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DEMENZ/279: Alzheimer-Demenz im Keim ersticken - behandeln, bevor das Vergessen einsetzt (idw)


Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. - 21.09.2016

Alzheimer-Demenz im Keim ersticken: behandeln, bevor das Vergessen einsetzt


Alzheimer ist kein unabwendbares Schicksal. "Wir haben Grund zur Hoffnung, dass Alzheimer und andere Demenzen gebremst oder gar verhindert werden können", sagt Professor Richard Dodel von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie am heutigen Welt-Alzheimertag, dem ersten Tag des Neurologenkongresses in Mannheim, der noch bis Samstag tagt. Entscheidend dafür sei aber, Personen mit hohem Demenzrisiko frühzeitig zu identifizieren und gegenzusteuern, solange sie kognitiv noch gesund sind. Die Forschung arbeitet derzeit mit Hochdruck an dieser neuen Strategie: Risikofaktoren zu erkennen, die den schleichenden geistigen Verfall ankündigen, und Wege zu testen, ihn zu stoppen.

Die neuesten Ergebnisse werden auf dem Neurologen-Kongress in Mannheim vorgestellt. "Wir haben außerdem zuverlässige Daten, die belegen, dass ein gesunder und aktiver Lebensstil vor Alzheimer schützt", betont der Chefarzt des Geriatrie-Zentrums Haus Berge in Essen. "Als Faustregel gilt: Was für das Herz gut ist, hilft auch dem Gehirn." Die neue S3-Leitlinie Demenzen der DGN und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) empfiehlt, insbesondere Diabetes, Bluthochdruck und Übergewicht im Auge zu behalten.

Die Suche nach einem Heilmittel für Alzheimer kommt nicht recht voran. "Wir treten bei der Behandlung von Patienten im Stadium der Demenz trotz intensiver Forschung auf der Stelle", sagt Professor Richard Dodel aus Essen, der seit Kurzem als erster Neurologe einen Lehrstuhl für Geriatrie innehat. "Zuletzt sind fast alle klinischen Medikamentenstudien, die vielversprechend gestartet sind, ohne die gewünschten Ergebnisse geblieben." Dennoch gibt es Grund zur Hoffnung. Denn die jüngste Forschung hat entscheidende neue Erkenntnisse über die Entstehung der Alzheimer-Krankheit hervorgebracht. "Daraus ergeben sich innovative Ansatzpunkte für präventive Therapiemöglichkeiten", sagt Dodel.

Vorbeugen ist besser als Heilen - Umdenken bei Medikamentenstudien

Alzheimer schlägt nicht von heute auf morgen zu, sondern entwickelt sich schleichend. In den letzten Jahren wurde eine Reihe von Faktoren identifiziert, die die Krankheit ankündigen, bevor der geistige Abbau für den Patienten spürbar wird. Dazu zählen Biomarker wie Amyloid und Tau, genetische Mutationen oder bekannte Risikofaktoren wie der Fettstoffwechselmarker Apolipoprotein E. Auf dieser Grundlage hat die Demenz-Forschung unter dem Motto "Vorbeugen ist besser als Heilen" jetzt eine ganz neue Zielgruppe ins Visier genommen: kognitiv gesunde Personen mit einem hohen Risikoprofil. Aktuell laufen insbesondere in den USA Studien, in denen Patienten, die zwar ein Risikoprofil haben, aber noch keinerlei kognitive Einschränkungen aufweisen, gezielt medikamentös behandelt werden.

Hierzu gehören unter anderem die A4 Study (Anti-Amyloid Treatment in Asymptomatic AD), die Alzheimer's Prevention Initiative (API) und die DIAN-Study, an der auch deutsche Zentren beteiligt sind. Die Studien finden in einer Kooperation von Universitäten und Industrieorganisationen, die die Substanzen zur Verfügung stellen, statt. "Die präsymptomatische Behandlung ist ein vielversprechender Ansatz. Das zeigt sich auch darin, dass der amerikanische Präsident Barack Obama für die Erforschung über 200 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt hat", sagt Dodel. Bei diesen Studien, die auf mindestens drei Jahre angelegt sind, werden aber vor 2018 keine Ergebnisse zu erwarten sein.

Alterskrankheit Demenz

Derzeit leben in Deutschland geschätzt 1,4 Millionen Demenzkranke. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, weil sie älter werden und Demenz eine Erkrankung der Ältesten ist. Menschen unter 65 erkranken nur sehr selten an Alzheimer und anderen Demenzen, ab dem 75. Lebensjahr steigen die Fallzahlen deutlich. Mit dem Altern der Bevölkerung wird in den kommenden Jahrzehnten voraussichtlich auch die Zahl der Demenzkranken weiter zunehmen. Wie stark der Anstieg in Deutschland ausfällt, wird davon abhängen, wie sich das Erkrankungsrisiko entwickelt. Aus anderen Ländern gebe es bereits Hinweise auf eine Abnahme der Neuerkrankungsraten für Demenz, meldet das Robert Koch-Institut. Diese Entwicklung sei vor allem durch zunehmende Bildung, Verbesserungen im Gesundheitsverhalten, zum Beispiel bei Ernährung und Bewegung, und durch den Rückgang kardiovaskulärer Erkrankungen zu erklären. Je nach Erfolg der Prävention und der Entwicklung der Neuerkrankungsraten rechnen Robert Koch-Institut und Statistisches Bundesamt in Deutschland bis 2050 mit einem Anstieg auf 2 bis 3 Millionen Personen mit Demenz.

1 Million weniger Alzheimer-Fälle durch gesünderes Leben und mehr Bildung

Ob man an Alzheimer erkrankt und wie schnell die Demenz voranschreitet, ist nicht nur Schicksal. Manche Risikofaktoren sind veränderbar, das haben zuverlässige Studien belegt. Als gesichert gilt, dass Diabetes mellitus, Übergewicht, niedrige Bildung, Rauchen, mangelnde Bewegung, Depression und Bluthochdruck für bis zur Hälfte aller Alzheimer-Fälle verantwortlich sind (Barnes und Yaffe, Lancet Neurol 2011). "Darin steckt auch eine gute Nachricht", sagt Dodel, "wenn wir diese Risikofaktoren in den Griff bekommen, könnte sich die Zahl der Alzheimer-Patienten weltweit um eine Million reduzieren." Neue Daten, die auf dem DGN-Kongress in Mannheim präsentiert werden, bestätigen außerdem den vorbeugenden Effekt von Sport, gesunder Ernährung und kognitivem Training (Ngandu et al. Lancet 2015). "Die Chance, bis ins hohe Alter geistig leistungsfähig zu bleiben, steigt, wenn der Mensch aktiv bleibt - sozial, geistig und körperlich", fasst Dodel zusammen.


Literatur:

- S3-Leitlinie Demenzen 2016:
www.dgn.org

- Robert Koch-Institut (Hrsg.) (2016) Gesundheit in Deutschland - die wichtigsten Entwicklungen. Gesundheitsberichterstattung des Bundes

- Barnes DE, Yaffe K. The projected effect of risk factor reduction on Alzheimer's disease prevalence. Lancet Neurol 2011; 10(9): 819-28 (doi: 10.1016/S1474-4422(11)70072-2)

- Ngandu T et al. A 2 year multidomain intervention of diet, exercise, cognitive training, and vascular risk monitoring versus control to prevent cognitive decline in at-risk elderly people (FINGER): a randomised controlled trial. Lancet 2015; 385(9984): 2255-63 (doi: 10.1016/S0140-6736(15)60461-5)

- Moll van Charante EP et al. Effectiveness of a 6-year multidomain vascular care intervention to prevent dementia (preDIVA): a cluster-randomised controlled trial. Lancet 2016; 388(10046): 797-805 (doi: 10.1016/S0140- 6736(16)30950-3)

Fachlicher Kontakt bei Rückfragen
Prof. Dr. Richard Dodel
Geriatrie-Zentrum Haus Berge, Klinik für Geriatrie
Germaniastraße 1-3, Uniklinikum Essen, 45356 Essen
E-Mail: richard.dodel@uk-essen.de

Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
c/o albertZWEI media GmbH, Englmannstr. 2, 81673 München
E-Mail: presse@dgn.org
Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener

• Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren mehr als 8000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin.
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.
Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen, 21.09.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. September 2016

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