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KREBS/902: Blutkrebs - Künstliche Antikörper sollen körpereigene Abwehrkräfte anregen (idw)


Wilhelm Sander-Stiftung - 01.06.2011

Blutkrebs - Künstliche Antikörper regen körpereigene Abwehrkräfte an


Dem Körper den richtigen Impuls geben, damit er sich selbst heilen kann, so lautet das Credo der modernen Krebsbehandlung. Forscherteams um PD Dr. Bernhard Stockmeyer und Prof. Dr. Georg Fey am Universitätsklinikum Erlangen ist es gelungen, künstliche Antikörperderivate herzustellen, die in Zusammenarbeit mit dem körpereigenen Immunsystems gezielt Tumorzellen zerstören. Diese Immuntherapiemethode eignet sich insbesondere für die Behandlung von Blutkrebs. Sie soll nun präklinisch für den zukünftigen Einsatz am Patienten weiter entwickelt werden.

Antikörper und daraus abgeleitet Therapeutika haben in den vergangenen Jahren in der Tumortherapie zunehmend an Bedeutung gewonnen und sind heute fester Bestandteil der Behandlung bestimmter Leukämien und Tumoren des Lymphgewebes, sowie einiger Formen von Brust- und Darmkrebs. Zum Einsatz kommen nicht nur ganze, unmodifizierte Antikörper, sondern zunehmend auch gentechnisch abgewandelte Konstrukte. Dem Forscherteam um Dr. Bernhard Stockmeyer und Prof. Dr. Georg Fey ist es gelungen, spezielle Antikörperderivate für den Einsatz gegen Blutkrebs-Erkrankungen mit Methoden der Gentechnik künstlich zusammenzubauen. Insbesondere sollen damit Krebsformen behandelt werden, deren Therapieerfolge mit den bisherigen Methoden noch unbefriedigend sind.

Antikörper patrouillieren im Blut und in Gewebsflüssigkeiten. Sobald sie mit einem ihrer Fühler eine fremde oder kranke Struktur erkennen, auf die sie spezialisiert sind, heften sie sich dort an. Anschließend locken sie Abwehrzellen des Immunsystems, beispielweise Natürliche Killerzellen oder Granulozyten an, die kranke Zellen schließlich abtöten und entsorgen. Mit vielen Krebserkrankungen ist das körpereigene Immunsystem jedoch überfordert. Künstliche Antikörperderivate können dann helfen, die körpereigenen Abwehrzellen gezielt zu aktivieren.

Die Herstellung künstlichen Antikörperderivate erfolgt nach dem Baukastenprinzip. Die Forscher wählen gezielt Elemente mit bestimmten Funktionen aus und konstruieren daraus einen künstlichen Wirkstoff, der in der Grundstruktur mit einem natürlichen Antikörper verwandt ist. Die künstlichen Antikörperderivate der Erlanger Forscher verfügen über zwei Fühler, die jeweils auf eine typische Oberflächenstruktur (Antigen) von entarteter B-Lymphozyten spezialisiert sind. Es handelt sich dabei um die Antigen-Strukturen "CD19" und "HLA-Klasse II". Zwei unterschiedliche Stellen auf den Tumorzellen erkennen zu können ist besonders vorteilhaft, weil es die Zielgenauigkeit des Abwehrsystems erhöht. Gesundes Gewebe bleibt auf diese Weise eher verschont. Darüber hinaus verfügen die Antikörperderivate wie ihre natürlichen Vorbilder über eine dritte Bindungsstelle mit der sie die Abwehrzellen des Immunsystems anlocken. Die Arbeitsgruppe um Professor Fey hat einen Wirkstoff kreiert, der Natürliche Killerzellen bindet. Der Wirkstoff der Arbeitsgruppe um PD Dr. Stockmeyer dagegen knüpft den Kontakt zu Granulozyten.

Die Bausteine für ihre künstlichen Antikörperderivate stellen die Forscher im Labor her. Als Basis dienen verschiedene natürliche Antikörper. Von diesen werden die gewünschten Bindungsstellen mit molekularbiologischen Methoden isoliert, vervielfacht und zu einem neuen Molekül kombiniert. Ergebnis sind kleine aus drei Modulen aufgebaute Antikörper, die als Immunpharmazeutika dienen können - sogenannte trispezifische Antikörperderivate oder Tribodies.

Die Arbeitsgruppe um Professor Fey konnte im Reagenzglas zeigen, dass ihr Tribody Natürliche Killerzellen sehr effizient zur Zerstörung verschiedener bösartiger B-Lymphozyten anregt. "Die Ergebnisse sind sehr ermutigend und lassen hoffen, dass derartige Moleküle körpereigene Immunzellen so aktivieren, dass sie Tumorpatienten eine weitere Chance zur Heilung geben können", freut sich Professor Fey über das Ergebnis. Der Tribody der Arbeitsgruppe Stockmeyer brachte ebenfalls die erwünschte Wirkung: Durch dessen Einsatz wurden Granulozyten aktiviert, entartete B-Lymphozyten effektiv zu zerstören.

Die Ergebnisse der Teams um Stockmeyer und Fey sollen somit zum Erfolg dieser neuen Wirkstoff-Formate beitragen. Die neuen Immunpharmazeutika haben das Potenzial besonders gezielt auf die Tumorzellen zu wirken. Deshalb hoffen die Forscher, dass sie weniger unerwünschte Nebenwirkungen als konventionelle Therapeutika bei den Patienten hervorrufen. Die bessere Verträglichkeit sollte sich insbesondere dadurch ergeben, dass die künstlichen Antikörper die körpereigenen Abwehrkräfte mobilisieren, anstatt diese durch hochtoxische, chemisch synthetisierte Therapeutika lahm zu legen. In Zukunft werden derartige Antikörper-Derivate vermutlich in Kombination mit Chemotherapeutika eingesetzt und sollten es daher ermöglichen, die erforderliche Verabreichungsmenge der Chemotherapeutika beträchtlich zu reduzieren.


Kontakt:
PD Dr. Bernhard Stockmeyer
Universitätsklinikum Erlangen-Nürnberg
Medizinische Klinik 5
Hämatologie und Internistische Onkologie
E-Mail: Bernhard.Stockmeyer@uk-erlangen.de
http://www.medizin5.ukerlangen.de/e1846/e511/index_ger.html

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter:
http://idw-online.de/de/image143696
Vereinfachte Darstellung des Bauplans trispezifischer Antikörpermoleküle. (A) Zwei strukturelle Eigenschaften ermöglichen es Antikörpern, ihre vielfältigen Funktionen auszuüben: zwei identische Bindeköpfe die für ein Antigen spezifisch sind, sowie eine A bschnitt (=Fc-Teil), der die Interaktion mit körpereigenen Abwehrzellen über so genannte Fc Rezeptoren (FcR) vermittelt. (B) Darstellung eines körpereigenen Antikörpers der IgG Klasse sowie einzelner Fragmente und ihre zugehörigen Bezeichnungen. (C) Durc h die Kombination ausgewählter Bausteine verschiedener Antikörper entstehen Antikörpermoleküle mit Spezifitäten für drei verschiedene Antigene (HLA Klasse II, CD19 und FcR).


Die Wilhelm Sander-Stiftung hat das beschriebene Forschungsprojekt mit rund 170.000 Euro gefördert. Stiftungszweck der Stiftung ist die medizinische Forschung, insbesondere Projekte im Rahmen der Krebsbekämpfung. Seit Gründung der Stiftung wurden dabei insgesamt über 190 Mio. Euro für die Forschungsförderung in Deutschland und der Schweiz bewilligt. Die Stiftung geht aus dem Nachlass des gleichnamigen Unternehmers hervor, der 1973 verstorben ist.

Weitere Informationen zur Stiftung:
http://www.wilhelm-sander-stiftung.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/de/institution890


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Wilhelm Sander-Stiftung, Sylvia Kloberdanz, 01.06.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2011