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ARTIKEL/1268: Blickpunkt Auge - Beratungsmobil informiert bei Sehbehinderungen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 5/2012

Mobile Beratung
Blickpunkt Auge: Beratungsmobil informiert bei Sehbehinderungen

Von Paul Wagner


Schleswig-Holstein ist das einzige Bundesland im Norden, in dem eine mobile Beratung stattfindet. Keine Konkurrenz zu Augenärzten und Optikern.

Für blinde und sehbehinderte Menschen gibt es jetzt in Schleswig-Holstein ein neues Hilfsangebot. Mit dem Projekt "Blickpunkt Auge" macht seit Januar ein Beratungsmobil in verschiedenen Städten des Landes Station. Das Team gibt praktische Tipps für den Alltag und Antworten auf Fragen von Patienten, die bei Ärzten, Optikern oder den Krankenkassen nicht vollständig beantwortet wurden.

Was Berater Claus Bernhard für die Hilfesuchenden im Gepäck hat, ist keine Hexerei. Telefone mit extra großen Tasten, Lupen mit eingebauten LED-Lichtern, übergroße Kalender oder kleine gelbe Anstecker mit drei schwarzen Punkten darauf. Der Rehabilitationsfachlehrer mit dem Fachgebiet Orientierung und Mobilität ist gemeinsam mit Projektkoordinator Ulf Dollerschell seit Anfang des Jahres mit einem Kleinbus in verschiedenen Regionen Schleswig-Holsteins unterwegs und berät sehbehinderte Menschen vor Ort. Wo keine Räume für die Beratung zur Verfügung stehen, finden die Gespräche in dem großzügig ausgerüsteten Bus des Projektes "Blickpunkt Auge" statt.

Eine ältere Dame ist zusammen mit ihrer Tochter in die Beratungsstunde gekommen. Bereits im Vorfeld hatte sie einen Termin mit Claus Bernhard vereinbart. Im Versammlungsraum einer Sozialeinrichtung in Schleswig nimmt sich das Team vom Beratungsmobil Zeit für die Gespräche mit den meist älteren Betroffenen. "Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, ob Sie sich kennzeichnen sollten", fragt Bernhard die fast erblindete Frau. "Ich meine nicht so eine unsägliche Armbinde, sondern eher einen weißen Stock und einen kleinen Button", betont der Berater. "Sie machen sich das Leben damit etwas einfacher", sagt Bernhard und nennt Beispiele. Der Bäcker wundere sich einfach nicht mehr, wenn die Betroffenen lange im Portemonnaie kramen oder nach der falschen Brötchentüte greifen. Auch der Nachbar nehme es nicht mehr übel, wenn er auf offener Straße nicht erkannt und gegrüßt werde, erklärt Claus Bernhard. "Die Kennzeichnung ist gut für die sozialen Kontakte." Die Frau kauft gleich einen der kleinen gelben Anstecker.

Das Team von "Blickpunkt Auge" schließt mit seinen kostenfreien Beratungsangeboten eine Lücke. Ärzte, Optiker und Krankenkassen sind für die sehbehinderten Menschen eben nicht die richtigen Ansprechpartner, wenn es um die Bewältigung des Alltags geht. Auch sind längst nicht alle Betroffenen Mitglieder im Blinden- und Sehbehindertenverein Schleswig-Holstein, der das mobile Beratungsprojekt nördlich der Elbe initiiert hat. Das Angebot des Beratungsbusses soll möglichst niedrigschwellig sein. Zu den weiteren Modellregionen, in denen die Beratungen von "Blickpunkt Auge" angeboten werden, gehören Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Beim Beratungsteam gibt es Tipps zur Absicherung von sozialen Ansprüchen und zu Anträgen sowie Hinweise zu den speziellen Angeboten des Fachhandels, wie elektronischen Vorlesegeräten oder den richtigen Kombinationen aus Lupen und Lesebrillen.


Foto: © 2012 by Paul Wagner

Blindenberatungsdienst "Blickpunkt Auge" in Schleswig,
Foto: © 2012 by Paul Wagner


Foto: © 2012 by Paul Wagner

Blindenberatungsdienst "Blickpunkt Auge" in Schleswig,
Foto: © 2012 by Paul Wagner

Doch nicht allen Hilfesuchenden kann das Team vom Beratungsmobil bei seinem Termin in Schleswig helfen. Ein älterer Herr ist gemeinsam mit seiner Frau in die Beratungsstunde gekommen. Seit Wochen habe er Sehstörungen auf dem rechten Auge, klagt der Mann. Er hatte gehofft, dass er beim Beratungsgespräch eine Diagnose bekomme. Claus Bernhard rät dringend zu einem Besuch beim Fachmann. "Wir sind keine Augenärzte und keine Optiker und wir mischen uns nicht in diese Bereiche ein."

Dass relativ viele Menschen mit steigendem Alter von zunehmenden Sehstörungen betroffen sind, zeigt die Nachfrage nach Terminen beim Beratungsmobil. In Schleswig waren alle Termine schnell vergeben. Bis zu einer Stunde Zeit nehmen sich die Berater für jeden Fall. "Üblicherweise trifft es ab dem 60. Lebensjahr jeden Vierten", sagt Claus Bernhard. "Wir versuchen daher, alle zwei bis drei Monate wieder in denselben Ort zu kommen." Bis jetzt stehen Rendsburg, Schleswig und Nortorf mit regelmäßigen Terminen auf dem Tourenplan des begehrten Beratungsbusses.

Für viele Betroffene sei die Diagnose des Arztes zunächst ein Schock, sagt Berater Claus Bernhard. In manchen Fällen würden die Menschen mit der Aussage "Sie werden erblinden" allein gelassen. Dabei sei es für viele Sehbehinderte noch lange Zeit möglich, ein erfülltes und unabhängiges Leben zu führen. "Das Leben lässt sich gut meistern mit kleinen Tricks", sagt Claus Bernhard. Die Betroffenen müssten jedoch lernen, sich auf ihre Erkrankung einzustellen. Ein Problem einer langsam fortschreitenden Erblindung sei, dass die Menschen noch Jahre oder Jahrzehnte lang versuchten, ihr altes Leben weiterzuleben, weiß der Berater aus den vielen Gesprächen. Dabei sei es wichtig, dass die Betroffenen ihren Alltag anders organisieren, um ein besseres Lebensgefühl zu bekommen. "Wir geben hier einen Anstoß zur Selbsthilfe", sagt Bernhard. "Viele Personen erkennen nicht gleich, was sie alles selbst tun können."

Manchmal reicht schon eine Rolle Klebeband und ein kräftiger Filzstift, um die mit der Sehschwäche einhergehenden Probleme zu lösen Ein Beispiel: "Wann haben Sie zuletzt etwas aus der Tiefkühltruhe gegriffen, was Sie eigentlich nicht haben wollten?", fragt Bernhard die ältere Dame in seinem Beratungsgespräch. Schulterzucken. "Schreiben Sie es vorher einfach in ganz großen Buchstaben darauf", rät er seiner Besucherin. "Am besten in schwarzer Schrift auf gelbem Grund."

Weitere Informationen im Internet unter: www.blickpunkt-auge.de


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 5/2012 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2012/201205/h12054a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Juni 2012
65. Jahrgang, Seite 26 - 27
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2012

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