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HERZ/506: Neues Operationsverfahren für Neugeborene mit schwerem Herzfehler (idw)


Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg - 12.04.2011

Uni-Klinikum Erlangen glückt erstmals weltweit neuartiges Operationsverfahren


Erstmals weltweit wurde jetzt im Universitären Herzzentrum Erlangen ein komplett neues Operationsverfahren für Neugeborene mit schwerem Herzfehler erfolgreich angewandt. Ein 14-Tage altes Mädchen, bei dem nur die rechte Herzkammer ausreichend und die linke Herzkammer und herznahe Hauptschlagader nur verkümmert angelegt war (hypoplastisches Linksherzsyndrom), wurde vom Erlanger Kinderherzchirurgen Prof. Dr. Robert Cesnjevar und seinem Team am 31. März 2011 mit der neuen Methode operiert.

Im Rahmen einer Pressekonferenz stellten der Ärztliche Direktor des Uni-Klinikums, Prof. Dr. Heinrich Iro, heute zusammen mit Prof. Cesnjevar (Leiter der Kinderherzchirurgischen Abteilung) die neue Operationsmethode und die kleine Patientin Franziska R. vor.

In Deutschland kommen etwas 8.000 Kinder pro Jahr mit einem Herzfehler auf die Welt, etwa 50 bis 80 davon sind sogenannte Linksherzhypoplasten. Ohne Behandlung führt dieser Herzfehler für die betroffenen Kinder in den ersten Lebenstagen unweigerlich zum Tod. Seit 27 Jahren gab es nur das relativ komplexe und risikobehaftete Norwood-I-Verfahren mit einer durchschnittlichen Sterblichkeitsrate von rund 30 %. Das nun im Universitären Herzzentrum Erlangen entwickelte "MERLIN-Verfahren" (Modified-Erlangen-Less-Invasive-Norwood-Operation) ist - seitdem die Norwood-Operation 1984 durch William Norwood eingeführt wurde - die erste echte neuartige Operationsmethode der Kinderherzchirurgie.

Obwohl die Operationsergebnisse der Erlanger Kinderherzchirurgie auch für das Norwood-Verfahren mit einem Risiko von unter 15 % als überdurchschnittlich gut gelten, hat es sich das Team um Prof. Cesnjevar seit mehreren Jahren zur Aufgabe gemacht, ein neues und besseres Operationsverfahren für diesen ersten Behandlungsschritt auf den Weg zu bringen. Erste Planungen und OP-Skizzen dazu entstanden im interdisziplinären Dialog und wurden über mehrere Jahre bis zur Planungsreife gebracht. Ziel war es, mit einem neuen OP-Verfahren die Sterblichkeit des ersten Behandlungverfahren für Linksherzhypoplasten auf das Niveau von anderen Neugeborenenoperationen (5 bis 7 %) zu senken. Unumgänglich beim neuen Verfahren sind auch wie bei der Norwood-Operation aufgrund der kindlichen Wachstumsphasen zwei weitere Herz-Operationen im Alter von vier Monaten und von 2 Jahren. "Danach gelten die Kinder als geheilt und können ein völlig normales Leben führen", sagte Prof. Cesnjevar.

MERLIN-Methode ist schonender für Herzmuskel und Lungenarterie

Das Neuartige an der Erlanger MERLIN-Methode ist, dass die Kinderherzchirurgen im ersten Behandlungsschritt auf komplexe Abschnitte der Norwood-Operationsmethode verzichten. Statt einer aufwändigen Aortenbogenrekonstruktion wird das Blut aus dem Lungenarterienstamm direkt mit der Körperschlagader verbunden. Die Lungendurchblutung wird über ein zentrales Drosselventil (Banding) reguliert. Auf Nähte am Herzmuskel oder in den Lungenarterien wird verzichtet. "Das Verfahren bedeutet eine geringere Belastung für den Patienten, da ein Großteil der Operation am schlagenden Herzen ausgeführt werden und die Sauerstoffversorgung des Gehirns während der Operation durch einen separaten Kreislauf immer gewährleistet ist", sagt Prof. Cesnjevar. Da die Lungenarterien und der Herzmuskel des Einkammersystems bei der Erlanger Methode nicht direkt operiert werden, würden im Verlauf Engstellen am Lungenarteriensystem und Schäden an der Kammermuskulatur vermieden. Die Folge: der Herzmuskel kann nach der Operation "unbeschwerter" seiner ohnehin schon schwierigen Funktion nachgehen.

An dem neuen Operations-Verfahren wurde lange getüftelt, bis es erstmals zur Anwendung kommen sollte. Bevor es soweit war, musste eine unabhängige Ethik-Kommission über die Anwendung entscheiden, da es sich um ein komplett neues noch nicht evaluiertes Behandlungsverfahren handelt.

Erste Patientin kam aus Landkreis Amberg-Sulzbach

Die neue OP-Methode wurde weltweit erstmals bei Franziska R. angewendet. Das Kind wurde mit einem hypoplastischen Linksherzsyndrom im Klinikum Amberg geboren. Vor der Geburt war den Eltern, Stefan (33) und Eva-Maria R. (29) aus dem Landkreis Amberg-Sulzbach, die Diagnose ihres ersten Kindes nicht bekannt. Nach der Geburt wurde Franziska zunächst als "gesundes Kind" nach Hause entlassen. Anzeichen für eine Herzerkrankung gab es nicht, da verschiedene Kurzschlussverbindungen zwischen den Herzkammern und den großen Gefäßen noch offen waren. Als sich diese am achten Tag nach der Geburt langsam verschlossen, kam es zu einem Kreislaufzusammenbruch. Franziska wurde im Kinderkrankenhaus Amberg aufgenommen. Dort wurde von den behandelnden Ärzten sofort die korrekte Diagnose gestellt, alle notwendigen Maßnahmen wurden sofort eingeleitet. Anschließend wurde Franziska intubiert und beatmet nach Erlangen ins Universitäre Herzzentrum verlegt. Nach rascher Stabilisierung des Kreislaufs durch das Team von Prof. Dr. Sven Dittrich (Leiter der Kinderkardiologischen Abteilung am Uni-Klinikum) wurde Franziska bis zur Operation intensivmedizinisch überwacht. Die Eltern wurden über die geplante neuartige Behandlungsmethode umfassend aufgeklärt und hatten 48-Stunden Bedenkzeit, um sich für die neue Operationsmethode auszusprechen. Franziska wurde dann am Donnerstag, 31. März 2011, operiert. Der Eingriff dauerte sechs Stunden und verlief unkompliziert. Franziska wurde mit stabiler Sättigung und gut pumpendem Herz auf die Kinderintensivstation verlegt. Über Nacht kam es zu einem Rückgang der Urinausscheidung. Dies deutete auf eine relative Mangeldurchblutung der Nieren hin. Am 01.04.2011 musste deshalb der Brustkorb wieder eröffnet und das Drosselventil "nachgezogen" werden. Der Brustkorb der Patientin wurde danach sicherheitshalber offen belassen und konnte am 04.04.2011 komplikationslos wieder verschlossen werden. Nun war die Balance zwischen den Kreisläufen ideal und man ließ Franziska langsam wieder aufwachen. Die Entwöhnung von der Beatmung gelang kurz darauf am 06.04.2011. Heute (12.04.11) konnte Franziska von der Intensivstation wieder auf eine Normalstation verlegt werden.


Mehr Informationen:
Prof. Dr. Robert Cesnjevar
kinderherzchirurgie@uk-erlangen.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/de/institution18


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Pascale Anja Dannenberg, 12.04.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2011