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ALLERGIE/376: Interview - Feinstaub und Mikroplastik ... wie wir mit der Gesundheit spielen (AAK)


Familien-Allergie-Forum in Herborn - 24. Mai 2019
Arbeitsgemeinschaft Allergiekrankes Kind - Hilfen für Kinder mit Asthma, Ekzem oder Heuschnupfen (AAK) e.V.

Interview mit Herrn Prof. Dr. med. Schweisfurth - Teil 2:

Feinstaub und Mikroplastik - wie wir mit der Gesundheit spielen


Welche Auswirkungen kann Feinstaub auf die Gesundheit haben? Was macht Mikroplastik im menschlichen Körper? Sind Kinder empfindlicher? Professor Dr. Hans Schweisfurth zeigt im Interview die Gefahren für den Menschen durch die Umweltbelastungen auf und wie wir sie vermeiden können. Schweisfurth ist Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie, Allergologie, Schlafmedizin, medikamentöse Tumortherapie, Umweltmedizin und Rehabilitationswesen. Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Allergiekrankes Kind (AAK) wird er beim Kinder-Allergie-Forum am 1. Juni in Herborn über "Krankheiten durch Klimawandel und Umweltbelastungen" sprechen.


Herr Professor Schweisfurth, es gibt verschiedene Arten von Feinstaub. Welche sind das?

Prof. Schweisfurth: "Der sogenannte inhalierbare Feinstaub ist ein Staub, der im Rachen und in Bronchien aufgenommen wird. Dies ist abhängig von der Partikelgröße. Der Feinstaub, der auch in die Bronchien reingeht, hat einen Durchmesser von zehn Mikrometern. Es gibt lungengängigen Feinstaub. Diese Partikel sind noch kleiner, und zwar 2,5 Mikrometer im Durchmesser. Der ultrafeine Feinstaub hat einen Durchmesser von 0,1 Mikrometern. Feinstaub ist also vorhanden. Er besteht aus Schwefel- und Nitratverbindungen, aus Kohlenstoff, aus Ammoniak, aus Mineralien und aus organischen Bestandteilen wie Pollen oder Pollenfragmenten."


Was passiert mit dem Feinstaub, wenn er eingeatmet wird?

Prof. Schweisfurth: "Am gefährlichsten ist ganz kleiner Feinstaub von einer Größe von 2,5 Mikrometern und kleiner. Er gelangt über die Bronchien in die Lungenbläschen und von dort in die Gefäße. Wenn er einmal in den Gefäßen ist, wird er im gesamten Körper verteilt. Die Belastung durch Feinstaub ruft Akuterkrankungen hervor, wie beispielsweise bei einem Asthmatiker einen Asthmaanfall, wenn er diesen Feinstaub an der Kreuzung auf der Straße einatmet. Er löst auch chronische Belastungen aus und viele Erkrankungen, die letztendlich durch diesen Feinstaub verursacht werden. Das sind Ergebnisse, die erst in den letzten Jahren rausgekommen sind."


Was verursacht Feinstaub bei Kindern?

Prof. Schweisfurth: "Bei Kindern verursacht Feinstaub ein vermindertes Lungenwachstum. Je mehr Feinstaub die Babys und die Kinder einatmen, desto geringer ist dieses Wachstum. Das heißt, die Lunge bleibt klein und wird nicht so groß wie bei einem Erwachsenen. Wenn die Lunge klein bleibt, gibt es Schwierigkeiten bei bereits niedriger Belastung wie beim Laufen. Das kann man anhand eines Lungenfunktionstests sehen. Mit einer kleinen Lunge kommen später die Krankheiten hinzu wie beispielsweise Asthma oder im schlimmsten Fall der Lungenkrebs."


Wie sieht es bei Erwachsenen aus?

Prof. Schweisfurth: "Es gibt Untersuchungen laut denen der Lungenkrebs unter Feinstaubbelastung zunimmt. Dies hat sich in den letzten Jahren immer mehr herauskristallisiert. Um 22 Prozent nimmt die Lungenkrebsrate zu in bestimmten Städten, wurde in den Untersuchungen festgestellt. Es gibt natürlich die Herz-Kreislauf-Erkrankungen - der Feinstaub gelangt, wie schon gesagt, in die Gefäße und somit auch in die kritischen Organe. Dies gilt vor allem für das Herz. Das heißt, der Feinstaub gelangt in die Herzkranzgefäße und löst dort eine Entzündung aus. Diese Entzündung sorgt dafür, dass die Herzkranzgefäße verstopft werden, was zum Herzinfarkt führt. Die Herzinfarktrate ist weitaus höher bei Menschen, die Feinstaub über Jahre eingeatmet habe, auch wenn sie kein Raucher waren. Auch Herzrhythmusstörungen können entstehen. Je weniger Blut in den Herzmuskel reinkommt, desto mehr Herzstolpern gibt es. Dadurch erlahmt der Herzmuskel, es entsteht eine Herzschwäche. Ein weiterer Faktor ist, dass dadurch als Gegenreaktion der Blutdruck ansteigt."


Wie und was können Eltern tun, um die Feinstaubbelastung für ihr Kind so gering wie möglich zu halten?

Prof. Schweisfurth: "Man muss die Regionen mit hoher Feinstaubbelastung meiden. Das Kind kann nicht in der Straße beispielsweise in Berlin joggen oder spielen, wenn hohe Feinstaubkonzentration da ist. Durch Spielen, durch Bewegung wird mehr geatmet. Je mehr geatmet wird, desto mehr Feinstaub kommt in die Lunge rein. Am Tag atmen wir etwa 10.000 bis 20.000 Liter Luft ein, das ist etwa ein Fesselballon. Wenn wir nun joggen oder uns belasten, steigt diese Menge um bis zum achtfachen. Da wird dann viel mehr Feinstaub eingeatmet wie wenn ich in Ruhe bin. Auch Kohlekraftwerke sollte man meiden. Da sind zwar schon Filter eingebaut worden, aber dennoch ist die Belastung hoch."


Wie sieht es im ländlichen Raum aus? Hat dort auch die Feinstaubbelastung zugenommen?

Prof. Schweisfurth: "Das ist abhängig von den ländlichen Betrieben. Dort, wo es Massentierhaltung gibt, da ist die Feinstaubbelastung sehr hoch. Durch diese Tiere wird Feinstaub produziert, das hängt mit der Gülle zusammen. Dadurch entsteht Ammoniak, das mit der Gülle auf die Felder gefahren wird. Ammoniak bindet die Feinstaubpartikel. Auch da muss man sich von diesen Anlagen entfernen. Anders gesagt, die darf es gar nicht mehr geben, auch wegen Tierschutz, der Fleischqualität, der Umweltverschmutzung. Der kleine Landwirt muss sich da aber keine Gedanken machen."


Thema Mikroplastik und seine Auswirkungen auf die Gesundheit. Wie kommt Mikroplastik in den Körper?

Prof. Schweisfurth: "Ein Problem sind Mikroplastik und Nanoplastik in Böden, also im Acker. In den letzten zehn Jahren waren die Böden noch unbelastet. Dies hat sich extrem geändert durch den Plastikwahn. In jedem Acker, aus dem geerntet wird, ist Mikroplastik. Das kommt daher, dass die Kläranlagen die Partikel nicht ausscheiden könne. Das gereinigte Wasser enthält immer noch Mikroplastik."


Was passiert damit?

Prof. Schweisfurth: "Das geht in die Böden und ins Grundwasser. Auch im Klärschlamm sind die Mikroplastikpartikel drin, und dieser Klärschlamm wird als Dünger auch auf die Felder gefahren. Das kann man ganz gut feststellen: Wenn Sie aufs Feld gehen, sehen sie mit dem bloßen Auge etwas größere Bestandteile, das sind die Plastikfasern. Wenn Sie Erde unters Mikroskop legen, finden Sie extrem viele Mikroplastikteilchen. Dies geht letzten Endes in die Nahrungskette und wird vom Menschen aufgenommen. Die Tiere fressen beispielsweise Gras. Wenn sie geschossen werden, sind sie voller Mikroplastik. Es ist extrem schwierig, das zu erkennen, aber es ist so. Wenn man die Tier näher untersucht, findet man in den Muskeln Mikroplastikteile, die dann wieder von uns gegessen werden. Das gleiche gilt für die Meerestiere, die durch die Vermüllung der Meere voller Mikroplastik sind."


Was macht das Mikroplastik im menschlichen Körper, wenn wir es nun essen?

Prof. Schweisfurth: "Die Teilchen zerfallen und geben Stoffe ab, vor allem Weichmacher. Weichmacher sind Phthalate und andere chemische Stoffe, die freigesetzt werden. Der Mensch nimmt diese über die Nahrung, über die Haut und über die Atmung auf. Kinder, die alles in den Mund stecken, nehmen auch Plastikteile in den Mund und auch da werden die Weichmacher freigesetzt. Es gibt ganz wenige Spielzeuge, bei denen die meisten Weichmacher entfernt wurden. Dann gibt es noch Bisphenol, das ebenfalls aufgenommen wird aus den Plastikpartikeln. Es hat eine unangenehme Eigenschaft: Es greift das Hormonsystem an. Der Erwachsene reagiert zwar, aber extrem empfindlich reagieren Kleinkinder, Babys und Ungeborene. Das kann zu schwerwiegenden Gesundheitsschädigungen führen. Es gibt Hinweise auf Gehirn- und Organentwicklungsstörungen. Das ist ganz gefährlich. Bei Erwachsenen können die Bisphenole unter anderem eine Zuckerkrankheit, Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Endometriose und Brustkrebs bei Frauen und verminderte Spermienzahl bei Männern auslösen. Kinder können extreme Verhaltensauffälligkeiten bilden, wenn sie viel mit Plastik spielen. Auch Übergewicht bei Kindern kann damit zu tun haben."


Wie kann man Mikroplastik aus dem Weg gehen?

Prof. Schweisfurth: "Die EU-Staaten haben am 21.05.2019 beschlossen, dass bestimmte Dinge verboten werden. Ohrstäbchen, Plastikgeschirr, Essensbehälter, Getränkeflaschen, Plastiktüten, Folien - das soll alles abgeschafft werden. Aber nicht heute, sondern es geht 2021 los. Eigentlich viel zu spät. Der Weg ist der richtige - das Zeug darf nicht mehr hergestellt werden in Europa. Das Plastik, das noch übrig bleibt, muss richtig recycelt werden. Deutschland macht da schon viel. 80 Prozent wird in Deutschland recycelt, es geht nicht in die Umwelt wie in anderen Ländern. Plastik muss von den gefährlichen Stoffen befreit werden - das ist Sache der Industrie. Die Produktion muss umgestellt werden. Es gibt Kosmetikhersteller, die Mikroplastik komplett aus der Produktion, beispielsweise ihrer Cremes, herausgenommen haben. Aber der Verbraucher darf Produkte mit Mikroplastik nicht mehr kaufen, dann wird der Hersteller schon reagieren. Der Verbraucher muss allerdings auch informiert sein, aber das ist er nicht, und er muss verstehen, dass es etwas kostet, wenn er gesund leben will."


Das Interview wurde geführt von Katharina Weber.

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Über die AAK: Die Arbeitsgemeinschaft Allergiekrankes Kind - Hilfen für Kinder mit Asthma, Ekzem oder Heuschupfen (AAK) e.V. - steht für regionale und überregionale Austauschmöglichkeiten durch Kinder-Allergie-Foren, Betroffenenkontakte und Informationssammlungen, persönlich und im Internet. Sie tritt für die Rechte der Kinder im gesundheits-umwelt-politischen Bereich ein. Selbsthilfe gibt Betroffenen die Möglichkeit zu einem wertvollen krankheitsrelevanten Erfahrungsaustausch und breiter unabhängiger Information.

Die Erfahrungen unterschiedlicher Krankheitsverläufe, Alltagsfragen und -tipps sowie unabhängige Informationen tragen erfahrungsgemäß zu einer positiveren Bewältigung des täglichen Lebens bei.

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Quelle:
Arbeitsgemeinschaft Allergiekrankes Kind - Hilfen für Kinder mit Asthma, Ekzem oder Heuschnupfen (AAK) e.V.
Pressemitteilung vom 24. Mai 2019
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2019

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