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ARTIKEL/1246: Präimplantationsdiagnostik - Mediziner sehen noch zahlreiche ungeklärte Fragen zur PID (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 2/2012

PID
Mediziner sehen noch zahlreiche ungeklärte Fragen zur PID

Von Judith Eick


Ein Symposium in Lübeck gab einen Überblick zum aktuellen Stand der Präimplantationsdiagnostik in Deutschland.

Nach mehr als zehn Jahren der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) ist Anfang Dezember 2011 das Gesetz zu einer begrenzten Präimplantationsdiagnostik (PräimpG) in Kraft getreten. Bis zur praktischen Umsetzung sind entscheidende inhaltliche und organisatorische Fragen zu klären.

Die Bundesärztekammer hatte sich im Rahmen des 114. Deutschen Ärztetages in Kiel bereits für eine eng begrenzte Zulassung der PID ausgesprochen. Die mit der Implementierung der PID in Deutschland entstehenden juristischen, ethischen und organisatorischen Herausforderungen waren Gegenstand des Lübecker Symposiums, das unter Schirmherrschaft der Leopoldina - Nationale Akademie der Wissenschaften - des Bundesverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands e.V. und des UKSH stattfand.

Der Komplexität des Themas Rechnung tragend hatte das UKSH Vertreter der Rechtswissenschaften, der Politik, der Humangenetik und der Reproduktionsmedizin aus Deutschland und Belgien zur Diskussion eingeladen. "Es gilt, dem Willen des Gesetzgebers Rechnung zu tragen und gleichzeitig Patientenautonomie und ärztliche Entscheidungsfreiheit zu gewährleisten", formulierte Prof. Klaus Diedrich (UKSH) das Ziel der Veranstaltung.

Das Präimplantationsgesetz erlaubt, im Rahmen einer künstlichen Befruchtung Zellen des Embryos in vitro vor der Übertragung in die Gebärmutter auf eine schwerwiegende genetische Erkrankung zu untersuchen. Die Genehmigung zur PID ist an die Voraussetzung gebunden, dass aufgrund der genetischen Disposition der Eltern eine schwerwiegende Erbkrankheit beim Kind oder eine Tot- oder Fehlgeburt wahrscheinlich ist. Bislang sind betroffene Paare entweder ins europäische Ausland, vorwiegend nach Belgien und England, ausgewichen oder haben den beschwerlichen Weg der "Schwangerschaften auf Probe" inklusive der Pränataldiagostik (PND) beschritten, der im schlimmsten Fall mit einem oder mehreren Schwangerschaftsabbrüchen endet. Letzteres war eines der ausschlaggebenden Argumente, die letztlich in der Bundestagsabstimmung zu einer begrenzten Zulassung der PID geführt haben.

Der Gesetzestext besagt: "Eine PID darf nur nach Aufklärung und Beratung zu den medizinischen, psychischen und sozialen Folgen der von der Frau gewünschten genetischen Untersuchung (...) stattfinden. Die Aufklärung hat vor der Einholung der Einwilligung zu erfolgen, die durch eine interdisziplinär zusammengesetzte Ethikkommission an den zugelassenen Zentren für Präimplantationsdiagnostik geprüft wird. Die im Rahmen einer PID durchgeführten Maßnahmen, einschließlich der von den Ethikkommissionen abgelehnten Fälle, werden von den zugelassenen Zentren an eine Zentralstelle in anonymisierter Form gemeldet und dort dokumentiert."

Gastreferentin Ulrike Flach (FDP), in ihrer Funktion als Mitglied des Bundestages Mitinitiatorin des Gesetzesentwurfs, gab in ihrem Beitrag zur rechtlichen und politischen Situation der PID zu bedenken, dass die detaillierte Umsetzung mit all ihren organisatorischen Fragezeichen erst durch die in den kommenden Monaten zu erlassende Rechtsverordnung geregelt wird. So unter anderem die Anzahl der PID-Zentren sowie die Voraussetzungen für deren Zulassung, die Dauer der Zulassung, die Qualifikation der dort tätigen Ärzte, die Einrichtung, Zusammensetzung, Verfahrensweise und Finanzierung der Ethikkommissionen und die Einrichtung und Ausgestaltung der Zentralstelle, der die Dokumentation der durchgeführten Maßnahmen obliegt.

Auch inhaltliche Aspekte wurden von den Medizinern hinterfragt: Was genau sind "schwerwiegende" genetische Krankheiten? Bislang werden laut Flach "monokausale Erbkrankheiten mit geringer Lebenserwartung und schlechter Behandelbarkeit" darunter gefasst. Der Umgang mit den sich spät manifestierenden genetisch bedingten Krankheiten ist noch offen.

Prof. Georg Griesinger (Lübeck) und Prof. Paul Devroey (Brüssel) verweisen diesbezüglich auf eine Liste mit inzwischen 160 infrage kommenden schweren genetisch bedingten Erkrankungen. Ein internationales Netzwerk sei vonnöten, um einerseits ein starres Ausschlussverfahren zu vermeiden, andererseits auf vergleichbare Fälle zurückgreifen zu können. Abschließend wurde mit dem Plenum über die Entscheidungsträger der PID-Zulassung ausführlich diskutiert. Hier standen Zusammensetzung und Entscheidungsfindung der Ethikkommissionen im Fokus. Der Beteiligung von Behindertenverbänden und Theologen stand Flach kritisch gegenüber. Einer Patientenvertretung wurde jedoch allgemein zugestimmt. Kritisch wurde die Entscheidungsfindung "von Fall zu Fall" gesehen, für die Flach vehement plädierte, obwohl damit unterschiedliche Entscheidungsfindungen bei vergleichbaren Fällen zu erwarten sind. Prof. Hermann Hepp aus München regte hierzu an, in die Ethikkommissionen jeweils einen Facharzt für die betreffende Krankheit hinzuzurufen. Die Fachleute müssten im Vorfeld als "Springer" akkreditiert werden. "Entscheidend ist die Qualitätssicherung des gesamten Ablaufs um die PID", so Hepp. Der Jurist Helmut Frister (Düsseldorf) appellierte an seinen Berufsstand: Nach der ethischen Konsensfindung, die zum Präimplantationsgesetz geführt habe, müssten sich nun die Rechtswissenschaftler verstärkt der Diskussion annehmen. Er erinnerte insbesondere an den noch ungeklärten Umgang mit den überzähligen Embryonen. Nach der in Deutschland geltenden "Dreierregel" (drei Embryonen dürfen künstlich erzeugt werden) - also mit den zwei verworfenen?

Dr. Ulrich Hilland (Bocholt) formulierte abschließend seine Hoffnung auf ein zukünftiges übergreifendes "Fortpflanzungsmedizingesetz".

PID

Die PID wird seit 1990 in einer ganzen Reihe von Ländern in Europa, den USA und Israel mit unterschiedlichen Indikationsvorgaben und rechtlichen Einschränkungen durchgeführt. Explizit erlaubt ist sie in Belgien, Dänemark, Großbritannien, Frankreich, Griechenland, den Niederlanden, Norwegen, Schweden, Spanien, Australien, Israel - und nun auch in Deutschland. In den USA ist die PID ohne medizinische Notwendigkeit erlaubt, beispielsweise zur Auswahl des Geschlechts. Das Konsortium für Präimplantationsdiagnostik der European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) trägt die weltweiten Daten zur PID seit Januar 1997 zusammen. An der Datenerfassung nehmen weltweit bislang 57 Zentren teil. Aus seinem Bericht geht die Zahl der Behandlungszyklen mit PID hervor: "Obwohl weltweit pro Jahr über 600.000 Zyklen zur In-vitro-Fertilisation durchgeführt werden, wurde im Jahr 2006 nur in (...) 1.876 Fällen (also in 0,3 Prozent aller Zyklen) eine PID durchgeführt." (Aus: Ad-hoc Stellungnahme zur PID der Leopoldina - Nationale Akademie der Wissenschaften, 2011).

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 2/2012 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2012/201202/h12024a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Prof. Klaus Diedrich (UKSH Lübeck), Ulrike Flach (MDB), Prof. Georg Griesinger (UKSH Lübeck), Prof. Gabriele Gillessen-Kaesbach (UKSH Lübeck), Prof. Paul Devroey, Brüssel (von links)

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Februar 2012
65. Jahrgang, Seite 18 - 19
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2012

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