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ARTIKEL/100: Ohne Beine wäre es leichter ... Zur Lage von Schädelhirnverletzten in Deutschland (idw)


Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften - 10.03.2011

Ohne Beine wäre es leichter ...

Ergebnisse der Pressekonferenz zur Lage von Schädelhirnverletzten in Deutschland


Berlin, 10. März 2011 Ž "Nehmt mir lieber mein Bein ab und gebt mir dafür meinen Kopf zurück", sagt Stefan Lenger Ž wenn auch mit einem leichten Lächeln Ž "denn diese Behinderung würde wenigstens Jeder sehen". Der junge Mann erlitt bei einem Autounfall als 18-jähriger ein Schädel-Hirn-Trauma, kämpfte erst wochenlang ums Überleben, erholte sich dann körperlich erstaunlich gut, behielt allerdings als Folge der massiven Kopfverletzungen vor allem starke Gedächtnisstörungen zurück, die ihn in seinem Alltag sehr behindern Ž die aber eben nicht sichtbar sind. Stefan Lengers Schicksal ist beispielhaft für die Probleme, die 800.000 schädelhirnverletzte Menschen im "Versorgungsdschungel" haben. Lenger sprach bei einer Pressekonferenz anlässlich des 5. Nachsorgekongresses der ZNS Hannelore Kohl Stiftung und der AG Teilhabe in Berlin. 270.000 Unfallopfer erleiden pro Jahr eine Schädelhirnverletzung, davon über 70.000 Kinder und Jugendliche. Hinzu kommen noch die Menschen, die zum Beispiel durch einen Schlaganfall oder andere Erkrankungen Hirnschädigungen zurück behalten haben.

Solche neurologischen Einschränkungen können durch medizinische Maßnahmen und Rehabilitation sowie mühevolle eigene Anstrengungen gelindert, aber meist nicht geheilt werden, wie das derzeit prominenteste Beispiel Monika Lierhaus zeigt. Bei Schädelhirntraumen bleiben verminderte Belastungs- und Konzentrationsfähigkeit, Einschränkungen der kognitiven Funktionen (Wahrnehmung) und vieles mehr.

Die an sich guten Sozialgesetze werden in der Praxis schlecht umgesetzt und gehen oft an den Bedürfnissen schädelhirnverletzter Menschen vorbei. So funktioniert zum Beispiel die stationäre medizinische Versorgung und Rehabilitation oft noch recht gut, aber viele Maßnahmen reichen nicht bis in den Alltag hinein und können die "Teilhabe" an Schule, Beruf und Gemeinschaft nicht sicher stellen. Gilt sonst der Grundsatz: "Je kränker, desto mehr stationäre Hilfe", ist es bei Schädelhirnverletzten eher umgekehrt, sagte die Neuropsychologin Sabine Unverhau: "Je kränker, desto eher nach Hause", weil die Anforderungen der "normalen" Umgebung helfen können, den Alltag wieder zu meistern.

Die Probleme insgesamt sind vielschichtig, erläuterte Dr. Johannes Vöcking, Vorstand der ZNS Hannelore Kohl Stiftung: Zum einen gibt es immer noch zu wenig Wissen über das gesamte Ausmaß von Schädelhirnverletzungen. In Ausbildung Beruf und bei Behörden werden nichtsichtbare Behinderungen immer noch nicht ernst genommen. Im Versorgungssystem gibt es unklare Zuständigkeiten der einzelnen Kostenträger. Benötigt würden mehr wohnortnahe ambulante Angebote. Auch die meist mitbetroffenen Angehörigen brauchen Unterstützung. Dabei geht es nicht darum, "mehr Geld ins System zu pumpen", so Vöcking, "die vorhandenen finanziellen Ressourcen müssen nur besser eingesetzt werden."

"Schädelhirnverletzte Menschen sind nicht "leistungsgemindert", sondern "anders", sagt Sabine Unverhau. Die größte Herausforderung sieht sie in der beruflichen Integration. Gerade die jungen Betroffenen wie Stefan Lenger z.B. könnten nicht nur eine "einfache, leichte", sondern oft anspruchsvolle Arbeit verrichten. Er hat erfolgreich eine Ausbildung zum Veranstaltungstechniker abgeschlossen und könnte in diesem Beruf auch arbeiten, wenn er dabei stärker begleitet würde, um die Leistungsschwankungen durch die Spätfolgen des Schädel-Hirn-Traumas abzufedern. Unterstützende Maßnahmen an solchen konkreten Stellen wären sinnvoll eingesetzt, damit auch Menschen mit einer Schädelhirnverletzung nicht zum Sozialfall werden.


Sehr viel mehr Infos unter:
www.mwm-vermittlung.de/HKS2011.html

Ansprechpartner für ALLE Interessierten:
ZNS Hannelore Kohl Stiftung
Rochusstraße 24, 53123 Bonn
Tel.: 0228/97 84 5-0, Fax: -55
Mail: info@hannelore-kohl-stiftung.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/de/institution76

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
Dipl.Pol. Justin Westhoff, 10.03.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2011

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