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POLITIK/1720: Gesundheitsökonomen stellen Reformprogramm für mehr Transparenz im Gesundheitswesen vor (idw)


Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. - 24.09.2010

Gesundheitsökonomen stellen Reformprogramm für mehr Transparenz und Wettbewerb im Gesundheitswesen vor


Auf das deutsche Gesundheitswesen kommen große Herausforderungen zu. Mehr Effizienz, Transparenz und Wettbewerb sind nötig, um drohende Finanzierungsengpässe zu vermeiden. Gesundheitsökonomen des RWI, der Universität Duisburg-Essen und der ADMED GmbH haben gemeinsam ein umfassendes gesundheitspolitisches Reformprogramm erarbeitet, das sowohl die von der Finanzierung bestimmte Nachfrage als auch das durch die einzelnen Leistungserbringer geprägte Angebot einbezieht und sich am Ziel der ökonomischen Effizienz unter Berücksichtigung der sozialen Gerechtigkeit orientiert.

Das Gesundheitswesen ist eine der bedeutendsten Branchen der deutschen Wirtschaft. Die demografische Entwicklung, der medizinisch-technische Fortschritt und ein gestiegener Wohlstand haben dazu geführt, dass die Ausgaben für Gesundheit in den vergangenen Jahrzehnten überproportional gestiegen sind. Es spricht vieles dafür, dass sich dies fortsetzt und die Gesundheitswirtschaft zu einem wichtigen Wachstumsmotor der deutschen Volkswirtschaft werden könnte. Dafür müsste es der Politik jedoch gelingen, einerseits die absehbaren Engpässe der Finanzierung durch Reformen der Kranken- und Pflegeversicherung zu verhindern und andererseits die Effizienz der Leistungserbringung durch mehr Transparenz und den Ausbau von Wettbewerbselementen zu steigern. Andernfalls würden wachsende Defizite auf der Finanzierungsseite und ineffizienter Ressourceneinsatz bei den Leistungserbringern ein produktives Wachstum des Gesundheitswesens und die damit verbundenen Wohlfahrtsgewinne eher früher als später beenden.
Die Gesundheitsökonomen Dr. Boris Augurzky (RWI),
Prof. Dr. Stefan Felder (Universität Duisburg-Essen),
Dr. Sebastian Krolop (ADMED GmbH, Healthcare-Unternehmensberatung),
Prof. Dr. Christoph M. Schmidt (RWI) und
Prof. Dr. Jürgen Wasem (Universität Duisburg-Essen)
schlagen ein umfassendes gesundheitspolitisches Reformprogramm vor, das sich am der ökonomischen Effizienz orientiert und gleichzeitig die soziale Gerechtigkeit berücksichtigt. Es nimmt dabei beide Seiten des Marktes in den Blick - sowohl die von der Finanzierung bestimmte Nachfrage als auch das durch die einzelnen Leistungserbringer geprägte Angebot. Krankenversicherungssystem vereinheitlichen und stärker regionalisieren Auf Seiten der Finanzierung, zu denen gesetzliche und private Krankenversicherungen sowie die Soziale Pflegeversicherung gehören, plädieren die Experten langfristig für ein vereinheitlichtes System. An die Stelle von derzeit nebeneinander existierenden gesetzlichen und privaten Krankenkassen sollte eine solidarisch finanzierte Grundsicherung mit einem klar definierten Leistungskatalog treten.

Darüber hinaus gehende Leistungen sollten über private Zusatzversicherungen abgedeckt werden. In der Grundsicherung sind Zusatzprämien zur Finanzierung des Wachstums der Gesundheitsausgaben - wie durch die aktuelle Gesundheitsreform vorgeschlagen - ein richtiger Schritt. Der dafür notwendige Sozialausgleich sollte allerdings mittelfristig über das Steuersystem erfolgen. Dies wäre gerechter, weil so neben dem Lohneinkommen auch andere Einkommensarten berücksichtigt würden. Schließlich wäre schon kurzfristig eine Regionalisierung der Zusatzprämien möglich, so dass Bedürfnisse der regionalen Bevölkerung besser abgebildet werden könnten.

Das Reformprogramm enthält darüber hinaus weitere zahlreiche konkrete Vorschläge für kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen, die entsprechend noch in dieser und in der nächsten Legislaturperiode begonnen beziehungsweise umgesetzt werden sollten. Dazu gehört beispielsweise kurzfristig die Einführung von Bonus-/Malus-Regelungen oder Konsumsteuern, die die Eigenverantwortung der Versicherten stärken. Mittelfristig wird für Versicherte der zusätzliche Abschluss einer privaten, staatlich geförderten Pflegeversicherung vorgeschlagen, mit der diese sich gegen den zu erwartenden steigenden Eigenanteil an den Pflegekosten absichern können.

Auf Seiten der Leistungserbringer, zu denen die Bereiche stationäre und ambulante Akutversorgung und Pflege sowie Rehabilitation, Vorsorge, Arzneimittel und Apotheken gehören, möchten die Experten insbesondere durch mehr Transparenz den Wettbewerb stärken, Kosten-Nutzen-Bewertungen verankern sowie Sektorengrenzen überwinden.

Auch hierfür werden zahlreiche kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen angeregt. So plädieren die Gesundheitsökonomen unter anderem dafür, kurzfristig die Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung abzubauen, um mehr Wettbewerb und damit ein differenzierteres Angebot für die Versicherten zu ermöglichen. Auch sollten größere betriebliche Einheiten im ambulanten Bereich gefördert werden und die Krankenversicherungen viel stärker mit einzelnen Leistungserbringern über Preise und Leistungen verhandeln können. Langfristig sollte daran gearbeitet werden, in der Akutversorgung im ländlichen Raum vor allem die medizinische Not- und Erstversorgung zu gewährleisten. Das ist aus Sicht der Experten nicht nur unter wirtschaftlichen Aspekten sinnvoll. Auch was die Behandlungsergebnisse angeht, schneiden spezialisierte Zentren, möglicherweise in größerer räumlicher Distanz, häufig besser ab als ein gering ausgelastetes, wenig spezialisiertes kleines Krankenhaus. Im Pflegebereich sollten mittelfristig die Heimgesetze der Bundesländer reduziert und vereinheitlicht werden. Das Mehr- und Fremdbesitzverbot bei Apotheken sollte aufgehoben und der Erstattungspreis neuer Arzneimittel an eine Kosten-Nutzen-Bewertung gekoppelt werden.


Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.rwi-essen.de/positionen

Dieser Pressemitteilung liegt die RWI : Position #38
"Ein gesundheitspolitisches Reformprogramm" zugrunde.
Sie ist unter
http://www.rwi-essen.de/positionen
als pdf-Datei erhältlich.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution145


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung e.V.
Joachim Schmidt, 24.09.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2010