und Eltern nicht nur das Ernährungsverhalten geschult, sondern insbesondere die körperliche Aktivität erhöht bzw. das Freizeitverhalten der Kinder beeinflusst werden."

Einige Untersuchungsergebnisse im Detail:

Adipöse oder übergewichtige Kinder sehen im Gegensatz zu Schlanken signifikant mehr Stunden pro Woche TV und sind signifikant seltener in Sport- und Freizeitvereinen engagiert. Dies spiegelt sich in einer eingeschränkten motorischen Funktion, Körperwahrnehmung und Koordination in nahezu allen Teilbereichen wieder. Es zeigte sich, dass die motorische Fähigkeit mit zunehmendem BMI weiter abnahm.
Der mittlere systolische Blutdruck war unter Alltagsbedingungen bei adipösen Kindern im Mittel um 8 mmHg höher als bei Normalgewichtigen.
Im oralen Glukosetoleranz-Test ergaben sich bei den adipösen Kindern Hinweise für einen gestörten Glukose-Stoffwechsel als Vorstufe eines Diabetes mellitus.
Bereits im Alter von 12 Jahren zeigte sich bei adipösen oder übergewichtigen Kindern pathologische Veränderungen der Intima-Media-Dicke der Halsschlagader als prognostischer Marker für die Entwicklung einer Artherosklerose.
Die Anzahl der endothelialer Progenitorzellen (EPC) war bei den adipösen Kindern im Vergleich zu Normalgewichtigen signifikant reduziert. Aus Studien mit Erwachsenen ist bekannt, dass Anzahl und Funktion der EPC einen engen Zusammenhang mit kardiovaskulären Risikofaktoren zeigen und die Reduktion der EPC zukünftigen kardiovaskulären Ereignissen vorausgeht.

"Weltweit leiden rund eine Milliarde Menschen an Übergewicht und 300 Millionen an Adipositas. Adipositas und Übergewicht stellen somit eine immense sozioökonomische Herausforderung für das Gesundheitswesen dar. Dieses Jahr sind allein in der EU geschätzt 26 Millionen Kinder und Jugendliche übergewichtig", so Dr. Erbs. "In großen epidemiologischen Studien konnte nachgewiesen werden, dass bei bis zu 50 Prozent der adipösen Kinder bereits ein metabolisches Syndrom vorliegt."


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Neuer Test liefert prognostische Informationen bei Patienten mit akuter Lungenembolie

Göttingen, Stockholm/ Dienstag, 31. August 2010 - Ein neuer, hoch sensitiver Test (Troponin T (hsTnT) Assay) könnte die Risiko-Einschätzung von Patienten mit akuter Lungenembolie mit normalem Blutdruck ('normotensiv') verbessern. "Das ist besonders bei der Identifizierung von Patienten mit niedrigem Risiko hilfreich, die möglicherweise für eine ambulante Behandlung geeignet sind", berichtet Dr. Mareike Lankeit (Herzzentrum, Universitätsmedizin Göttingen) auf dem Europäischen Kardiologenkongress (ESC; 28. August bis 1. September) in Stockholm.

In der von ihr, gemeinsam mit Kardiologen aus Heidelberg und Griechenland durchgeführten Studie wurde der prognostische Stellenwert des neuen hoch-sensitiven Troponin T (hsTnT) Assays bei 156 normotensiven Patienten mit akuter Lungenembolie untersucht und mit dem herkömmlichen Troponin T (cTnT) Assay verglichen. Zum Zeitpunkt der Aufnahme konnte bei 71 Patienten (45,5%) Troponin T mit dem herkömmlichen Test nicht bestimmt werden, während der Biomarker durch Verwendung des hochsensitiven Assays bei allen Patienten nachweisbar war. Ein weiteres Ergebnis: 50 Prozent der Patienten mit einem komplizierten Verlauf wären durch den konventionellen cTnT Assay fälschlich als Patienten mit niedrigem Risiko klassifiziert worden.

In Deutschland versterben jährlich rund 40.000 Patienten an den Folgen einer akuten Lungenembolie (LE). Sowohl die Europäische (ESC) als auch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) betonen in ihren aktuellen Leitlinien die Bedeutung einer möglichst frühzeitigen Abschätzung des Todes- und Komplikationsrisikos von Patienten mit Lungenembolie, um die Intensität der Therapie entsprechend anzupassen.


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Neuer Score aus Leipzig errechnet individuelle Prognose für Herzklappen-Reparatur

Leipzig, Stockholm/ Dienstag, 31. August 2010 - Ein neuer 'Leipziger Mitralklappen Score' erlaubt jetzt eine genaue Vorhersage der Rekonstruierbarkeit einer Herzklappe ('Mitralklappe') und damit des Operationsergebnisses bei einem individuellen Patienten. Das Team um Dr. Michael Borger vom Herzzentrum der Universität Leipzig hatte zuvor die Daten von insgesamt 2705 Patienten gesammelt und ausgewertet, die zwischen 1999 und 2009 am Herzzentrum Leipzig mittels minimal invasiver Technik an der Mitralklappe operiert wurden. Insgesamt wurden 33 Variablen identifiziert, die einen Einfluss auf das Operationsergebnis haben könnten.

Die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Mitralklappen Rekonstruktion könne damit als sehr niedrig, moderat, hoch und sehr hoch eingestuft werden. "Dieser Score ist insbesondere als Entscheidungshilfe für Patienten sowie zuweisende Kardiologen hilfreich", sagte Dr. Borger auf dem Europäischen Kardiologenkongress (ESC; 28. August bis 1. September) in Stockholm.

Die Mitralklappe trennt die linke Vorkammer von der Hauptkammer und funktioniert wie ein Ventil, das bei der Kontraktion den Rückfluss des Blutes aus der linken Herzkammer in den linken Vorhof verhindern soll. Die Mitralklappen-Rekonstruktion ist heute die Behandlungsform der Wahl für die Korrektur der Mitralinsuffizienz. "Die chirurgische Mitralklappen-Rekonstruktion zeigt signifikant bessere Ergebnisse im Vergleich zum operativen Mitralklappen-Ersatz. Allerdings ist es aktuell unmöglich eine Vorhersage über die Rekonstruierbarkeit einer 'individuellen' Mitralklappe zu treffen", erklärt Dr. Borger. "Zur Verbesserung der Therapieplanung sowie Entscheidungsfindung ob und mit welchem zu erwartenden Erfolg eine Mitralklappen-Operation durchgeführt werden kann, haben wir diesen Mitralklappen-Score entwickelt."

Der Score berücksichtigt über 30 Variablen bei denen vor allem auch anatomische Gegebenheiten, die mit bildgebenden Techniken erfassbar sind, eingehen.


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Studie aus Leipzig: Sozial schwachen Kindern tut Schulsport besonders gut

Leipzig, Stockholm/ Dienstag, 31. August 2010 - "Kinder und Jugendliche mit höherem Sozialstatus und Bildungsniveau sind weniger übergewichtig und fitter als ihre sozial schwächeren Alterskollegen", berichtet Dr. Katharina Machalica (Universität Leipzig, Herzzentrum). "Schüler mit sozial schwächerem Hintergrund profitieren allerdings gesundheitlich mehr von zusätzlichem Schulsport, z.B. von einem Anheben der Schulsport-Stunden von zwei auf fünf pro Woche."

Das sind zwei zentrale Ergebnisse einer Untersuchung der Universität Leipzig mit 163 teilnehmenden Schülern und einem Beobachtungszeitraum von einem Jahr, die auf dem Europäischen Kardiologenkongress (ESC; 28. August bis 1. September) in Stockholm vorgestellt wurde. Die Kardiologen wollten wissen, ob sich zusätzlicher Schulsport an Gymnasien und Mittelschulen positiv auf die körperliche Leistungsfähigkeit und das Herzrisiko der Schüler auswirkt.

Ein Teil der Schüler aus Brandis besuchten ein Gymnasium, dessen Absolventen typischer Weise auf eine Universität überwechselten. Der andere Teil besuchte in eine Schule, deren Absolventen in der Regel nach dem Erhalt des Sekundarschul-Zeugnisses das Bildungssystem verlassen. Untersuchungen zu Studienbeginn zeigten, dass Schüler mit niedrigerem Sozial- und Bildungsstatus generell einen höheren Body-Mass-Index (BMI), weniger fettfreies Gewebe, ein weniger gut entwickeltes Koordinationsvermögen und eine schlechtere Fitness aufwiesen als Ihre Altersgenossen aus höheren sozialökonomischen Schichten.

Die Schüler der beiden Schulen wurden anschließend in je zwei Gruppen aufgeteilt: Während die Mitglieder der Kontrollgruppen weiterhin zwei Stunden pro Woche Sport betrieben, wurde in den 'Interventionsgruppen' stattdessen fünf Stunden lang Schulsport betrieben. Fazit nach einem Jahr: Mitglieder der Interventionsgruppen konnten ihren BMI stärker verringern als die Kontrollgruppe, wobei Schüler mit schwächerem sozialökonomischem Hintergrund eine höhere Zunahme fettfreien Gewebes, eine stärkere Verbesserung ihres Koordinationsvermögens und ihrer Fitness zeigten als ihre Kollegen aus höheren sozialökonomischen Milieus.

Dr. Machalica: "Unsere Studie zeigt, dass Schul-basierte Interventionen Kindern einen signifikanten Gesundheits-Nutzen bringen können, insbesondere Schülern mit schwächerem Sozialstatus und Bildungsniveau, die typischer Weise ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Probleme haben. Kinder mit einem schwächeren sozialen Hintergrund profitieren also offenbar von zusätzlichem Schulsport besonders."


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Studie: Defis bringen bei gefährlicher angeborener Herzmuskelerkrankung ARVC langfristigen Überlebensvorteil

Göttingen, Stockholm, Dienstag 31. August 2010 - Patienten mit der angeborenen Herzmuskelerkrankung 'Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie' (ARVC), die bei jungen Menschen häufig zu lebensbedrohlichen Herzmuskelstörung (Ventrikuläre Tachykardie, VT) oder dem plötzlichen Herztod führt, bringt ein Implantierbarer Kardioverter-Defibrillator (ICD) einen klaren Überlebensvorteil. "Die Ergebnisse unserer Untersuchung zeigen die signifikante Verbesserung der Prognose durch die ICD-Therapie auch im Langzeitverlauf bei Hochrisiko-Patienten mit ARVC", so Prof. Dr. Thomas Paul (Pädiatrie III, Universitätsmedizin Göttingen)

Eine ursächliche Therapie der Erkrankung ist bislang nicht bekannt, so dass der Verhinderung des plötzlichen Herztods bzw. der Therapie von ventrikulären Tachykardien eine entscheidende Bedeutung zukommt. "Die Implantation eines automatischen Kardioverter-Defibrillators (ICD) scheint bei Hochrisiko-Patienten mit ARVC im kurzfristigen Verlauf einen klaren Überlebensvorteil zu bieten, Daten zum Langzeitverlauf - mehr als 5 Jahre - fehlten allerdings", so Prof. Dr. Paul. In der Universitätsmedizin Göttingen wurden deshalb 60 Patienten im Durchschnitt 11 Jahre beobachtet.

Im Nachbeobachtungszeitraum betrug das ereignisfreie Überleben (i.e. Auftreten einer adäquaten ICD-Therapieabgabe, die das fatale Rhythmusereignis unterbricht) nach 1, 5, 10 und 15 Jahren 49%, 23%, 15%, und 8%, sowie 78%, 50%, 32%, and 15% für potentiell fatale, schnelle VT (>240/min).

Von den 36 Patienten, die sich ursprünglich mit anhaltenden VT präsentierten, erlitten 16 (44%) und von den 18 Patienten mit überlebtem plötzlichem Herztod 7 Patienten (39%) eine fVT im Langzeitverlauf. Insgesamt starben im Untersuchungszeitraum 12 Patienten (20%), fünf von ihnen (42%) im Rahmen einer progredienten Herzinsuffizienz. Drei Patienten (5%) wurden 3,5 Jahren nach ICD-Implantation herztransplantiert. Prof. Dr. Paul: "Die Analyse der Gesamtsterblichkeit, das Auftreten einer schnellen, lebensbedrohlichen VT bzw. überhaupt einer VT ergibt einen klaren Überlebensvorteil durch den ICD."



Weitere Informationen finden Sie unter:
http://www.dgk.org

Raute

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung e.V.
Christiane Limberg, 29.08.2010 und 30.08.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2010