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INFEKTION/1184: Neue Erkenntnisse über die EHEC-Krise werden veröffentlicht (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2012

EHEC

Neue Erkenntnisse über die EHEC-Krise werden veröffentlicht



Neurologische Symptome haben den Verlauf der Infektion stark beeinflusst und führten im UKE oft zur Aufnahme auf die Intensivstation.

Im Mai 2011 hatten sich in Deutschland, vor allem in den nördlichen Bundesländern, 4.794 Menschen (Robert Koch-Institut, Dez. 2011) mit dem EHEC-Erreger infiziert. 852 entwickelten ein hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS). Von diesen Patienten entwickelten etwa 50 Prozent neurologische Symptome. Dies berichtete Prof. Christian Gerloff, Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf (UKE), auf der ANIM 2012 in Berlin. Das durch eine EHEC-Infektion ausgelöste Krankheitsbild ist schon lange bei Kindern bekannt, allerdings sehr selten. Die größte publizierte Fallserie umfasst 24 Fälle aus über 30 Jahren. Diese Zahlen seien nicht vergleichbar mit der letztjährigen EHEC-Epidemie, die eine ganz andere Dimension besaß, betonte Gerloff.

"Ganz wichtig war das frühe Erkennen von Myoklonien, um epileptische Anfälle verhindern zu können."

Die Hamburger Erfahrung aus der EHEC-Krise wurde in drei Studien zusammengefasst, die in Revision bzw. zur Publikation eingereicht sind. Eine Studie beschreibt die neurologischen Komplikationen sowie die neuroradiologischen und histopathologischen Befunde bei 217 Patienten mit HUS, von denen 104 (48 Prozent) neurologische Symptome aufwiesen. Dies ist vermutlich repräsentativ für diese Epidemie. Das Alter der Patienten betrug median 39 bis 42 Jahre, der Frauenanteil überwog mit 70 Prozent deutlich. Die Latenz vom Auftreten des ersten Durchfalls bis zum Auftreten erster neurologischer Symptome lag bei median fünf Tagen.

Interessant war das sehr uneinheitliche Bild der neurologischen Symptome, erläuterte Gerloff, das sich initial sehr diffus mit einem hohen Anteil kognitiver Dysfunktionen, Aphasie, Myoklonien, Hirnnervenausfällen und epileptischen Anfällen zeigte. Im weiteren Verlauf dominierten Aphasien und epileptische Anfälle. Rückblickend kann man sagen, dass die neurologischen Symptome den Gesamtverlauf der Infektion stark mit beeinflusst haben: Sie waren häufig ein Grund für die Aufnahme auf die Intensivstation, die Intubation bzw. die Eskalation der Therapie oder die Einleitung einer Eculizumab-Therapie. Entgegen den anfänglichen Befürchtungen waren die Symptome jedoch weitgehend reversibel. Die meisten Patienten hatten sich nach etwa acht Wochen vollständig erholt.

Autopsien und neuropathologische Untersuchungen von fünf verstorbenen Patienten, die meist über 80 Jahre alt und multimorbide waren, zeigten mögliche Gründe für das gute Outcome: Neben einer Aktivierung der Mikroglia fiel auf, dass die Gefäße nie thrombotisch verschlossen waren. Es traten keine Thrombosen und ischämischen Infarkte auf. Daher konnten sich die meisten Patienten relativ schnell erholen und behielten kaum irreversible Defizite zurück. Die EHEC-Pathologie im Gehirn scheint, anders als in der Niere, eher vereinbar mit einem toxisch-inflammatorischen Krankheitsgeschehen. Das initiale Regime bei HUS mit oder ohne neurologische Ausfälle war die Plasmapherese mit Decortin. Verschlechterte sich der Zustand der Patienten trotz Plasmapherese, erhielten sie in Hamburg den monoklonalen Antikörper Eculizumab. Denn drei an EHEC-HUS erkrankte Kinder konnten laut einer kürzlich im New England Journal of Medicine veröffentlichten Kasuistik mit dem monoklonalen Antikörper erfolgreich therapiert werden. "Ganz wichtig war das frühe Erkennen von Myoklonien, um epileptische Anfälle verhindern zu können", schilderte Gerloff. In der Regel wurde früh antiepileptisch behandelt, v. a. mit Levetiracetam, Phenytoin und auch Valproat.

Die zweite kurz vor der Veröffentlichung stehende Studie analysiert, wie sich die Eculizumab-Therapie auf die Infektion auswirkte. Von 196 HUS-Patienten hatten 83 Prozent neurologische Komplikationen entwickelt. Dieser hohe Anteil zeigt, dass schwere Verläufe vorlagen. Nach acht Wochen lag jedoch bei 85 Prozent der Patienten eine signifikante Besserung vor. Die Mortalität der mit Eculizumab behandelten Patienten betrug Null Prozent. Auch das Outcome, bezogen auf neurologische Residuen, war nach intensiver interdisziplinärer Therapie besser als in den Vorberichten. Es gab keine dauerhaften Komapatienten, keine dauerhaft beatmeten Patienten, keine dauerhaften epileptischen Anfälle und keine Todesfälle.

Die dritte Studie beschreibt intensivmedizinische Aspekte bei 106 Patienten. Diese spezielle Intensivkohorte umfasste besonders stark betroffene Patienten: 37 Prozent hatten eine Sepsis, 62 Prozent neurologische Defizite, 95 Prozent Nierenversagen und 36 Prozent mussten intubiert werden. Die 28-Tage-Mortalität in dieser Kohorte betrug vier Prozent und war damit mit der Gesamtmortalität in Deutschland vergleichbar.

"Insgesamt war das Outcome der Patienten sehr gut, obwohl der allgemeine Eindruck vorlag, dass dieser spezielle EHEC-Serotyp problematischer war als die üblichen OH:157-Serotypen des Erregers", so Gerloffs positives Fazit für die Neurointensivmedizin in Deutschland. Die Bewältigung der EHEC-Epidemie spricht dafür, dass die Neurointensivversorgung und das interdisziplinäre Management dieser schwerkranken Patienten in Deutschland sehr gut funktioniert haben.

Die Gesamtmortalität in Deutschland durch EHEC lag bei etwa vier Prozent. Das ist vergleichbar mit der Mortalitätsrate der Intensivkohorte. Verglichen damit war das Outcome der vorgestellten Eculizumab-Gruppe mit Null Prozent Mortalität sehr gut. Auch war der Einsatz des Antikörpers sicher. Von großer Bedeutung war das intensivmedizinische Management, denn jeder zweite Patient auf der Intensivstation musste für ca. eine Woche beatmet werden.

Der EHEC-Serotyp, der in Hamburg die Epidemie ausgelöst hat, haftet sehr stark an den Darmepithelien und produziert etwa drei Mal so viel Shiga-Toxin wie andere EHEC-Erreger. Das Toxin bindet an den Gb3-Rezeptor, der u. a. in der Niere und auch im ZNS exprimiert wird. Der toxische Effekt wird durch die Hemmung der Proteinsynthese, aber auch durch proinflammatorische Signalwege vermittelt. Das führt zu einer mikroangiopathischen hämolytischen Anämie mit Thrombozytopenie und in vielen Fällen zu Nierenversagen. Im Gehirn scheint jedoch eine andere Pathologie vorzuliegen. (PM/Red)


• Neuer EHEC-Fall

Ein sechsjährige Mädchen aus Hamburg-Altona, das vor kurzem an den Folgen einer EHEC-Erkrankung verstorben ist, war nicht an dem Erregertyp O104 erkrankt. Dies konnte nach Mitteilung der Hamburger Gesundheitsbehörde Ende Februar mittels eines Schnelltests ausgeschlossen werden. Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia PrüferStorcks wertete die fehlende Übereinstimmung der Erreger als "sehr beruhigendes Ergebnis". Der Erregertyp O104 hatte 2011 in Deutschland eine EHEC-Epidemie ausgelöst. Um welchen Erregertyp es sich in diesem Fall handelt, ist noch unklar. Die weiteren Untersuchungen im Hamburger Institut für Hygiene und Umwelt dauerten über den Redaktionsschluss hinaus an. (Red)

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2012 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2012/201203/h12034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Prof. Christian Gerloff

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt März 2012
65.‍ ‍Jahrgang, Seite 44 - 45
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2012