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ARTIKEL/1501: Herbsttagung - die neuen rechtlichen Grenzen der Fernbehandlung und ihren Folgen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 1/2019

Fernbehandlung
Die neue Basis

von Horst Kreussler


Die Herbsttagung an der Bucerius Law School beschäftigte sich mit den neuen rechtlichen Grenzen der Fernbehandlung und ihren Folgen.


Moderne, durch kommunikationstechnische Neuerungen mögliche Behandlungsformen sollte das Recht vernunftgerecht begleiten, aber nicht ausbremsen. Diese auf die telemedizinische Fernbehandlung bezogene Zielsetzung war offenbar allgemein akzeptierte Grundlage der Medizinrechtlichen Herbsttagung des Instituts für Medizinrecht der Bucerius Law School in Hamburg. Vorgegeben hatten sie die beiden Institutsleiter, Prof. Karsten Gaede (Strafrechtler) und Prof. Jens Prütting (Zivilrechtler): "So hat medizinische Fernbehandlung eine große Zukunft." (Prütting)

BÄK-Präsident Dr. Frank Ulrich Montgomery nahm diese positive Einschätzung auf und umschrieb die schon seit längerer Zeit bestehende Motivation der Ärzteschaft, sich mit diesem Thema in Gremien der Körperschaften zu befassen, mit dem treffenden Sprichwort "Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit". Gemeint war, wie besonders in der Diskussion deutlich wurde, die Gefahr konzentrierter telemedizinischer Aktivitäten durch andere Akteure, vor allem unternehmerisch konzipierte Call Center im In- und Ausland. Aus Sicht der Bundesärztekammer gebe es einige Probleme bei der Fernbehandlung, so etwa mit unbekannten Patienten mit Rezept- oder AU-Wunsch oder die Qualifikation und Arbeitsweise der Ärzte in entsprechenden Call Centern. Konkret werde ein Algorithmus entwickelt für den Bereich der Notfallversorgung, denn die Leitstelle, selbst wenn ärztlich besetzt, könnte von manchem Anruf überfordert sein. Insgesamt, betonte Montgomery, unterliege Fernbehandlung den gleichen Anforderungen wie die persönliche Behandlung und sei zulässig, wenn sie der Arzt nach Recht und Ethos verantworten könne.

In der Tat, bestätigte Dr. jur. Marlis Hübner, Leiterin der BÄK-Rechtsabteilung, die Ärzte müssten selbst den Weg der Fernbehandlung gehen, sonst liefen sie Gefahr, in einigen Jahren von anderen abgehängt zu werden. Als neue berufsrechtliche Grundlage in diesem Sinne zitierte sie § 7 Abs. 4 Satz 3 der Musterberufsordnung in der Fassung des letzten Deutschen Ärztetages 2018 in Erfurt (siehe Info-Spalte unten). Die Initiative zu dieser Änderung war damals wie berichtet von Schleswig-Holstein ausgegangen.

Auch nach altem Recht sei unstrittig Notfallbehandlung als Fernbehandlung zulässig. Sonst aber sei die Rechtslage im Gesundheitsbereich gekennzeichnet durch den Grundsatz persönlicher Leistungserbringung. Dies komme auch in den Vorschriften § 48 Abs.1 Nr. 2,3 Arzneimittelgesetz und § 15 Abs.1 Nr. 6 Heilmittelwerbegesetz zum Ausdruck (Abgabeverbot ohne ärztliches Rezept). Die jetzt vorgesehene Lockerung gehe vom "Goldstandard des persönlichen Kontakts" aus, erlaube Fernbehandlung ausnahmsweise in den geeigneten Fällen, die ärztlich vertretbar erschienen und eine entsprechende Aufklärung des Patienten beinhalteten. In der Berliner Charité laufe ein entsprechendes Projekt mit 1.500 Herzpatienten, das gute erste Ergebnisse zeige. Die Deutsche Dermatologische Gesellschaft habe bereits eine Leitlinie zur Fernbehandlung entwickelt (Autor Prof. Matthias Augustin, UKE, u. a.). Die BÄK gehe bei ihren Überlegungen von verschiedenen Prämissen aus, so zu telemedizinischer Beratung in Zentren. Die dort angestellten Ärzte hätten die normalen ärztlichen Berufspflichten zu beachten. Primärarztmodelle seien ebenso wenig möglich wie eine arbeitsrechtliche Pflicht, nur telemedizinisch tätig zu sein oder das Niederlassungsrecht der KV zu umgehen. In Arbeitsgruppen würden Detailfragen diskutiert wie die Möglichkeit der telemedizinischen Krankschreibung (AU) eines bisher unbekannten Patienten: Grundsätzlich nein, anders z. B. in der Schweiz bis zu fünf Tage mit Widerspruchsrecht des Arbeitgebers.

In der anschließenden Diskussion wies Dr. Thomas Schang (Eutin), Vorstandsmitglied der Ärztekammer Schleswig-Holstein, auf die Pionierposition unseres Bundeslandes hin. Schon im Frühjahr 2018 hatte es einen einstimmigen Beschluss gegeben, bevor zahlreiche weitere Landesärztekammern ihre Berufsordnung ebenfalls änderten. Eine wirkliche Gefahr der Konzentration von Fernbehandlungen in Call Centern sah Schang mit Hinweis auf strenge Rechtsregelungen in Deutschland nicht.

Haftungsrechtlich jedoch könnten einzelne Ärzte gegenüber starken, anwaltsgestützten Gruppierungen in unsicherer Position sein, wenn man den Ausführungen von Prof. Christian Katzenmeier (Köln) folgt. Denn Fazit seines Referats war: "Chancen und Risiken der Fernbehandlung sind groß, denn das deutsche Haftungsrecht zieht der Fernbehandlung recht enge Grenzen." Es sei nicht sicher, dass die Rechtsprechung die Fernbehandlung rechtlich anerkenne. So habe der 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs bereits entschieden, dass der behandelnde Arzt bei schwerer Erkrankung des Patienten einen Hausbesuch machen müsse, um sich ein zutreffendes Bild zu machen. 2010 urteilte der BGH, der Arzt dürfe die Patientenaufklärung in komplizierten Fällen nur persönlich, nicht bloß telefonisch durchführen. Bei einem Befunderhebungsfehler etwa durch unzureichende Information des Arztes am Telefon oder Bildschirm könne die Rechtsprechung aus einem Gesundheitsschaden eine Verursachung durch den Arzt annehmen, die nicht der Patient beweisen, sondern der Arzt entkräften müsse (Beweislastumkehr zugunsten des Patienten).

Der Arzt sei wie sonst auch schadenersatzpflichtig aus Behandlungsvertrag und Gesetz (§ 823 BGB), wenn eine Ist-Soll-Betrachtung einen Behandlungsfehler anzeige und wenn dieser ursächlich für den Gesundheitsschaden sei. Maßstab für das "Soll" sei der jeweilige medizinische Standard, ein zwischen Berufspraxis und Rechtsnorm liegender Maßstab.

Wenn der Arzt bei persönlicher wie bei Fernbehandlung eine zutreffende Indikation stelle, im Einverständnis (Consent) mit dem Patienten handele und die allgemeinen Fachregeln beachte, erfülle er die grundsätzlichen Bedingungen einer rechtmäßigen ärztlichen Behandlung. Entscheidend sei, ob eine konkrete Fernbehandlung dem angemessenen ärztlichen Behandlungsstandard gerecht werde. Hier dürfe etwa der Mindeststandard nicht unterschritten werden, auch nicht, wenn momentane Organisationsoder Personalprobleme zu einer telemedizinischen Schnellabfertigung führten. Immerhin positiv: Die Gerichte lassen, so der Referent, Verständnis erkennen für unterschiedliche Qualitätsstufen medizinischer Einrichtungen. Eine Uniklinik unterliege einem strengeren Haftungsmaßstab als ein Krankenhaus der Regelversorgung (abgestufte Haftungsgrundsätze). Gefordert wird also auch für die Fernbehandlung nicht der optimale, sondern der erreichbare Standard.


MBO

§7 Abs.4 Satz 3 "Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt ... gewahrt wird und die Patientin oder der Pat. auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird."


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 1/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201901/h19014a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
71. Jahrgang, Dezember 2018, Seite 37
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2019

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