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ARTIKEL/1343: Krisenintervention - Die Firma zahlt ... Erstberatung bei psychischen Krisen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2014

Krisenintervention
Die Firma zahlt: Erstberatung bei psychischen Krisen

Von Anne Mey


Gerhard Leinz kooperiert mit einem Kieler Industrieunternehmen und bietet dessen Mitarbeitern eine erste Hilfestellung bei akuten psychischen Problemen.


Der seit 17 Jahren psychotherapeutisch tätige Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Gerhard Leinz aus Kiel beschreitet seit Juli vergangenen Jahres einen neuen Weg der akuten Versorgung von Menschen in psychischen Notlagen: Er kooperiert mit einem Industrieunternehmen. Der Betriebsarzt der Firma sei damals auf ihn zugekommen, da bei ihm immer wieder Mitarbeiter in Krisensituationen vorstellig wurden und es aussichtslos war, im aktuellen Versorgungssystem Termine für Kriseninterventionsgespräche herbeizuführen. Leinz ergriff die Möglichkeit und schloss einen Rahmenvertrag mit dem Unternehmen, der insgesamt bis zu vier bezahlte Gespräche pro Mitarbeiter ermöglicht.

Ein wesentlicher Punkt ist die Anonymität der Mitarbeiter - so weiß Leinz nicht, wer zu einem Termin kommt. Der Betriebsarzt erhält nur dann Informationen, wenn dies sinnvoll erscheint und der Mitarbeiter das wünscht. Für die Zeit, die Leinz sich freihält, in der aber niemand erscheint, erhält er eine Ausgleichszahlung. Damit lohne sich das Geschäft auch wirtschaftlich für die Praxis.

"Deutlich mehr als eine Handvoll" Mitarbeiter haben inzwischen das Angebot der Erstberatung wahrgenommen. Der Kontakt entsteht über die Vermittlung des Betriebsarztes. Neben akuten Krisen und Zusammenbrüchen haben sich mittlerweile weitere Schwerpunkte herausgebildet: Burn-out (-Ängste) Begleitung bei der beruflichen Reintegration und Hilfe bei der Psychotherapeutensuche. "Krise heißt ja manchmal auch einfach Arbeitsunfähigkeit und die Frage, wie es nun weitergehen soll. Auch hier kann ich eine Unterstützung bieten und dazu beitragen, dass eine Arbeitsunfähigkeit verkürzt wird", so Leinz. Die vier vertraglich geregelten Gespräche sollen eine erste Anlaufstelle bieten, aber keine Therapie ersetzen: "Wenn mir dann eine Psychotherapie angebracht erscheint, motiviere ich und gebe Hilfestellung bei der Suche nach einem geeigneten Therapeuten. Ich selbst mache in meiner Praxis keine Psychotherapie für diese über den Arbeitgeber vermittelten Patienten, denn sonst wäre ich innerhalb kürzester Zeit ausgebucht und könnte diese Initiative gar nicht weiter durchführen." Leinz bietet damit einen neuen Weg neben dem bereits bestehenden "Employee Assistance Program" (EAP), das externe Beratung für Firmen anbietet. Im Gegensatz zu den Programmen, die zumeist nur über eine Hotline zu erreichen und vor allem mit Sozialpädagogen besetzt seien, stehe die psychotherapeutische Qualität und die Konstanz des Ansprechpartners bei dem Kieler Angebot im Vordergrund: "Gerade bei psychischen Störungen brauchen die Menschen nicht nur einen telefonischen Kontakt, sondern einen festen Ansprechpartner. Wenn man mehrmals anruft und immer jemand anderen am Telefon hat, kann kein Vertrauensverhältnis entstehen." In manchen Fällen könnte auch telefonische Beratung und die damit verbundene Anonymität gut sein, aber dennoch müssten die psychisch Erkrankten wissen, mit wem sie es zu tun haben.

Leinz zieht somit eine positive Bilanz aus dem ersten Jahr der Kooperation und würde das Kieler Modell auch anderen Kollegen, die ebenfalls eine Liebe für Krisenberatungen haben, empfehlen. "Die Menschen, die schnell Gesprächstermine erhalten, äußern oft große Dankbarkeit." Er plädiert aber auch dafür, dass dieses Arbeitsfeld allgemein attraktiver für Psychotherapeuten gestaltet wird, indem die Bereitstellung von Zeit für Krisengespräche bei Psychotherapeuten wie Notdienste von anderen Fachärzten honoriert werden sollte. Sonst brauche man sich nicht zu wundern, wenn die Psychotherapeuten ihre Terminpläne lieber mit genehmigungspflichtigen Therapiegesprächen voll hielten, statt für Menschen in akuten Krisen zur Verfügung zu stehen.

Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2014 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2014/201406/h14064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Juni 2014
67. Jahrgang, Seite 26
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz-Joseph Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2014

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