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POLITIK/2014: Krankheit als Geschäft (9) - Die Risse brechen auf (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 50 vom 13. Dezember 2019
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Krankheit als Geschäft
Teil IX: Die Risse brechen auf

von Richard Corell und Stephan Müller


Zusammenfassend kann man die ökonomische Interessenlage im Gesundheitssystem der BRD so darstellen:

Für die überwiegende Mehrheit, die Lohnabhängigen, ist die Gesundheitsversorgung wie die Altersrente und die Arbeitslosenversicherung ein notwendiger Teil der Daseinsvorsorge. Volkswirtschaftlich gesehen sind die Gesundheitskosten ein Teil der Lohnsumme, der vom Profit abgeht. Wie der Lohn muss auch die soziale Absicherung gegen die Kapitalinteressen erkämpft werden. So sehen es auch die Kapitalisten, die uns in Klassenbewusstsein derzeit voraus sind, und bezeichnen die Kosten für die Sozialversicherungen als Lohnnebenkosten.

Die Regelung der Lohnnebenkosten müssen sie ihrem Staat überlassen. Der einzelne Kapitalist würde natürlich am liebsten gar keinen Lohn und keine Lohnnebenkosten bezahlen, um seine Kosten zu senken, und seine Arbeiter 24 Stunden arbeiten lassen. Das lassen sich erfahrungsgemäß letztlich die Arbeiter nicht gefallen und organisieren ihre Verteidigung mehr oder weniger gut in Gewerkschaften.

Der kapitalistische Staat muss als ideeller Gesamtkapitalist die widersprüchlichen Interessen der realen Einzelkapitalisten als Gesamtinteresse erfassen und als Klasseninteresse umsetzen. Denn das treibende Interesse der Kapitalisten, das immer nur individuell eingesetzte Kapital zu vergrößern im Kampf "Jeder gegen Jeden" darf nicht dazu führen, dass das kapitalistische System insgesamt ins Wanken kommt.

Das gelingt derzeit im Gesundheitsbereich nicht. Nach gut 20 Jahren "freier Markt" in der staatsmonopolistischen Groß-BRD zeigen sich Risse im Gesundheitssystem, deren Aufbrechen jetzt verhindert werden soll. Auch das Regierungsmodell Groko hat für das Gesamtkapital keine zufriedenstellende Lösung gefunden.

Zwar haben einige Konzerne und auch kleinere Kapitalisten unter Führung von Siemens, Bayer und Fresenius enorme Gewinne gemacht und auch das relativ gut funktionierende DDR-Gesundheitssystem im Rahmen der DDR-Delegitimierung zerschlagen. Aber die Widersprüche in der Kapitalistenklasse insgesamt, auch in deren bestimmendem Teil, der Finanzoligarchie, sind nicht gelöst. Ein funktionierendes Gesundheitssystem zur kostengünstigen Reparatur der Arbeitskraft haben sie nicht zustande gebracht.

Auch hat der Staat seine ideologische Aufgabe, das bestehende Gesellschaftssystem zum bestmöglichen, jedenfalls alternativlosen zu erklären, schlecht erfüllt: Die lohnabhängigen Bevölkerungsschichten murren und lehnen sich auf. Streiks, Initiativen und Volksbegehren gegen die Misere im Gesundheitssektor müssen mühsam juristisch abgewehrt werden.

Zwar sind die Gewerkschaften, mit denen sich die arbeitende Bevölkerung zur Wehr setzen könnte, weitgehend sozialdemokratisch befriedet und ins System eingebunden. Doch droht die Unzufriedenheit der im Gesundheitsbereich Beschäftigten, insgesamt mehr als eine halbe Million, auf die Gesamtheit ihrer Gewerkschaft ver.di überzugreifen und von dort im für das Gesamtkapital schlimmsten Fall auf die IG Metall, wo der Kern der Industriearbeiter organisiert ist. Bedauerlich für das Kapital: Gewerkschaftsmitglieder sind auch Patienten und umgekehrt.

Der Streit zwischen den Kapitalisten um die Politik ihres Staates ist regelmäßig unsere Chance, um Reformen zu unseren Gunsten durchzusetzen.

Im Kampf um die Verteidigung unserer Interessen, im Kleinkrieg gegen das Kapital lernen wir um die Einheit zu kämpfen. Das sei den Linken gesagt, die über den Kampf um Reformen die Nase rümpfen mit dem Hinweis, der Kapitalismus gehöre halt abgeschafft. Wie soll denn das gehen, ohne dass man gelernt hat, Einheit gegen die Kapitalisten herzustellen.

Die Einheit auf unserer Seite hängt aber auch von der Einsicht ab, wer die Nutznießer
a) der hohen Klinikkosten, teuren Medizintechnik und Pharmazeutika und
b) der gesenkten Lohnnebenkosten sind,
nämlich die, die die gestiegenen Profite einstecken. Und der Profit ist des "Pudels Kern": Dort, wo zwischen Patient und Arzt, Patienten und Krankenhaus, wo zwischen die Patienten und das gesamte Gesundheitssystem das Geld tritt und der Drang, aus dieser Beziehung noch mehr Geld, Profit, zu machen, dort steht nicht mehr die Gesundheit im Vordergrund, sondern das Geschäftemachen mit der Gesundheit, dort wird auch das Arzt-Patienten-Verhältnis gründlich vergiftet. Stets bleibt das Misstrauen, ob die Behandlung, die empfohlene Therapie zum Nutzen des Patienten oder zum Nutzen des Arztes, des Krankenhauses, der Pharmakonzerne ist. Das kann erst überwunden werden, wenn die Arbeiterklasse die Macht erobert hat und ihren Staat so einrichtet, dass die Interessen der Arbeiter und des Gesundheitssystems gleichgerichtet und nicht gegensätzlich sind. Wer nicht sehen will, dass die katastrophalen Zustände im Gesundheitssystem nicht ein Fehler im System sind, sondern dass der Fehler im Kapitalismus selbst liegt, wird sich erfahrungsgemäß von der Gegenseite einwickeln und vertrösten lassen: Die Tür zu dieser Falle wird gerade weit aufgemacht von Bertelsmanns "Stern" für Reformisten, die das Glück in der Zusammenarbeit mit der Kapitalseite suchen, mit den Propheten der Sozialpartnerschaft, wie dem Professor Karl Lauterbach.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 51. Jahrgang,
Nr. 50 vom 13. Dezember 2019, Seite 2
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2019

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