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ARTIKEL/1387: Symposium in Berlin - Zur Frage über das Ob und Wie der Übertragung ärztlicher Tätigkeiten (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2015

Symposium
Delegation ja, Substitution nein

Von Horst Kreussler


Heilkunde durch wen - diese Frage stellten sich Ärzte und Juristen in Berlin.


Die Diskussion über das Ob und Wie der Übertragung ärztlicher Tätigkeiten hält an. Es geht damit, so auch der Titel des 44. Symposiums für Juristen und Ärzte in Berlin, um die Grundsatzfrage "Ausübung der Heilkunde - durch wen und wie?" Zu den Gründen für die Diskussion zählt die demografische Entwicklung mit teils fehlendem ärztlichen Nachwuchs und einer wachsenden Zahl älterer Ärzte mit dem Wunsch nach Entlastung etwa bei Hausbesuchen in ländlichen Gebieten. Aber, so sagten Redner beim alljährlichen Ärzte-Juristen-Treffen, eine Rolle spielten auch die zunehmende Komplexität der Medizin, die Sparintentionen der Krankenkassen und Wünsche nach mehr Selbstständigkeit etwa von Physiotherapeuten und Pflegekräften.

Die Vertreter der Ärzteschaft haben seit Jahren etwa bei Deutschen Ärztetagen den Grundsatz formuliert: "Delegation ja, Substitution nein". Mit Delegation ist, wie Prof. Dr. jur. Jochen Taupitz im einleitenden Referat sagte, die einseitig angeordnete Übertragung von Tätigkeitsbereichen oder einzelnen Aufgaben von einer auf die andere Berufsgruppe (hier von Ärzten auf Nichtärzte) gemeint. Dabei bleibt die Anordnungsverantwortung beim Delegierenden, die Durchführungsverantwortung beim Delegaten. Bei der Substitution von Tätigkeiten geht hingegen die gesamte Verantwortung auf den anderen über. In beiden Fällen müssen die rechtlichen Voraussetzungen für die Delegations- oder Substitutionsfähigkeit gegeben sein, vor allem das Fehlen eines (Fach-)Arztvorbehalts oder der höchstpersönlichen Leistungspflicht.

Zur aktuellen Diskussion gab Taupitz zu erkennen, dass eine eng begrenzte, rechtlich abgesicherte Substitution auch etwas für sich haben könne. Wir nähmen ja hin, dass ein erfahrener Rettungsassistent bzw. demnächst Sanitäter im Ernstfall eigenständig alle lebensrettenden Maßnahmen durchführt, bis der Notarzt vor Ort ist. Zur Einführung von Substitution müssten aber gesetzliche Voraussetzungen geschaffen, die Haftungsfragen geklärt und Erfahrungen mit Modellvorhaben wie nach § 63 Abs. 3 c SGB V gemacht werden. In der gesetzlichen Krankenversicherung erlauben § 15 Abs. 1 und § 28 Abs. 1 SGB V grundsätzlich nur Delegation, nicht Substitution.

Aus Sicht der Gesundheitspolitik äußerte sich der Leiter der Abteilung 2 Gesundheitsversorgung/Krankenversicherung des Bundesgesundheitsministeriums, Ulrich Orlowski, ähnlich: Ärztliche Tätigkeiten seien grundsätzlich Ärzten vorbehalten, eine Substitution werde nur in den Modellvorhaben der Pflege vorgesehen, für die der Gemeinsame Bundesausschuss schon Richtlinien erlassen habe, die aber noch nicht Wirklichkeit geworden seien. Aus Ärztesicht erläuterte Dr. Theodor Windhorst, Kammerpräsident in Westfalen-Lippe, den offiziellen Standpunkt der BÄK: Delegation ja, Substitution nein. Es sei aber dringend erforderlich, die Kooperation mit anderen Gesundheitsberufen auszudehnen, um dem Ärztemangel und der Arbeitsverdichtung zu begegnen. Aber: "Keinesfalls eine vollständige Übertragung ärztlicher Leistungsbereiche mit eigener Budgetverantwortung!" Die Schaffung einer neuen nichtärztlichen Behandlungsebene wäre ein Schritt in die Zweiklassenmedizin. Und: "Braucht der Patient eine akademisierte Pflege? Mit welchem Tätigkeitsspektrum? Da möchte ich nicht Patient sein!" Hingegen seien die bisherigen Assistenz- und Delegationserfahrungen etwa bei Chirurgisch-technischen Assistenten, Arztassistenten oder Entlastenden Versorgungsassistenten (EVA) positiv.

Aus seinen Erfahrungen in Berlin und in der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ergänzte Dr. Manfred Richter-Reichhelm, in der Hauptstadt gebe es schon viel Kooperation, doch mehr sei denkbar. Nach einer Umfrage könnten sich Medizinstudenten deutlich mehr vorstellen: "Warten wir also ab, was in 20 Jahren möglich sein wird."

Im zweiten Teil des Symposiums kamen rechtliche und medizinische Implikationen von Delegation und Substitution zur Sprache. Für das Strafrecht verwies Prof. Gunnar Duttge (Göttingen) auf eine wichtige, in der Rechtspraxis längst angekommene Erkenntnis: "Es ist eine der größten Herausforderungen für leitende Ärzte, in Krankenhäusern unter Zeitdruck Abläufe richtig zu organisieren." Wieweit mehr Delegation oder sogar Substitution rechtlich einwandfrei helfen könnten, sei aus Sicht des Strafrechts noch unklar. Und Hilfe vom Gesetzgeber sei nicht so bald zu erwarten: "Er wird nicht den Mut haben, eine Substitution zu regeln", meinte Jurist Dr. Christoph Jansen in der Diskussion.

Aus einzelnen medizinischen Fachgruppen kamen abschließend Erfahrungsberichte überwiegend mit skeptischen Ausführungen. Der Vorsitzende der niedergelassenen Hautärzte, Dr. Klaus Strömer (Mönchengladbach), zeigte Verständnis für Wünsche von Kollegen nach Entlastung und "Entrümpelung von Leistungen, die keiner fachärztlichen Kompetenz bedürfen, die aber von Patienten auch bei Befindlichkeitsstörungen aufgrund unbegrenzter Heilungsversprechen nachgefragt würden - Patienten, die unsere Praxen verstopfen". Umfragen unter Praxisinhabern hätten ergeben, dass sich die Hälfte mehr Delegation vorstellen könne. Es müsse aber sichergestellt werden, dass Delegation nicht zu Substitution führe. Er sehe nicht, dass Substitution zu einer besseren Versorgung führen könne. Ebenso lehnte der Vorsitzende des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands, Prof. Bernd Bertram, Forderungen der Optiker nach einer "Gatekeeper-Rolle für alle Augenprobleme" ab. Es bestehe sonst die Gefahr, dass bei einer industriegeförderten Ausdehnung der Optimetrie über die Refraktion hinaus Augenkrankheiten übersehen würden.

Ausdrücklich gegen Begehrlichkeiten des Gesundheitshandwerks wandte sich der Landesvorsitzende des Berufsverbandes der HNO-Ärzte Schleswig-Holsteins, Dr. Jan Löhler (Bad Bramstedt). Auch bei Folgeverordnungen von Hörgeräten sei der Ohrenarzt erforderlich, widersprach er dem Hauptgeschäftsführer der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker, weil nach einer Auflistung eine ganze Reihe von Komplikationen und Zweiterkrankungen wie ein versteckter Tumor übersehen wurden: "Wollen wir denn hinnehmen, dass wir keine Qualitätssicherung haben, auch keine Kostenkontrolle und dass der Patient zum Kunden wird?"


Info

Die Delegation ist unter Ärzten weitgehend unstrittig und wird ausdrücklich begrüßt. Um der Arbeitsverdichtung zu begegnen, halten viele eine Ausdehnung der Kooperation mit anderen Gesundheitsberufen für erforderlich.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2015 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2015/201504/h15044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
68. Jahrgang, April 2015, Seite 12
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2015

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