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ARTIKEL/1505: Serie "Modelle für die ambulante ländliche Versorgung" - Vorzüge der Einzelpraxis (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2019

Serie
"Keiner redet einem hinein"

von Dirk Schnack


Die Einzelpraxis als Organisationsform der Praxis auf dem Land? Sie ist noch immer die am häufigsten gewählte Form. Sönke Sturm aus Hohn hat die Vorzüge schon bei seinem Vater Michael kennengelernt.


Einzelpraxen waren lange Zeit die mit Abstand beliebteste Organisationsform in Deutschland. In den vergangenen Jahren sind eine Reihe neuer Modelle hinzugekommen und haben dafür gesorgt, dass die Zahl der Einzelpraxen bundesweit rückläufig ist - zwischen 2009 und 2017 laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) bei Hausärzten um 16,5 Prozent. Die Berichterstattung über diesen Trend lässt bisweilen den Eindruck aufkommen, junge Ärzte und insbesondere Ärztinnen seien an der Einzelpraxis nicht mehr interessiert. Dieser Eindruck täuscht. Ein Blick etwa in das Mitteilungsblatt "Nordlicht" der KV Schleswig-Holstein, das regelmäßig neu niedergelassene Ärzte in Schleswig-Holstein in einem Steckbrief vorstellt, zeigt, dass Einzelpraxen kein Auslaufmodell sind. Auch junge Ärzte übernehmen Einzelpraxen und sind mit dieser Entscheidung glücklich.

Wie glücklich, berichtet zum Beispiel Sönke Sturm: "Es ist eine tolle Art zu arbeiten, keiner redet einem hinein", berichtet der 33-Jährige. Der Facharzt für Allgemeinmedizin hat 2017 die Praxis seines Vaters Michael in Hohn bei Rendsburg übernommen und ist überzeugter Landarzt. Er hat sich bewusst für die Einzelpraxis entschieden, um sich bei Praxisführung und -gestaltung nicht auf Kompromisse einlassen zu müssen, die er nicht mittragen möchte.

Das bedeutet nicht, dass der Hausarzt nicht teamfähig wäre: In seiner Klinikzeit hat er den Austausch mit Kollegen geschätzt, er bespricht sich regelmäßig mit seinem Praxisteam und er hätte auch gerne eine angestellte Kollegin in der Praxis - was bislang am gesperrten Gebiet scheitert. Wichtig ist ihm allerdings, dass er weiterhin die Entscheidungen trifft und ihm niemand Vorgaben macht, wie er seinen Praxisalltag gestaltet. Dass er ausgerechnet die Praxis seines Vaters übernommen hat, freut die Menschen in Hohn und Umgebung besonders. "Ich habe ein unglaublich positives Feedback erhalten. Viele Menschen im Ort waren natürlich auch erleichtert, dass die Praxis bestehen bleibt", berichtet Sturm über seine ersten Monate als Landarzt in Hohn.

Der junge Familienvater wurde geboren, kurz nachdem sein Vater Michael die Praxis im Ort übernommen hatte. Michael Sturm ist "froh und dankbar", dass sein Sohn ihm schon früh Interesse an der Nachfolge signalisiert hat. Er ist ebenfalls sicher, dass sein Sohn die richtige Entscheidung getroffen hat. Trotz einer erfolgreichen Zeit mit guter Perspektive im Krankenhaus ist Michael Sturm sicher: "Immer nur in der Klinik zu arbeiten, wäre nichts für ihn gewesen."

Aus Sicht von Vater und Sohn sprechen neben der Eigenständigkeit mehrere Argumente für die Tätigkeit in der Landarztpraxis:

  • Sie kennen ihre Patienten. Anders als im Krankenhaus begleiten sie ihre Patienten meist über Jahrzehnte und wissen über den familiären Hintergrund bestens Bescheid.
  • Positive Resonanz: Die Patienten sind überwiegend dankbar, dass ein Arzt vor Ort ist. Ein Hausbesuch ist für viele alte Menschen ein Highlight. Sönke Sturm: "Damit erfüllen wir auch eine wichtige soziale Aufgabe."
  • Die Landarztpraxis kann wirtschaftlich interessant sein - wenn man nicht nur "nine to five" arbeitet. "Mir geht es gut", sagt Sönke Sturm. Allerdings muss er dafür viel leisten: Mit 1.100 Scheinen im Quartal liegt er deutlich über dem Durchschnitt allgemeinmedizinischer Praxen.
  • Die hausärztliche Tätigkeit ist anspruchsvoll: Das Spektrum an Erkrankungen, das in der Landarztpraxis auftaucht, ist extrem breit. Im Gegensatz zu Spezialisten müssen die Landärzte den Überblick über alle Fachgebiete behalten. Außerdem verstehen sich die Sturms nicht vorwiegend als Überweiser, sondern als Behandler der meisten Erkrankungen.
  • Er ist nicht allein. In Hohn gibt es eine weitere Arztpraxis - keine Einzelpraxis, sondern mehrere Ärzte unter einem Dach. Und in der näheren Umgebung hat gerade in mehreren Einzelpraxen ein Generationswechsel stattgefunden - die Jungen kennen, verstehen und vertreten sich bei Bedarf gegenseitig. Außerdem sind sie über das Praxisnetz Medizinische Qualitätsgemeinschaft Rendsburg (MQR) vernetzt.

Nach der Praxis ist zwar nicht immer Feierabend - Befunde müssen gesichtet und administrative Aufgaben erledigt werden. Aber ständige Not- und Bereitschaftsdienste, wie sie in Michael Sturms Anfangsjahren auf dem Land noch für schlaflose Nächte sorgten, gibt es in Schleswig-Holstein schon seit einigen Jahren nicht mehr. Sönke Sturm nimmt am geregelten Bereitschaftsdienst teil und genießt an den anderen Tagen seine Freizeit.

Einen kleinen Schub verlieh die Aufhebung der Residenzpflicht der Tätigkeit auf dem Land. Bis zum Jahr 2012 mussten Ärzte am Praxisort auch ihren Wohnsitz haben. Seitdem das nicht mehr vorgeschrieben ist, gibt es auch Einzelpraxisinhaber, die etwa in Schleswig-Holstein niedergelassen sind, aber in Hamburg wohnen.

Die Vorzüge von Einzelpraxen werden auch von den ärztlichen Körperschaften nicht bestritten. Die KV Schleswig-Holstein etwa sagt zu dieser Organisationsform: "Die Einzelpraxis ist nach wie vor ein Praxismodell, in dem viele - auch junge - Ärztinnen und Ärzte gern arbeiten. Einen Mix zu haben ist gut, damit jeder je nach Neigung Optionen für die Ausübung des Arztberufes hat." Wie aber sind die Neigungen? Die vorliegenden Zahlen aus Schleswig-Holstein zeigen, dass die Einzelpraxis im Vergleich mit anderen Praxismodellen beliebt ist. Laut KV gibt es aktuell 2444 Einzelpraxen im Land, zugleich 752 Berufsausübungsgemeinschaften und 83 Medizinische Versorgungszentren (MVZ). Im Vergleich zu 2017 ist die Zahl der Einzelpraxen sogar leicht steigend (plus sieben) und die der BAG und der MVZ (jeweils minus drei) leicht rückläufig.

Auch die KBV weiß um die Bedeutung der Einzelpraxen und nennt als positive Merkmale:

  • Hohe Eigenständigkeit - eigenverantwortliche Organisation und medizinische Ausrichtung der Praxis
  • flexible Gestaltung der Arbeits- und Freizeit
  • Kooperationen sind möglich

Dass die Inhaber von Einzelpraxen häufig als "Einzelkämpfer" bezeichnet werden, trifft es nach Ansicht der KBV nicht. Denn: "Einzelpraxis bedeutet nicht: abgeschieden, alles allein neu erfinden zu müssen. Kooperation und Vernetzung mit Kollegen sind in vielen Variationen bereits heute zum Beispiel als Praxisgemeinschaft und Praxisnetz möglich und ein unverzichtbares Thema." Hinzu kommt, dass auch in Einzelpraxen die Anstellung von Ärzten und die Beschäftigung von Weiterbildungsassistenten möglich sind.

Vater und Sohn Sturm stimmen in diesen Punkten mit der KBV überein und wären eigentlich rundum zufrieden mit ihrer Situation - wenn die Gesundheitspolitik nicht wäre. Sönke Sturm stört, dass zunehmend Vorgaben für einen freien Beruf gemacht werden und damit in die Praxisorganisation eingegriffen wird. Michael Sturm beobachtet mit Sorge, dass MVZ zunehmend in die Versorgung drängen. Nach seiner Wahrnehmung wird von standespolitischer Seite zu wenig dafür getan, dass Organisationsmodelle wie die Einzelpraxis künftig noch gleichberechtigt neben größeren - nicht immer von Ärzten geführten - Einheiten im Wettbewerb bestehen können.

Er ist seit Jahrzehnten berufspolitisch engagiert und ist sich sicher, dass die Fokussierung auf Zentren keine Lösung für das Gesundheitswesen sein kann: "Wenn man die Bevölkerung weiterhin gut versorgen will, muss es auch weiter Einzelpraxen geben." Dafür setzt sich der Vater etwa im Vorstand des Hausärzteverbandes ein und ist in der MQR Aufsichtsratsvorsitzender. Ob er seinem Sohn auch als Standespolitiker als Vorbild dienen wird, ist noch nicht ausgemacht. Vorerst ist Sönke Sturm mit Landarztpraxis und junger Familie mehr als ausgelastet.

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AMBULANTE VERSORGUNG AUF DEM LAND

Wie lässt sich die ambulante Versorgung auf dem Land organisieren? Vor dieser Herausforderung stehen derzeit viele Bundesländer, aber wenige haben darauf so vielfältige Antworten wie Schleswig-Holstein. Neben den klassischen Einzelpraxen und Berufsausübungsgemeinschaften gibt es zum Beispiel Zweigpraxen oder Medizinische Versorgungszentren in unterschiedlichen Ausprägungen. Fast alle bieten den Ärzten die Möglichkeit, sich zwischen selbstständiger und angestellter Tätigkeit zu entscheiden. In dieser Serie stellen wir Ihnen ausgewählte Beispiele für Organisationsformen in der ambulanten Versorgung vor, die in Schleswig-Holstein praktiziert werden. Weitere bislang geplante oder schon gedruckte Serienbestandteile:

  • März: Kommunales MVZ als Ärztezentrum für die Region
  • Mai: Die kommunale Eigeneinrichtung als Blaupause
  • Juni: Mit der Zweigpraxis zum Patienten
  • Juli: Die überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft

KOMPETENZZENTRUM WEITERBILDUNG IN DER ALLGEMEINMEDIZIN

Damit sich junge Mediziner für die Landarzttätigkeit entscheiden können, ist Nachwuchs in der Allgemeinmedizin erforderlich. Das Kompetenzzentrum Allgemeinmedizin Schleswig-Holstein - gegründet durch die Landesärztekammer, die KV Schleswig-Holstein und die Lehrstühle für Allgemeinmedizin der Universitäten Kiel und Lübeck - begleitet die Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin mit dem Ziel, die Qualität und Effizienz in der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin zu steigern und dem Hausärztemangel entgegenzuwirken. Das Zentrum bietet außer Train-the-Trainer-Kursen für die Weiterbildungsbefugten Unterstützung durch Mentoren und Schulungstage für Ärzte in Weiterbildung an.

Interessierte Ärzte können sich bei der Akademie der Ärztekammer Schleswig-Holstein anmelden: Nina Brunken, Telefon 04551 803 760


58%

aller Praxen in Deutschland sind als Einzelpraxen organisiert. Allerdings haben neue Organisationsformen dafür gesorgt, dass die Zahl der Einzelpraxen bundesweit abnimmt. Die Anzahl der hausärztlichen Einzelpraxen ist zwischen 2009 und 2017 um 16,5 %, die der fachärztlichen um 11,6 % gesunken. In Schleswig-Holstein gibt es aktuell 2444 Einzelpraxen bei 752 Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) und 83 Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in der ambulanten Versorgung.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201904/h19044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, April 2019, Seite 18 - 19
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2019

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