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POLITIK/1700: Kabinett beschließt Eckpunkte zur Arzneimittelversorgung (BMG)


Bundesministerium für Gesundheit - Mittwoch, 28. April 2010

Kabinett beschließt Eckpunkte zur Arzneimittelversorgung

Minister Dr. Rösler: "Neue Balance ist auf den Weg gebracht"


Das Kabinett hat heute die vom Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler vorgelegten Eckpunkte zur Umsetzung des Koalitionsvertrages für die Arzneimittel-versorgung beschlossen.

Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler: "Mit dem Maßnahmenbündelsichern wir die medizinische Versorgung der Menschen und die Innovationsfähigkeit in Deutschland. Das Paket ist ein Dreiklang von kurzfristig wirksamen Maßnahmen, Deregulierung und strukturellen, langfristig wirksamen Veränderungen. Der Zugang zu neuen, innovativen Medikamenten bleibt erhalten, die Preise für Arzneimittelwerden nicht mehr von den Herstellern diktiert. Erstmals werden Verhandlungen zwischen Herstellern und Krankenkassen eingeführt. Wir sind es den Versicherten schuldig, dass Beitragsmittel effektiver eingesetzt werden. Wer Innovationen will, muss dafür sorgen, dass diese auch bezahlbar sind."

Die Neuordnung des Arzneimittelmarktes verfolgt drei Ziele:

Den Menschen müssen im Krankheitsfall die besten und wirksamsten Arzneimittel zur Verfügung stehen.
Die Preise und Verordnungen von Arzneimitteln müssen wirtschaftlich und kosteneffizient sein.
Es müssen verlässliche Rahmenbedingungen für Innovationen, die Versorgung der Versicherten und die Sicherung von Arbeitsplätzen geschaffen werden.

Mit den Maßnahmen wird der Arzneimittelmarkt weiterentwickelt. Das gilt für den gesamten Markt, also für patentgeschützte Arzneimittel und Generika.

Kurzfristig wird der Herstellerabschlag für alle Arzneimittel, die nicht der Festbetrags-regelung unterliegen, zeitlich befristet bis zum 31. Dezember 2013 von sechs auf 16 Prozent erhöht. Für die Geltungsdauer des erhöhten Abschlags gilt ein Preisstopp. Preiserhöhungen werden durch einen Zusatzrabatt in gleicher Höhe für die GKV neutralisiert. Preisbasis ist der 1. August 2009. Der Preisstopp gilt bis zum 31.12.2013. Mit diesen kurzfristig wirksamen Maßnahmen wird der Raum für strukturelle Änderungen geschaffen.

Pharmaunternehmen müssen künftig den Nutzen für alle neuen Arzneimittel nachweisen. Der Gemeinsame Bundesausschuss veranlasst eine Nutzenbewertung. Arzneimittel, die keinen Zusatznutzen aufweisen, werden in eine bestehende Festbetragsgruppe eingruppiert. Damit wird die Erstattung begrenzt auf den Preis vergleichbarer Medikamente. Wird ein Zusatznutzen im Vergleich zu bereits im Markt befindlichen Arzneimitteln nachgewiesen, treten die Krankenkassen in Preis-verhandlungen mit dem jeweiligen Hersteller.

Das vorhandene Instrumentarium zur Steuerung der Arzneimittelausgaben wird dereguliert. Dies betrifft den Bestandsmarkt ebenso wie neue Arzneimittel. Unter anderem werden Rabattverträge für Generika wettbewerblicher und patientenfreund-licher gestaltet. Patienten erhalten z.B. die Möglichkeit, im Rahmen einer Mehr-kostenregelungen auch nicht rabattierte Arzneimittel auszuwählen. Darüber hinaus werden verschiedene Einzelinstrumente auf den Prüfstand gestellt.

In den nächsten Wochen wird das Bundesministerium für Gesundheit auf der Grundlage der Eckpunkte einen Gesetzentwurf erarbeiten.


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ANLAGE

Eckpunkte zur Umsetzung des Koalitionsvertrags für die Arzneimittelversorgung

1. Handlungsbedarf

Die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung sind im Jahre 2009 um 5,3 % je Versicherten gestiegen. Dies entspricht einem Zuwachs von rd. 1,5 Mrd. Euro. Die hohen Ausgabenzuwächse der vergangenen Jahre haben dazu geführt, dass im Jahr 2009 einschließlich der Zuzahlungen der Versicherten mehr als 32 Mrd. Euro für Arzneimittel ausgegeben wurden. Der Kostenzuwachs wird durch Arzneimittel ohne Festbetrag verursacht (2009: + 8,9%), während die GKV-Umsätze mit Festbetragsarzneimitteln sinken (2009: minus 2%). Wachstumsträger sind kostenintensive Spezialpräparate mit jährlich zweistelligen Zuwachsraten. Ihr Anteil am GKV-Arzneimittelumsatz erreicht bereits rd. 26 %, obwohl ihr Verordnungsanteil nur 2,5 % beträgt.


2. Ziele

Eine Neuordnung des Arzneimittelmarktes muss drei Ziele verfolgen:

1. Den Menschen müssen im Krankheitsfall die besten und wirksamsten Arzneimittel zur Verfügung stehen.

2. Die Preise und Verordnungen von Arzneimitteln müssen wirtschaftlich und kosteneffizient sein.

3. Es müssen verlässliche Rahmenbedingungen für Innovationen, die Versorgung der Versicherten und die Sicherung von Arbeitsplätzen geschaffen werden.

Zur Weiterentwicklung des Arzneimittelbereiches schlagen wir ein Maßnahmenbündel vor, das Deregulierung, kurzfristig wirksame Sparbeiträge und langfristig wirkende strukturelle Veränderungen beinhaltet.


3. Erstattung innovativer Arzneimittel

• Der freie Marktzugang bleibt erhalten. Die Unternehmen können im ersten Jahr der Markteinführung ihr Produkt zum geforderten Preis vermarkten.

• Das pharmazeutische Unternehmen ist verpflichtet, zur Markteinführung ein Dossier zu Nutzen und Kosten einzureichen. Basis hierfür sind insbesondere die Phase III-Studien des Zulassungsverfahrens, die ggf. in Abstimmung mit dem IQWiG/ G-BA um weitere Studien ergänzt werden. Grundsätzlich soll im Sinne einer größeren Planungssicherheit und eines frühen Dialogs das IQWiG/ der G-BA dem pharmazeutischen Unternehmen bei Bedarf frühzeitig beratend zur Seite stehen.

• Mit einem Dossier werden folgende Nachweise erbracht:

zugelassene Anwendungsgebiete,
medizinischer Nutzen,
medizinischer Zusatznutzen im Vergleich zum Therapiestandard bzw. zu Thera-piealternativen,
Therapiekosten,
Quantifizierung der Anzahl der Patienten bzw. Abgrenzung für die Behandlung in Frage kommender Patientengruppen,
Beschreibung der Anforderung an eine qualitätsgesicherte Anwendung.

• Auf Grundlage des eingereichten Dossiers veranlasst der G-BA in kurzer Frist eine Nutzenbewertung, die in der Regel spätestens drei Monate nach Zulassung vorliegen soll. Er kann das IQWiG damit beauftragen. In der Bewertung wird insbesondere festgestellt, für welche Patienten und Erkrankungen ein Zusatznutzen besteht, was die Vergleichsprodukte sind und ob das Arzneimittel "Solist" ist oder ob Wettbewerb mit ähnlichen Arzneimitteln besteht (= kein "Solist").


Arzneimittel ohne Zusatznutzen

Arzneimittel, für die in dieser Nutzenbewertung kein Zusatznutzen festgestellt wird, sollen künftig direkt in das Festbetragssystem überführt werden. Grundsätzlich soll es darüber hinaus bei Analogarzneimitteln eine Umkehr der Beweislast geben. Eine therapeutische Verbesserung wird nur auf Antrag des Unternehmens anerkannt. Dieses ist verpflichtet, die notwendigen Belege dazu selbst vorzulegen. Dabei ordnet der G-BA Molekülvariationen automatisch der entsprechenden pharmakologischen Vergleichsgruppe zu. Der G-BA entscheidet bei neu zugelassenen Arzneimitteln innerhalb von 90 Tagen nach Vorliegen der Nutzenbewertung. Eine Klage hat keine aufschiebende Wirkung.


Arzneimittel mit Zusatznutzen

Das pharmazeutische Unternehmen vereinbart mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen innerhalb eines Jahres nach Zulassung in Direktverhandlungen einen Rabatt auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers (ApU) mit Wirkung für alle Krankenkassen. Der Listenpreis des Unternehmens bleibt unverändert. Der Vertrag soll auch Vereinbarungen zu Versorgung und Qualität sowie zur Ablösung der Richtgrößenprüfung beinhalten.

Erfolgt keine Einigung, entscheidet eine zentrale Schiedsstelle innerhalb von drei Monaten. Die Schiedsstelle setzt den Rabatt z.B. auf Basis internationaler Vergleichspreise fest. Der Rahmen für Schiedsentscheidungen wird durch Gesetz vorgegeben. Durch einheitliche Verfahrensvorschriften wird der Aufwand begrenzt. Eine Klage gegen den Schiedsspruch hat keine aufschiebende Wirkung. Während dieser Bewertung gilt der Schiedsspruch fort.

Beide Seiten können nach einem Schiedsspruch auch eine Kosten-Nutzenbewertung verlangen. Zur Vorbereitung von Kosten-Nutzen-Bewertungen vereinbaren der Gemeinsame Bundesausschuss und der pharmazeutische Hersteller eine angemessene Frist zur Vorlage von Versorgungsstudien und die darin zu behandelnden Schwerpunkte. Diese sind bevorzugt in Deutschland durchzuführen; die Ergebnisse sind zusammen mit klinischen Studien Basis einer anschließenden Kosten-Nutzen-Bewertung durch das IQWiG oder für Direktverhandlungen zwischen Krankenkassen und Pharmaunternehmen. Die Frist bemisst sich nach der Indikation des Arzneimittels und dem nötigen Zeitraum zur Bereitstellung valider Daten durch Studien. Sie beträgt maximal drei Jahre.

Abweichend vom zwischen Spitzenverband Bund und pharmazeutischen Unternehmen geschlossenen Vertrag bzw. von der Entscheidung der Schiedsstelle oder einem festgesetzten Höchstbetrag können Kassen einzeln oder im Verbund davon abweichende vertragliche Vereinbarungen mit dem pharmazeutischen Unternehmen treffen, z.B. so genannte Mehrwert- und Versorgungsverträge oder eine Beteiligung an Verträgen der Integrierten Versorgung. Der Abschluss dezentraler Verträge wird durch gesetzliche Rahmenbedingungen erleichtert.

Für den Bestandsmarkt von patentgeschützten, nicht festbetragsfähigen Arzneimitteln kann das Vertragsverhandlungsverfahren auf Initiative der Beteiligten in Gang gesetzt werden.


4. Festbetragsmarkt

Das Festbetragssystem bleibt erhalten. Bei der jährlichen Anpassung der Festbetragshöhe sollen die Zuzahlungsfreistellungsgrenzen (30 % unter Festbetrag) berücksichtigt werden. Dadurch wird eine Preisspirale nach unten (Kellertreppeneffekt) vermieden.

Die Rabattverträge werden weiterentwickelt. Die Vertragsbedingungen werden verstetigt. Die Zuständigkeit der Zivilgerichtsbarkeit für das Vergaberecht wird hergestellt. Es werden flankierende Regelungen getroffen zum Erhalt des Wettbewerbs. Damit wird sichergestellt, dass genügend Anbieter im Markt bleiben und der Preiswettbewerb nicht mittelfristig durch Oligopolisierung eingeschränkt wird.

Versicherte können ein anderes als das Rabatt-Präparat ihrer Krankenkasse wählen und erhalten dafür Kostenerstattung im Rahmen einer Mehrkostenregelung.

Die vollständige Anwendbarkeit des Kartellrechts für Rabattverträge einschließlich der Rechtswegzuweisung zu den Zivilgerichten wird angestrebt.


5. Deregulierung

Die Instrumente im Bereich der Arzneimittelregulierung sollen auf ihre weitere Notwendigkeit hin überprüft werden, insbesondere: Verschlankung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen, Bonus-Malus-Regelung, Zweitmeinung, Importarzneimittel. Das bestehende und unübersichtliche System an Therapiehinweisen und Verordnungsausschlüssen wird klarer geregelt.



6. Arbeit des IQWIG

Das IQWIG wird in seiner wissenschaftlichen Arbeit gestärkt. Die Verfahrensabläufe werden gestrafft.
Das IQWIG erstellt den Berichtsplan nach Anhörung der Fachkreise (Scoping).


7. Vertriebsweg

Für die flächendeckende und sichere Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln durch Apotheken soll der Missbrauch des Versandhandels durch sogenannte Pick-up-Stellen unterbunden werden.


8. Kurzfristig wirksame Entlastungen

Der Abschlag für Arzneimittel ohne Festbetrag wird von derzeit 6 % auf 16 % angehoben. Er kann durch Verträge, die einem Abschlag mindestens in Höhe dieses gesetzlichen Abschlages entsprechen, abgelöst werden.

Für die Geltungsdauer des erhöhten Abschlags gilt ein Preisstopp. Preiserhöhungen werden durch einen Zusatzrabatt in gleicher Höhe für die GKV neutralisiert. Preisbasis ist der 1. August 2009. Der Preistopp gilt bis zum 31.12.2013. Bei Änderungen der Packungsgröße oder der Wirkstärke je Applikationseinheit gilt der Preis je Tagesdosis der jeweiligen größten Packung mit dem gleichen Packungsgrößenkennzeichen zum Stichtag als Vergleichsbetrag.

Der Großhandel erhält eine leistungsgerechte Vergütung. Der Großhandelszuschlag wird auf einen preisunabhängigen Fixzuschlag und einen prozentualen Zuschlag umgestellt. Dabei werden Funktionsrabatte an Apotheken berücksichtigt.

Die mit der 15. AMG-Novelle geänderten Regeln zur Zytostatikaversorgung sollen dahingehend überprüft werden, ob die angestrebten Verbesserungen zur wirtschaftlichen Versorgung tatsächlich erreicht wurden.


Weitere Informationen unter:
www.bmg.bund.de


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Quelle:
Bundesministerium für Gesundheit, Pressestelle
Pressemitteilung Nr. 21 vom 28. April 2010
Hausanschrift: Friedrichstraße 108, 10117 Berlin
Postanschrift: 11055 Berlin
Tel.: 030/18-441-22 25, Fax: 030/18-441-12 45
E-Mail: Pressestelle@bmg.bund.de
www.bmg.bund.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2010