Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2019
AOK-TAG
Neue Ansätze für das Land
von Astrid Schock
AOK-Tag in Kiel zu Herausforderungen und Perspektiven der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum.
Trennung der Sektoren aufweichen. Akademisierung der
Pflegeberufe und Schaffung neuer Berufsbilder. Delegation ärztlicher
Leistungen. Implementierung der Telemedizinprojekte in die
Regelversorgung. Dies sind nur fünf der Ansätze und Forderungen, die
auf dem AOK-Tag von Experten genannt wurden, um die
Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum künftig zu sichern.
Welche Veränderungen werden erwartet? Gesundheitsminister Dr. rer. pol. Heiner Garg plädierte dafür, den auf dem Land lebenden Menschen nicht den Eindruck zu vermitteln, dass alles bleibt, wie es heute ist. "Den Landarzt in Einzelpraxis, der die gesamte Familie kennt und rund um die Uhr zur Verfügung steht, wird es so nicht mehr geben", stellte Garg zu Beginn der Veranstaltung klar. Stattdessen werde die künftige Versorgung durch mehr Zusammenarbeit, Weiblichkeit, Interprofessionalität und Delegation ärztlicher Leistungen geprägt sein.
Garg verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass derzeit rund 70 Prozent der Absolventen des Studienganges Humanmedizin weiblich sind und auf dem Land Versorgungszentren entstehen. Thomas Rampoldt, Geschäftsführer der Ärztegenossenschaft Nord, stellte zwei sich ähnelnde Organisationsformen für solche Zusammenschlüsse vor. Die kommunale Eigeneinrichtung unterscheidet sich von der Gründung eines MVZ dahingehend, dass keine Bürgschaft für die Haftung vorgelegt werden muss, es aber einer potenziellen Unterversorgung der Region und damit der Zustimmung der Kassenärztlichen Vereinigung bedarf. Beide Einrichtungen sind für die Sicherung der Versorgung auf dem Land relevant, da viele angehende Mediziner ein finanzielles Risiko, das durch eine Selbstständigkeit entsteht, gern vermeiden möchten, so Rampoldt. Auch sei die Übernahme bürokratischer Aufgaben durch geschultes Personal und damit die Möglichkeit, sich vollständig auf das ärztliche Tun konzentrieren zu können, verlockend.
Delegation wird im ärztlichen Alltag zunehmend gelebt. Aus Sicht der Ärztekammer müssen dafür drei Anforderungen erfüllt sein: ärztliche Anordnung, sorgfältige Auswahl und ärztliche Aufsicht. Dr. Henrik Herrmann, Präsident der Ärztekammer, sprach sich in einem Vortrag auf der Veranstaltung klar für die Delegation aus. Auch der Akademisierung der Pflegeberufe und der Schaffung neuer Berufsbilder wie dem des Physician Assistant steht Herrmann - wie mehrfach berichtet - offen gegenüber. "Wir müssen uns bewusst sein, dass sich die medizinische Versorgung verändern wird. Lassen Sie uns diese Möglichkeiten nutzen und den Medizinern damit die Möglichkeit geben, sich wieder auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren", sagte Herrmann in Kiel. Die derzeit diskutierten oft eindimensionalen Lösungen betrachtet der Kammerpräsident dagegen kritisch:
Dass auch telemedizinische Lösungen aus der künftigen Versorgung nicht mehr wegzudenken sind, bestätigten sowohl Garg als auch Herrmann. "Schleswig-Holstein ist in Sachen Telemedizin Vorreiter in der Bundesrepublik, wir müssen dafür sorgen, dass die laufenden Projekte in die Regelversorgung übergehen und auch im Vergütungssystem Berücksichtigung finden", so Garg.
Die Akzeptanz telemedizinischer Lösungen ist im ländlichen Raum allerdings noch ausbaufähig. Der Vorstandsvorsitzende der AOK NordWest, Tom Ackermann, berichtete über die Ergebnisse einer Forsa-Umfrage im Auftrag seiner Krankenkasse über die Erwartungen der Menschen in Schleswig-Holstein an die medizinische Versorgung. Danach können sich derzeit nur 55 Prozent der Befragten eine Behandlung per Videosprechstunde vorstellen. Nach wie vor ist der ländlichen Bevölkerung in Schleswig-Holstein infrastrukturell das Vorhandensein von Hausärzten am wichtigsten (94 % der Befragten), gefolgt von Einkauf vor Ort (92 %), Internet (89 %), Schulen (84 %) und Krankenhäusern (83 %).
Anfang Texteinschub
55 Prozent der Befragten in der Forsa-Umfrage geben an, sich eine
Behandlung per Videosprechstunde vorstellen zu können. 80 Prozent
davon können sich sogar eine Befundbesprechung per Video vorstellen.
Ende Texteinschub
Schleswig-Holsteins KV-Chefin Dr. Monika Schliffke sieht die Aufgabe des Arztes vor Ort auch künftig kaum ersetzbar. Sie machte deutlich: "Bei allen neuen Projekten darf zu keinem Zeitpunkt die Frage nach dem Patientennutzen vergessen werden." Bernhard Ziegler vom Klinikum Itzehoe erwartet, dass in der ambulanten Versorgung langfristig nur Hausärzte nicht mehr an Kliniken angestellt sein werden, ambulant tätige Fachärzte dagegen sieht er bei den Kliniken angestellt.
Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 10/2019
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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Oktober 2019, Seite 18
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.
veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2019
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