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ARTIKEL/1390: Veranstaltungsrückblick - Was passiert im Pflegeheim? Pflegenoten ohne Aussagekraft (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2015

Pflege
Noten ohne Aussagekraft

Von Dirk Schnack


Alternativen zu den Pflegenoten sind aber auch nicht in Sicht, wie eine Veranstaltung im Landeshaus zeigte.


Welche Unterschiede sind über Noten erkennbar, wenn fast jeder Beurteilte eine eins vor dem Komma hat? Keine, waren sich die Teilnehmer einer Veranstaltung der FDP-Landtagsfraktion im Kieler Landeshaus einig. Das Ziel des "Pflege-TÜVs", mit dem vor sechs Jahren die Pflegenoten für die Pflegeeinrichtungen eingeführt wurden, ist damit nicht erreicht worden: Transparenz und Vergleichbarkeit herzustellen.

"Sehen.Sprechen.Riechen. Was passiert im Pflegeheim? Pflegebewertung - aber richtig" hieß die Veranstaltung, zu der der frühere Gesundheits- und Sozialminister Dr. rer. pol. Heiner Garg, der seit 2014 wieder gesundheitspolitischer Sprecher seiner Partei ist, eingeladen hatte. Gekommen waren überwiegend Mitarbeiter aus Pflegeheimen und von Pflegediensten. Von Angehörigen werden die in aller Regel gar nicht danach gefragt, mit welcher Note ihre Einrichtung bewertet wird, berichtete Waltraud Hörmann aus der Heimleitung des Pflegeheims "Am Kiebitzberg" im holsteinischen Neustadt. Nach ihren Erfahrungen richten sich die Menschen hauptsächlich nach den persönlichen Eindrücken und nach Erfahrungen, die andere Menschen aus ihrem Umkreis mit einer Pflegeeinrichtung gesammelt haben. Wichtig seien die Noten aber in erster Linie, weil die Mitarbeiter bestrebt seien, so gute Bewertungen wie möglich zu erhalten.

Der in Zusammenhang mit den Pflegenoten oft kritisierte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) hat die Prüfkriterien für die Notenvergabe nicht festgelegt, wie der leitende Arzt des MDK Nord, Dr. Bernhard von Treeck, in der Veranstaltung mehrfach klarstellen musste. Mehrere Teilnehmer kritisierten die nach ihrer Auffassung "doppelte Struktur" an Prüforganen mit MDK und Heimaufsicht. Von Treeck konnte aber anhand von Beispielen zeigen, wie notwendig Qualitätsprüfungen sind. Trotz der Defizite fallen die Gesamtnoten für die Einrichtungen so positiv aus, weil einige davon mit guten Bewertungen aus anderen Bereichen wieder ausgeglichen werden können. Für die Journalistin Margret Kiosz, die für den Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag mehrfach über das Thema berichtet hatte, führt dieser Ausgleich zur Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse in einer Pflegeeinrichtung. Auch Garg kann nicht erkennen, wie mit dem derzeitigen Bewertungssystem die ursprünglichen Ziele der Pflegenoten noch erreicht werden können. Er sieht aber auch noch keine erprobten Alternativen in Sicht. Zwar gebe es eine Reihe von Möglichkeiten, sich neben dem persönlichen Besuch vor Ort zu informieren; diese seien aber nicht so ausgereift, wie es notwendig wäre, damit sich Betroffene und Angehörige einen schnellen und verlässlichen Überblick über die Qualität verschaffen könnten. Dies ist nach seiner Einschätzung in der älter werdenden Gesellschaft erforderlich, weil die Inanspruchnahme professioneller Pflegeleistungen ansteigt. Ein erstrebenswertes Ziel wäre aus Sicht Gargs ein "Gesundheits-TÜV", wie ihn der Hamburger Gesundheitsunternehmer Prof. Heinz Lohmann vorschlägt. Fest stand für die Teilnehmer auf dem Podium und im Auditorium, dass ein solcher schneller Überblick geboten werden muss, weil viele Pflegeentscheidungen kurzfristig getroffen werden müssen. Und nicht immer ist vorher absehbar, welche Kriterien im Pflegefall bedeutsam werden. "Wer hat schon Zeit, sich in 30 Pflegeeinrichtungen intensiv umzusehen", verdeutlichte Garg das Problem.

1,3 beträgt die Durchschnittsnote der stationären
Pflegeeinrichtungen in Deutschland.

Auch auf Bundesebene ist das Problem erkannt - aber keine Lösung in Sicht. Der Patienten- und Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, wurde jüngst mit dem Satz "Die Noten sind das Ergebnis einer unseligen Geheimdiplomatie" zitiert. Für ihn steht fest, dass er sich bei der Entscheidung für ein Pflegeheim nicht an der Gesamtnote orientieren würde. Sein Parteikollege Jens Spahn hatte öffentlich schon die Abschaffung der Pflegenoten gefordert. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe ist für die Beibehaltung des "Pflege-TÜVs", der nach seiner Ansicht überarbeitet werden sollte. Damit diese Überarbeitung so gelingt, dass eine echte Transparenz und Vergleichbarkeit hergestellt werden kann, muss aus Sicht der Journalistin Kiosz mehr Druck auf die Politik ausgeübt werden. Außerdem sollte ein überarbeitetes System auch die Möglichkeit des "Durchfallens" und als Konsequenz auch eine Schließung vorsehen, forderte sie. Wie allerdings das komplexe Leistungsgeschehen in Pflegeeinrichtungen in zusammengefassten Noten abgebildet werden kann, dafür konnte kein Rezept gefunden werden. Wichtig ist aus Sicht vieler Teilnehmer, dass die Erfahrungen von Bewohnern - anders als bislang - in die Noten einfließen sollten.

Deutlich wurde in der Veranstaltung die große Unzufriedenheit der Pflegemitarbeiter mit den gesamten Rahmenbedingungen ihrer Arbeit. Ein Vertreter der ambulanten Pflegedienste forderte eine bessere finanzielle Ausstattung. Dies stand für andere aber nicht im Mittelpunkt. Sie nannten in erster Linie die nach ihrer Wahrnehmung zu geringe Wertschätzung, aber auch die Arbeitsverdichtung. Zielscheibe ihrer Kritik war wiederholt der MDK, dessen Mitarbeiter manche lieber in der Versorgung sähen. Van Treeck betonte: "Ich kann mit einem schlanken MDK gut leben." Eine ernsthafte Entlastung der Versorgung würde mit einem Einsatz der 52 MDK-Mitarbeiter aber kaum eintreten.

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Transparenzberichte in der Pflege

Die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen des MDK werden in vier Bereiche eingeteilt. Bis zu 32 Kriterien fließen in die Beurteilung des Bereichs Pflege und medizinische Versorgung ein. Bis zu neun Kriterien fließen jeweils in die Bereiche Umgang mit demenzkranken Bewohnern, soziale Betreuung und Alltagsgestaltung sowie Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene ein. Für jeden Bereich ist eine Einzelnote ausgewiesen. Daneben wird eine daraus abgeleitete Gesamtnote sowie der Durchschnitt im jeweiligen Bundesland (Schleswig-Holstein: 1,4) veröffentlicht. Die Notenskala reicht von eins (sehr gut) bis fünf (mangelhaft). Die Befragung der Bewohner, mit bis zu 18 Kriterien gemessen, wird als Extranote ausgewiesen und fließt nicht in die Gesamtbeurteilung mit ein. Einsehbar sind außerdem ein möglicher Kommentar der Pflegeeinrichtung zur Benotung, Erläuterungen zum Bewertungssystem, vertraglich vereinbarte Leistungsangebote und weitere Leistungsangebote und Strukturdaten.   (di)


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2015 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2015/201504/h15044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
68. Jahrgang, April 2015, Seite 17
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2015

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