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ARTIKEL/1299: Europas Gesundheitssysteme in der Krise (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 6 vom 8. Februar 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Weil du arm bist, musst du ...

Europas Gesundheitssysteme in der Krise


Im Jahr 2010 kam es in vielen Ländern der Europäischen Union zu einem deutlichen Rückgang der Ausgaben für den Gesundheitsbereich. Das besagt die Studie "Gesundheit auf einen Blick: Europa 2012", die von der Europäischen Kommission und der OECD herausgegeben wurde. Lag die durchschnittliche Wachstumsquote der Gesundheitsausgaben pro Kopf in der Europäischen Union in den Jahren 2000 bis 2009 noch bei 4,6 Prozent, so änderte sich dies im Krisenjahr 2010 dramatisch.

Der Rückgang bei den Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben war in jenem Jahr am stärksten in Irland (minus 7,9 Prozent), Estland (minus 7,3), Island (minus 7,1) und Griechenland (minus 6,7). Malta war neben der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2010 das einzige Land, in dem 2010 die Gesundheitsausgaben im Vergleich zu den Vorjahren noch einmal anstiegen.

Jüngere Zahlen werden in der Studie nicht genannt.

OECD-Vize-Generalsekretär Yves Leterme erklärte im Zusammenhang mit dieser Studie: "Trotz knapper öffentlicher Kassen setzen die Länder alles daran, dass der Zugang zu hochwertiger Gesundheitsversorgung in Europa die Norm bleibt." Es werde sich zeigen, ob dies gelingt.

Und der designierte EU-Kommissar für Gesundheit, Tonio Borg, stellte fest: "Zwar finden wir in dem Bericht bisher keine Hinweise darauf, dass die Krise in Europa zu einer Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustandes geführte hätte." Die Folgen von schwierigen sozialen Verhältnissen und mangelhafter Gesundheitsversorgung würden aber erst mit der Zeit sichtbar.

Obwohl die Verfasser des Berichts darauf bestehen, dass sich die "Gesundheit der Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert" habe, kommen sie nicht umhin zuzugeben, dass Fortschritte im Gesundheitswesen mit "erheblichen Kosten" verbunden sind, die nach "Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise" in vielen europäischen Ländern reduziert wurden.

Im Wortlaut liest es sich so: "Mehrere Länder, die von der Krise besonders betroffen sind, haben eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die öffentlichen Ausgaben für Gesundheit zu reduzieren."

Diese Kürzungen werden wie immer als "unvermeidlich" hingestellt, sie können sich allerdings "auf die grundlegenden Ziele der Gesundheitssysteme auswirken".

Können sich auf grundlegende Ziele auswirken?

Sie haben dies schon, wie aktuelle Berichte aus mehreren europäischen Ländern zeigen. Die UZ berichtete in ihrer Ausgabe vom 5. Januar über Veränderungen im Gesundheitswesen in der Region Madrid. Dort sollen sechs große Krankenhäuser und 27 Gesundheitszentren privatisiert werden, ebenso alle Dienstleistungen für die öffentlichen Krankenhäuser. 533 Millionen Euro sollen so eingespart werden.

Alle 17 spanischen Verwaltungsregionen haben bei der Gesundheit den Rotstift angesetzt. Im Durchschnitt fuhren sie ihre Ausgaben in den vergangenen drei Jahren um 11,4 Prozent zurück. Die Extremadura sogar um 23,3 Prozent.

Lange Wartelisten für Operationen waren schon früher ein Problem des staatlichen spanischen Gesundheitssystems. Doch seit Beginn der schweren Wirtschaftskrise vor fünf Jahren hat sich die Situation verschärft. In den anderthalb Jahren zwischen Ende 2010 und Mitte 2012 hat sich die Wartezeit nach Recherchen von "El Pais" im Durchschnitt von 32 auf 72 Tage verlängert.

In den vergangenen sechs Monaten wurden zahlreiche Gesundheitszentren auf dem Lande geschlossen. Bereits jetzt fehlen in griechischen Kliniken Medikamente, Binden, Gips oder Spritzen. Laut Presseberichten wurden 661 Fachabteilungen einzelner Kliniken und ganze Krankenhäuser bereits geschlossen bzw. zusammengelegt. Der Anteil der nicht Krankenversicherten ist im Land auf rund 35 Prozent geklettert. Versicherte müssen sich mit höheren Eigenbeiträgen beim Kauf von Medikamenten beteiligen. Inzwischen sind viele Eltern nicht mehr in der Lage, die Impfungen für ihre Kinder zu bezahlen. In ihrer Not suchen sie die Kliniken von Nichtregierungsorganisationen wie "Ärzte der Welt" auf.

Und im aktuellen "Sparpaket" der griechischen Regierung sind für das Gesundheitswesen "Einsparungen" in Höhe von 1,5 Milliarden Euro vorgesehen ...

Aber auch Länder wie Island, einst für ein vorbildliches Gesundheitssystem bekannt, sind betroffen. So wurden in Island Kliniken und Ärztestationen in kleinen Siedlungen die Mittel um bis zu 80 Prozent gekürzt. Die 22 Hospitäler außerhalb der Hauptstadt Reykjavik sollen im Rahmen einer Spar-"Reform" auf sechs reduziert werden, teilweise sind sie schon geschlossen. Der Eigenanteil, den es bei einem Arztbesuch zu zahlen gilt, wurde drastisch erhöht, auch für Arzneimittel oder Zahnarztbesuche. Immer mehr Ärzte gehen ins Ausland.

Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Und auch Deutschland ist davon nicht ausgenommen. Zunehmend mehr Menschen in der Europäischen Union können sich einen Arztbesuch, die Zuzahlungen für Medikamente oder gar einen Krankenhausaufenthalt nicht mehr leisten. In vielen Regionen wird die Versorgung schlechter. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Folgen schlechter oder fehlender Behandlung sichtbar werden.

Dabei ist eine "zentrale Priorität" für die EU angeblich die "Gesundheit und Sicherheit ihrer Bürger". "Durch die EU-Gesundheitspolitik haben alle das Recht auf dieselben hohen Standards im Gesundheitsbereich und auf Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung", kann man auf den Seiten der Europäischen Kommission lesen. - Was für ein Hohn.

Doch nicht nur in Griechenland und Spanien regt sich der Widerstand gegen die rigide Sparpolitik der Herrschenden ...

-hnm

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 6 vom 8. Februar 2013, Seite 1
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2013

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