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EPIDEMIE/102: Unsichtbare Angreifer (3) - AIDS. 25 Jahre später (research*eu)


research*eu - Nr. 59, März 2009
Magazin des Europäischen Forschungsraums

AIDS: 25 Jahre später

Von Julie Van Rossom


Ein trauriger Jahrestag. Vor 25 Jahren isolierten Forscher zum ersten Mal das hinter der Krankheit AIDS steckende Virus. Diese Entdeckung markierte den Beginn einer riesigen Forschungsanstrengung, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Auch wenn das Wissen um diese Krankheit und die Strategien zu ihrer Bekämpfung enorme Fortschritte gemacht haben, gibt es immer noch keinen Impfstoff, um sie zu stoppen.


Vereinigte Staaten von Amerika, 1981. Das Center for Disease Control and Prevention (CDC) stellte eine ungewöhnlich hohe Häufigkeit von Fällen des Kaposi-Syndroms - eine Form von Hautkrebs - und Lungenentzündungen durch Pneumocystis carinii fest. Diese beiden außerordentlich seltenen Krankheiten befallen eigentlich nur besonders geschwächte Menschen. In der ersten Zeit wurde das Phänomen als "gay syndrome" bezeichnet, weil es vor allem homosexuelle Patienten zu betreffen schien. Aber schon sehr bald tauchten immer mehr Fälle auf, sowohl bei Drogen abhängigen als auch bei Blutern und Heterosexuellen. Seit 1982 wird die Krankheit kurz mit AIDS - Acquired Immunodefficiency Syndrome (englisch für erworbenes Immundefektsyndrom) - bezeichnet. Damals vermutete man schon, dass eine Infektion, die über das Blut und beim Geschlechtsverkehr übertragen wird, an dieser Krankheit schuld sei, ohne dass jedoch handfeste Beweise für diese Theorie vorlagen.

Erst ein Jahr später konnte der Auslöser festgestellt werden: das HIV - das Humane Immundeffizienzvirus (1). Zwei Teams, ein französisches am Institut Pasteur und ein amerikanisches am National Cancer Institute, stritten sich darum, wer als Erster die Entdeckung gemacht hatte. Aber das war eigentlich unwichtig, denn endlich konnten Nachweistests zusammen mit der Einführung einer Vorsorgestrategie entwickelt werden. Das Ziel bestand darin, bis zur Entwicklung eines Impfstoffs den drohenden Ausbruch einer Pandemie abzubremsen. Damals dachte man, dass dafür nicht mehr als zwei Jahre nötig seien.


Ein neuartiges Virus

Das Rätsel konnte jedoch nicht gelöst werden. Was war dieses Virus? Wie wurde es übertragen? "Schon sehr bald wurden TCD4+ Lymphozyten als die Hauptziele des HI-Virus bestimmt. Diese Liste wurde anschließend um Makro phagen und antigenpräsentierende Zellen ergänzt", erklärt Françoise Barré-Sinoussi, Leiterin der Abteilung für die Kontrolle viraler Infektionen des Institut Pasteur und Mitglied der Forschungsgruppe, die das Virus in Frankreich isoliert hatte.

In jener Zeit wusste man bereits, dass das HI-Virus auch zur Familie der Retroviren gehört, deren Besonderheit darin liegt, über nur eine RNA (2) für das gesamte genetische Erbe zu verfügen. Sobald es in unseren Zellen angelangt ist, wird der RNA-Strang in DNA dupliziert, bevor er sich an unsere Chromosomen anhängt. Durch diese umgekehrte Transkription, die mithilfe eines speziellen Enzyms erfolgt, erhält das Virus ein enormes mutagenes Potenzial, denn außer bei der normalen Transkription erlaubt kein System die Korrektur möglicher Kodierungsfehler.

"Der vom HI-Virus eingeführte Mechanismus zur Unterdrückung des Immunsystems hat sich als weitaus komplexer erwiesen, als man anfangs gedacht hatte", erklärt der Virologe Luc Montagnier, der damals die französische Forschungsgruppe am Institut Pasteur leitete. Heute führt er seine Forschungen unter dem Dach der World Foundation for Aids Research and Prevention durch, die 1993 unter der Schirmherrschaft der UNESCO gegründet wurde. "Es verhält sich ganz und gar nicht wie ein einfaches Virus, das Zielzellen infiziert und tötet. AIDS ist ein chronisches und langsames Leiden. Die tödlich verlaufenden opportunistischen Krankheiten treten erst fünf bis zehn Jahre nach der Infektion auf. Die lange Dauer dieser Latenzzeit, für die zahlreiche Faktoren eine Rolle spielen, vor allem der Zustand des Immunsystems der infizierten Person, muss erklärt werden."

"In jüngsten Studien wurden die Lymphozyten rund um den Darm als erste Ziele des Virus bestimmt, weil sie oft durch unterschiedliche Infektionsfaktoren aktiviert werden", führt der Virologe weiter aus. Denn um zu überleben, benötigt das Virus aktivierte Lymphozyten. Aber in diesem Zustand befinden sie sich nur im Fall einer Infektion. Das erklärt, weshalb sich bei einer Frau, die eine schwärende Vaginalinfektion wie Herpes oder Syphilis hat, das Infektionsrisiko erhöht. "Jede Aktivierung des Immunsystems liefert dem Virus einen unverhofften Vorteil. Das erklärt auch, weshalb bestimmte Impfstoffe nicht wirken: Sie stimulieren die Zielzellen des HI-Virus und begünstigen damit die Wiederaufnahme der Krankheit, das heißt die Infektion durch das HI-Virus", vervollständigt Luc Montagnier.


Der Impfstoff - ein steter Misserfolg...

Dieses schmale Band, welches das Virus mit unserem Immunsystem verbindet und seine Fähigkeit seine eigene Membranstruktur so zu verändern, dass unsere natürliche Abwehr getäuscht wird, erklären, weshalb noch kein Impfstoff gegen das HI-Virus gefunden wurde. Denn um dieses anzugreifen, kann die konventionelle Methode, bei der unser Organismus durch eine ungefährliche Dosis des zu neutralisierenden Virus zur Produktion von Antikörpern angeregt werden soll, nicht angewendet werden. Die Immunisierungsmaßnahme würde ganz im Gegenteil die Ausbreitung des Virus erleichtern. Deshalb müssen Alternativstrategien entwickelt werden. Aber auch hierbei gibt es zahlreiche Hindernisse.

Sehr lange haben die Forscher versucht, den Organismus so zu stimulieren, dass er bestimmte unveränderliche Membranproteine des HI-Virus, gp120 etwa, erkennt. Doch alle klinischen Versuche schlugen fehl. Auch alle Zwischenstrategien erwiesen sich als Enttäuschung. Im September 2007 kündigte die Firma Merck die Unterbrechung des STEP-Versuchs an. "Dieser Impfkandidat sollte Immunität über ein Adenovirus vom Typ 5 (ein Schnupfenvirus) erzeugen, in das drei Gene des HI-Virus eingeschleust worden waren", erinnert sich Françoise Barré-Sinoussi. "Der Ansatz hatte zu guten Ergebnissen bei Affen geführt, aber beim Menschen erwies er sich als wirkungslos. Er schien sogar die Wahrscheinlichkeit einer Infektion mit dem Virus zu erhöhen."


... doch die Hoffnung stirbt zuletzt

Die herbe Enttäuschung durch den Misserfolg von STEP hat die Hoffnungen auf die baldige Entwicklung eines Impfstoffes gedämpft. Bei der 17. Weltaidskonferenz in Mexiko im August 2008 waren sich die Forscher einig, dass das HI-Virus ein weitaus zäherer Feind ist als ursprünglich angenommen.

Während einige Stimmen derzeit schätzen, dass noch zwei Jahrzehnte Forschung für die Entwicklung eines Impfstoffes nötig sind, plädieren andere für eine Rückkehr zur Grundlagenforschung in der Immunologie. "Tatsächlich weiß man noch sehr wenig über die HIV-Infektion selbst, insbesondere über die Signale, die es dem Virus ermöglichen, unsere natürliche Abwehr zu beeinflussen", erklärt Françoise Barré-Sinoussi. "Jüngste Untersuchungen haben gezeigt, dass bereits nach nur wenigen Stunden Exposition das HI-Virus in der Lage ist, die ersten Abwehrreaktionen des Organismus zu verändern. Aber die Mechanismen, die ihm dies erlauben, bleiben weitgehend unbekannt."

Trotz dieser Schattenseiten ist die Forschung hartnäckig. Im Karolinska Institutet (SE) etwa arbeitet eine Gruppe an einem Molekül, das sich an die Antikörper anpassen kann, um die Infektion durch das HI-Virus zu vereiteln. Invivo-Versuche haben bereits eine 90%-ige Wirksamkeit gezeigt. In den USA wollen die Forscher des Privatunternehmens Sangamo BioSciences das Protein CCR5, einen Korezeptor des HI-Virus auf der Membran der Immunzellen, sabotieren. Dieses Verfahren wurde dadurch angeregt, dass es Personen gibt, die auf natürliche Weise gegen das HI-Virus resistent sind. Diese Resistenz wird durch eine vererbte Mutation bewirkt, die die Wirkung von CCR5 blockiert.

Luc Montagnier seinerseits besteht auf den Vorteilen, die sich durch die Entwicklung eines therapeutischen Impfstoffes ergeben. "Die Idee besteht darin, das Virus anzugreifen, wenn es sich bereits im Organismus befindet. Mittels der vorherigen Wiederherstellung des Immunsystems durch Kombinationstherapie und der Verabreichung von Antioxidantien, um den durch AIDS hervorgerufenen oxidativen Stress auszugleichen, könnte dem Virus ein tödlicher Stoß durch einen Impfstoff zugefügt werden, der im Gegensatz zu den bislang getesteten keine Virusproteine im Urzustand verwendet, sondern eine molekulargenetisch veränderte Version des HI-Virus. Der Erfolg des Moleküls ist obendrein einfacher zu erkennen als es bei einem präventiven Impfstoff der Fall wäre: Man kann die Kombinations therapie genau vor der Verabreichung des Impfstoffes unterbrechen und wenn die Viruslast des Patienten anschließend nicht ansteigt, hat das Molekül gewirkt."


Therapien für wenige?

Trotz vieler Rückschläge, die die Impfstoffforschung einstecken musste, haben die Strategien zur Beherrschung der Krankheit enorme Fortschritte gemacht. "Die Feststellung der Zielzellen und des Replikationsmodus des HI-Virus haben zur Entwicklung von Inhibitoren wie AZT geführt, einem der ersten antiretroviralen Moleküle", führt Françoise Barré-Sinoussi aus. "Als dann Fälle auftraten, in denen die Behandlung nicht mehr anschlug, wurden neue therapeutische Kombinationen entwickelt, die heute als Kombinationstherapien bekannt sind."

Seit 1996 gibt es sie, doch sie haben auch schwere Nebenwirkungen, selbst wenn diese innerhalb von zehn Jahren Forschung milder geworden sind. Bei der Kombinationstherapie werden verschiedene antiretrovirale Substanzen kombiniert, um der natürlichen Fähigkeit des HI-Virus, gegen ein einzelnes Molekül resistent zu werden, entgegenzutreten. Antiretrovirale Substanzen wirken generell auf das Enzym, das die Umwandlung der viralen RNA in DNA ermöglicht (Inhibitoren der reversen Transkriptase). Sie können aber auch das Enzym angreifen, das für die Abtrennung und Zusammenfügung der Viruskopien zuständig ist (Proteaseinhibitoren), oder jenes, das die virale und die menschliche DNA miteinander verbindet (Integraseinhibitoren). Andere Moleküle verhindern sogar das Zusammenschmelzen der Membran des Virus mit der unserer Zellen (Fusionsinhibitoren), indem sie auf ein spezifisches Protein wirken.

Trotz der Wirksamkeit der Kombinationstherapien kann das Virus durch seine hohen Mutationsfähigkeiten langfristig Resistenzen entwickeln. Deshalb muss die Behandlung auf der Grundlage der Mutationen moduliert werden, die der Infektion jedes Patienten eigen sind, und deshalb gibt es auch so viele verschiedene antiretrovirale Moleküle. Aber auch die Fortschritte sind riesig. "Zu Beginn der 1980er Jahre standen wir der Ausbreitung von AIDS noch völlig schutzlos gegenüber. Seitdem beherrschen die Kombinations therapien die Viruslast so gut, dass die Patienten eine fast normale Lebenserwartung haben", freut sich Professor Montagnier. Doch diese Feststellung gilt nur aus der Sicht der reichen Länder. "Die Therapie ist sehr teuer und die Behandlungsdauer sowie die mit AIDS verbundenen gesellschaftlichen Widerstände führen dazu, dass sie in den ärmeren Ländern kaum zugänglich ist, also genau dort, wo die Epidemie am schlimmsten wütet", fügt er hinzu (siehe Kasten auf Seite 11).

Trotz der Milleniumsziele der Vereinten Nationen, die vorsehen, bis 2010 allen an AIDS leidenden Menschen eine Kombinationstherapie bereitzustellen, bleibt die Bevölkerung des Südens mehrheitlich davon ausgeschlossen. "Selbst wenn ungefähr 30 % der Kranken in den Entwicklungsländern ab jetzt Zugang zu einer antiretroviralen Therapie hätten, wäre man noch weit vom Ziel entfernt", bemerkt Françoise Barré-Sinoussi. Und das bedeutet, dass in den sieben Minuten, die Sie im Schnitt zum Lesen dieses Artikels brauchen, ungefähr 28 Menschen an den Folgen von AIDS gestorben sind.


Mehr Einzelheiten

In der Zwischenzeit weitet sich die Epidemie aus

Dem UNAIDS-Bericht 2008 zufolge hat sich die weltweite Prävalenz des HI-Virus stabilisiert, obwohl die Anzahl der HIV-positiven Personen von 29 Millionen im Jahr 2001 auf 33,2 Millionen im Jahr 2007 gestiegen ist. Derzeit leben mehr als zwei Drittel der Kranken im Afrika südlich der Sahara. In den meisten Ländern dieser Region stabilisiert bzw. sinkt die Ausbreitung des Virus, doch das ändert nichts an der Dramatik der Lage: 76% der durch AIDS verursachten Todesfälle entfallen auf die Subsahara. In der Südhälfte des afrikanischen Kontinents weisen acht von 13 Ländern eine nationale Prävalenz des HI-Virus von 15% bei den Erwachsenen auf.

Auch an anderen Orten breitet sich die Epidemie weiter aus. Die höchsten Infektionsraten sind in Ostasien, insbesondere in Indonesien und Vietnam zu verzeichnen, doch auch in den ehemaligen Sowjetrepubliken sind - vor allem in Russland und in der Ukraine - zahlreiche neue Fälle zu beklagen.


Anmerkungen

(1) Wir beziehen uns hier auf HIV-1. 1986 wurde von Professor Montagnier Team ein zweiter Stamm, HIV-2, entdeckt, der vor allem in Westafrika verbreitet ist.

(2) Ribonukleinsäure - der DNA aus molekularer Sicht ähnlich, jedoch besteht sie nur aus einem Strang. Sie übermittelt die genetischen Informationen außerhalb des Zellkern. Vor der Entdeckung des Retrovirus glaubte man, dass eine RNA nur in eine Richtung läuft, vom Kern nach außen.


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Eines der ersten Fotos des HIV-1, das von dem Team um Luc Montagnier 1983 entdeckt wurde. Nachgefärbt, 100.000-fache Vergrößerung.

Vier Partikel des AIDS-Retrovirus aus mikroskopischer Sicht. Unten rechts: HIV-Partikel, das auf der Oberfläche einer infizierten T4-Lymphozyte knospt. In der Mitte: unreifes HIV-Partikel, das sich von der infizierten Zelle abgelöst hat. Oben links: reifes Viruspartikel, das eine neue Zelle infizieren kann, man erkennt den Kern.

Kristall des Initiationsortes der Dimerisierung (DIS) des Genoms von HIV-1. Dieser Abschnitt besteht aus einem viralen RNA-Fragment aus 23 Nukleotiden.

Molekulares Modell des synthetischen Proteins "mini-CD4" (rot) in Interaktion mit seinem Target, dem Oberflächenglykoprotein "gp 120" von HIV-1.


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Quelle:
research*eu - Nr. 59, März 2009, Seite 10 - 12
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2009