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ARTIKEL/1433: Digitalisierung - Innovationen kommen in der Gesundheitsversorgung an (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 11/2016

DIGITALISIERUNG
Innovationen kommen in der Gesundheitsversorgung an

Von Dirk Schnack


Unternehmen und Patienten sorgen für Tempo. Aber: Die digitalen Möglichkeiten wachsen schneller, als die Beteiligten im Gesundheitswesen reagieren können.


Operationsroboter, Online-Sprechstunden und elektronische Patientenakten gibt es bereits. Patienten können sich aber auch vorstellen, dass sie digitale Tabletten einnehmen, die Informationen an ihr Smartphone senden. Sie sind offen für Mikrochips, die unter ihre Haut implantiert werden. Und in einigen Jahren wird die Digitalisierung in der Medizin voraussichtlich soweit sein, dass nicht nur Prothesen und Implantate, sondern auch menschliche Organe aus dem 3D-Drucker kommen. Vielleicht keine Herzen, aber ausgeschlossen erscheint selbst das heute nicht mehr.

Wohin die Digitalisierung einmal führen wird, was aber auch heute schon erreicht ist, das zeigt in diesen Tagen die Medica in Düsseldorf. Auf der größten Medizintechnikmesse der Welt sind auch Schleswig-Holsteiner vertreten, die neue Entwicklungen vorstellen oder sich über Neuerungen informieren. Wie stark die Digitalisierung das Gesundheitswesen verändert, zeigen auch personalisierbare Roboter namens NAO, links im Foto auf der Medica. Ein NAO kann menschliches Verhalten imitieren und interaktiv agieren. Die Alzheimer Gesellschaft Schleswig-Holstein hat kürzlich auf einem Wettbewerb in Hamburg einen solchen NAO darauf programmiert, mit Demenzkranken zu kommunizieren - er wurde als bestes Projekt prämiert.

Die Stimmung unter Ärzten schwankt je nach Perspektive zwischen Befremden, Ängsten und offener Ablehnung auf der einen und Bewunderung und Herausstellen der Chancen auf der anderen Seite. Die meisten Ärzte in Schleswig-Holstein stehen digitalen Veränderungen aber aufgeschlossen gegenüber und schauen gezielt, ob eine Innovation zu einer Verbesserung in der Versorgung führt.


Tempo statt Blockaden

Große Firmen, kleine Start-ups und Patienten bringen Geschwindigkeit in das digitale Gesundheitswesen. Krankenkassen fördern Modellprojekte, Ärzte erkennen den Nutzen - schon heute wird digital im Gesundheitswesen kooperiert. Die größten Umwälzungen kommen aber erst noch - und viele Patienten werden davon profitieren.


Lange wurde über das E-Health-Gesetz diskutiert. Es sieht Fahrpläne für die Einführung einer digitalen Infrastruktur in Deutschland und für die Einführung von Anwendungen auf der elektronischen Gesundheitskarte vor. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe ist sicher, dass dieses Gesetz den Fortschritt im Gesundheitswesen vorantreiben wird. "Eine sichere digitale Infrastruktur verbessert die Gesundheitsversorgung und stärkt die Selbstbestimmung der Patienten - das bringt echten Nutzen für die Versicherten", sagt Gröhe.

Ob dazu ein Gesetz notwendig war? Die am 14. November in Düsseldorf eröffnete Medica lässt erahnen, dass der digitale Fortschritt im Gesundheitswesen eine Geschwindigkeit angenommen hat, die sich durch Gesetze nicht mehr forcieren, sondern nur noch flankieren lässt. Bestes Beispiel ist die elektronische Gesundheitskarte, um die seit vielen Jahren in der Selbstverwaltung gestritten wird. Die von vielen als sinnvoll erachteten Funktionen, die später einmal über die Karte möglich sein sollen, sind für Patienten längst über einen anderen Weg verfügbar. Das Hamburger Start-up-Unternehmen connected health etwa hat eine App entwickelt, mit der Patienten auf ihrem Smartphone Befunde, Röntgenbilder und weitere medizinische Daten sammeln können - wie auf der Gesundheitskarte. Wenn der Patient möchte, dass diese Daten seinem Arzt in der Praxis zur Verfügung gestellt werden, hält er sein Smartphone an eine Konnektorbox und gibt eine PIN ein. Diese von einem Arzt mit entwickelte Lösung unter dem Namen LifeTime zeigt, dass sich Unternehmen und Patienten beim digitalen Fortschritt nicht von Bedenkenträgern oder von einer sich gegenseitig blockierenden Selbstverwaltung aufhalten lassen - sie entscheiden selbst, ob sie eine Lösung einsetzen möchten.

LifeTime ist nur ein Beispiel für diese Entwicklung. Und LifeTime ist Realität: Das neue Produkt nutzen die ersten 120 Arztpraxen in Hamburg bereits. Einen anderen Weg geht das Projekt Gesundes Kinzigtal, wo ein Netzwerk von Ärzten, Krankenhäusern, Therapeuten und anderen Gesundheitsdienstleitern auf Basis einer elektronischen Gesundheitsakte eng zusammenarbeiten, wofür sie kürzlich mit dem 1. Preis des Wettbewerbs "Intelligente Regionen Deutschlands" vom Bundeswirtschaftsministerium ausgezeichnet wurden. Nach Meinung der Jury können die Beteiligten im Kinzigtal mithilfe der elektronischen Patientenakte Doppeluntersuchungen verhindern, Prävention fördern und eine "optimale Versorgung der Patienten sicherstellen". Die digitale Vernetzungs- und Kommunikationslösung hat das Gesunde Kinzigtal gemeinsam mit einem Industriepartner entwickelt. Sie umfasst eine praxisübergreifende elektronische Patientenakte sowie digitale Behandlungspfade. Die Patienten sollen künftig einen Zugang zu ihrer praxisübergreifenden Patientenakte erhalten.

Doch die Digitalisierung hat gerade erst begonnen, das Gesundheitswesen umzugestalten. Einige erwarten deutliche Versorgungsfortschritte, andere gute Geschäfte. Fest steht: Die Branche boomt. "Für die Gesundheitsversorgung bietet die Digitalisierung große Chancen für eine immer älter werdende Gesellschaft, in der immer mehr Menschen chronisch erkranken. Die Digitalisierung hilft, Krankheiten früher zu erkennen, die Dauer der Klinikaufenthalte zu verkürzen und durch Telemedizin, Apps oder Pflegeroboter länger mobil zu leben", schreibt der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed). Im Branchenverband Bitkom heißt es: "Wir freuen uns, dass nach der Verabschiedung des E-Health-Gesetzes vergangenes Jahr die Digitalisierung der Medizin nun richtig Fahrt aufnimmt. Digitale Angebote wie der elektronische Medikationsplan oder auch die Online-Sprechstunde bringen einen Innovationssprung für unser Gesundheitswesen und werden die Prävention, Diagnose und Behandlung von Krankheiten spürbar verbessern."

Im Vergleich zu den bevorstehenden Innovationen sind die heutigen Lösungen nur kleine Zwischenschritte. Digitale Bilder sind die Grundlage etwa für Modellorgane, die aus dem 3D-Drucker kommen. Seriöse Experten wie Dr. Marcel Pfützner von der Medizin Modell Manufaktur prognostizieren, dass es nicht bei Modellen bleibt. Er erwartet, dass um das Jahr 2050 komplette Organe hergestellt, mit menschlichen Zellen besiedelt und implantiert werden können. Tatsächlich ist man in der Grundlagenforschung längst mit dem Thema beschäftigt. Eines der größten Probleme ist derzeit die aktive Zellversorgung der Modelle. Prototypen sind schon hergestellt worden, so etwa 2013 die aus lebenden Zellen aufgebaute Ohrmuschel, die Forscher in den USA per 3D-Druck hergestellt haben. Derzeit wird daran gearbeitet, eine Niere herzustellen.

Deutlich schneller wird es mit dem Druck von Implantaten und Prothesen gehen. Die digitale Technik ermöglicht passgenaue individuelle Modelle, die außerdem leichter sind und damit den Trägern das Leben erleichtern.

Das Leben erleichtern - dieses Ziel haben auch sogenannte "Wearables" und Smartphones in Kombination mit Health-Apps. Viele davon werden in diesen Tagen auf der Medica in Düsseldorf vorgestellt. Glaubt man den Initiatoren, haben sie das Potenzial "zum unverzichtbaren Bestandteil der vernetzten Gesundheit zu werden". Tatsächlich sind derzeit zahlreiche mobile Health-Anwendungen in der Entwicklung, obwohl der Markt ohnehin schon ein unüberschaubares Volumen angenommen hat. Bei den Neuentwicklungen stehen Lösungen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes sowie für Therapie-Fernüberwachung im Fokus. Einfacher Grund: Die Patientenzahlen in diesen Bereichen lassen auf ein besonders hohes Anwenderpotenzial hoffen.

Wie stark das Interesse der Industrie am Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen ist, zeigt auch eine Studie des Beratungsunternehmens Roland Berger. Laut Berger wird sich das weltweite Marktvolumen in diesem Segment auf über 200 Milliarden Dollar bis 2020 mehr als verdoppeln. Wer im Gesundheitswesen tätig ist, ist automatisch betroffen. "Alle Marktteilnehmer der Gesundheitsbranche - von Pharmaunternehmen über Ärzte und Apotheker bis hin zu den Patienten - sind vom digitalen Wandel betroffen", so das Unternehmen. Berger sieht außerdem einen erhöhten Wettbewerbsdruck im Gesundheitswesen, weil neue, branchenfremde Firmen in den Markt drängen.

Schon seit zwei Jahren ist der Hersteller Personal MedSystems mit seinem mobilen EKG CardioSecur am Markt. Dabei handelt es sich nach eigenen Angaben um das weltweit einzige 22-Kanal-EKG, das mit nur vier Elektroden eine Diagnose ermöglicht, die mit der eines Klinik-EKGs vergleichbar ist. Das nur 50 Gramm leichte Gerät betrachtet das Herz aus 22 Blickwinkeln und wertet Herzraten, Rhythmus und lebensbedrohliche Durchblutungsstörungen aus. Der Patient benötigt nur ein EKG-Kabel mit vier Elektroden sowie eine App; eine Anleitung des Nutzers durch den Arzt ist nicht erforderlich. Das Gerät führt den Nutzer durch eine Referenzmessung, die als Basis für weitere Messungen gilt. Nach jedem Herz-Check erhält der Nutzer dann einfache Handlungsempfehlungen: entweder keine Intervention, Arztbesuch in näherer Zukunft oder sofortige Arztkonsultation. Die Auswertung erfolgt auf mobilen Endgeräten wie Smartphone oder iPad. Das Produkt nutzen inzwischen 2.000 Menschen in Europa. Vom optionalen Link zur Weiterleitung an den Arzt machen nach Angaben des Herstellers bislang aber nur rund 20 Prozent Gebrauch. Die Nutzer zahlen einmalig 99 Euro sowie rund zehn Euro Monatsgebühr.

"Die Menschen in Estland haben Vertrauen in die Digitalisierung gefasst, weil früh investiert und der Nutzen deutlich wurde."

Mehr als 50 Projekte in Schleswig-Holstein beschäftigen sich derzeit mit telematischen Strukturen und Weiterentwicklungen im Gesundheitswesen. Eine kleine Auswahl daraus präsentierte die Techniker Krankenkasse jüngst auf einer Veranstaltung in Kiel. Auch hier wurde deutlich, dass häufig Unternehmen Treiber für die Innovationen sind. Als Beispiel wurde die Online-Sprechstunde des Unternehmens Patientus genannt. Diese kann nicht nur zwischen Arzt und Patient eingesetzt werden, um zu starken Andrang in den Wartezimmern zu vermeiden. In Kooperationen soll in Kürze auch der Austausch zwischen Hausarzt und Facharzt hierüber erfolgen. Hausarzt Dr. Thomas Maurer aus Leck plant, seine Zweigstelle in Neukirchen an der dänischen Grenze mit der Augenarztpraxis von Dr. Jon-Marten Heisler im rund 100 Kilometer entfernten Rendsburg zu verbinden. Beide Ärzte halten die Lösung überall dort für sinnvoll, wo Patienten sonst große Entfernungen' zu den Fachärzten zurücklegen müssten. Heisler empfahl allerdings, für die Online-Sprechstunde nicht nur Ärzte, sondern auch das Personal am Empfang zu sensibilisieren. Noch ist die Nachfrage der Patienten nach der Online-Sprechstunde in seiner Praxis nämlich überschaubar. Schon die Zahl der Modellprojekte hierzu lässt aber erwarten, dass die Online-Sprechstunde in einigen Jahren zum Standard gehört. Die oft von Krankenkassen geförderten Projekte sind derzeit aber noch ein regionaler Flickenteppich, oft von Krankenkassen und einzelnen Berufsverbänden vereinbart.

Zum Teil sorgen die Patienten selbst dafür, dass immer häufiger digital kommuniziert wird. Dies gilt auch unter Selbsthilfegruppen. So tauschen sich unter Administration der Kieler Migräne-Patientin Bettina Frank 20.000 Menschen weltweit über ein elektronisches "Headbook" über ihr Krankheitsbild aus, weitere 20.000 verfolgen die Beiträge. In einer geschlossenen Facebook-Community zum Thema sind 6.000 Migräne-Patienten Mitglied. Ärzte wie der Kieler Kopfschmerz-Experte Prof. Hartmut Göbel erwarten, dass dieser Trend mittelfristig zunehmen wird. Göbel setzt auf eine Migräne-App, mit der die Patienten alle relevanten Daten für ihr Krankheitsbild aufzeichnen und den behandelnden Arzt damit informieren können.

Die Menschen in Norddeutschland gelten laut einer jüngst vorgestellten Studie der TK ("SmartHealth") als besonders aufgeschlossen. Laut dieser Studie würden zwei Drittel der Menschen in Norddeutschland ihre Gesundheits- und Fitnessdaten der Krankenkasse zur Verfügung stellen, damit die Wahrscheinlichkeit für die Heilung einer schweren Krankheit steigt. Jeder Zweite würde seine Daten außerdem zur Früherkennung von Krankheiten weitergeben, um diese zeitnah behandeln zu lassen. Die Bereitschaft, medizinische Daten in anonymisierter Form der Forschung zur Verfügung zu stellen, ist laut der TK-Befragung am größten in Norddeutschland. 70 Prozent der Befragten im Norden befürworten dies, bundesweit sind es dagegen nur 61 Prozent. Eine elektronische Patientenakte, in der Dokumente von Ärzten und Therapeuten digital gespeichert werden können, befürworten 73 Prozent. Gleich 93 Prozent erhoffen sich von der Einführung einer elektronischen Patientenakte eine bessere Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Therapeuten. 86 Prozent der Befragten legen Wert darauf, selbst auf ihre Daten zurückgreifen zu können.

"WALIS" KANN DEMENZKRANKE BETREUEN

Er ist knapp 60 Zentimeter hoch und wiegt rund vier Kilogramm. Er kann menschliches Verhalten imitieren, interaktiv agieren - und könnte künftig sogar in der Betreuung von Demenzkranken eingesetzt werden: Ein Nao, ein humanoider Roboter, lässt sich so programmieren, dass er mit den Angehörigen von Demenzkranken vernetzt ist und sich mit den Kranken unterhält. Er kann sich nach dem Wohlbefinden erkundigen, aber auch die Tabletteneinnahme überwachen, die Verträglichkeit der Mahlzeiten mit den Medikamenten abstimmen und zur Bewegung motivieren. Bewiesen hat dies kürzlich ein Team beim IBM Hackathon Hamburg - einem Wettbewerb, bei dem es um Lösungsansätze für innovative Ideen geht. Mehrere Teams aus Kreativen, Programmierern und Web-Designern traten gegeneinander an. Mit dabei war auch Wienke Jacobsen von der Alzheimer Gesellschaft Schleswig-Holstein, die ihre Gruppe animierte, sich mit der Demenzbetreuung zu beschäftigen. Die Lösung war der Nao "Walis" (WatsonAlzheimersSupport), der innerhalb von 24 Stunden so programmiert war, dass er mit einem Demenzkranken kommunizieren konnte. "Walis" überzeugte auch die anderen Teilnehmer des Hackathons in der Hamburger Hafencity - sie kürten ihn zum Projektsieger. Ob der Einsatz von Robotern nun ein Segen zur Bewältigung des Pflegenotstands oder eher ein Fluch ist? Die Alzheimer Gesellschaft hat diese Frage in ihrer Pressemitteilung offen gelassen.

Das hohe Interesse der Menschen an innovativen digitalen Gesundheitsangeboten unterstreicht auch eine Umfrage des Digitalverbandes Bitkom, der auf der ersten Digital Health Conference (DHC) in Berlin kürzlich Ergebnisse vorstellte. Danach würden 61 Prozent der Befragten im Krankheitsfall einen Operationsroboter in Anspruch nehmen. 24 Prozent würden im Krankheitsfall digitale Tabletten einnehmen, die Informationen an ein Smartphone senden, 26 Prozent können sich das zumindest vorstellen. Ein Drittel der Befragten zeigte sich offen für unter die Haut implantierte Mikrochips zur Überwachung der Körperfunktionen.

Doch es gibt auch Hürden, wie die TK-Veranstaltung in Kiel zeigte - wie so oft liegt es an den Kosten. Patienten sind oft nicht bereit, zusätzliche Ausgaben für telemedizinische Anwendungen zu tragen, wie die Vizepräsidentin des Landfrauenverbandes Schleswig-Holstein, Ulrike Röhr, zu bedenken gab. Ihr Verband will in den kommenden Monaten in mehreren Veranstaltungen zusammen mit der Ärztekammer Schleswig-Holstein auf noch bestehende Bedenken über Telemedizin unter den Mitgliedern eingehen. Dem Verband gehören über 30.000 Mitglieder insbesondere in den dünner besiedelten Regionen des Landes an. Röhr ist überzeugt, dass auch telemedizinisch vernetzte nicht-ärztliche Versorgungsassistentinnen auf Akzeptanz vor Ort stoßen würden.

Dass viele Ärzte in Schleswig-Holstein durchaus aufgeschlossen sind für digitalen Datenaustausch, zeigen auch die steigenden Teilnehmerzahlen beim KV SafeNet. Außer den Praxen selbst schließen sich auch Krankenhäuser an das KV-System an. Nach Auskunft der KV in Bad Segeberg wurden im dritten Quartal 2016 über 40.000 SafeMails in Schleswig-Holstein über diesen Weg verschickt. 550 von insgesamt 3.300 Praxen nutzen das System bislang, weitere 180 sind derzeit in Vorbereitung. Die Ärzte profitieren davon, dass sie sich über diesen Kommunikationsweg zunehmend auch mit Krankenhäusern austauschen können. 15 Kliniken im Land nehmen bereits teil. Die Kliniken überzeugt, dass sie von den niedergelassenen Ärzten und ihren Patienten positive Rückmeldungen zum SafeNet bekommen. Die KV Schleswig-Holstein hat SafeMail 2011 entwickelt, damit Ärzte schnell, sicher und datenschutzkonform Informationen austauschen können. Die übertragenen Daten werden automatisch der richtigen Patientenakte zugeordnet, wenn die Praxissoftware dafür kompatibel ist. Die Nutzung des Dienstes ist kostenlos, es muss nur der SafeNet-Anschluss zur Verfügung stehen. Über SafeMail lassen sich Texte, PDF-Dateien, JPG-Bilder, DICOM-Dateien, Labor-Dateien und strukturierte Arztbriefe übertragen.

Ob die Zahl der Teilnehmer nun für eine hohe oder eine geringe Aufgeschlossenheit der Ärzte im Land beim Thema Digitalisierung spricht, darüber lässt sich streiten. Über die Haltung der Ärzte zu diesem Thema gibt es unterschiedliche Meinungen. Zum Teil beschleunigen sie den digitalen Wandel, wie etwa Dr. Johannes Jacubeit von connected health. Andere sind nach wie vor in der analogen Welt verhaftet, meint etwa Bernd Hillebrandt, Geschäftsführer der Versorgungsstrukturen GmbH der Universitätsmedizin Rostock. Nach seiner Wahrnehmung tragen Ärzte Mitverantwortung dafür, dass Deutschland beim Thema Digitalisierung "noch meilenweit hinterher hinkt", wie Hillebrandt jüngst in Schwerin sagte.

Dass Deutschland bislang zumindest nicht als Vorbild für andere Länder beim Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen taugt, wurde auf der TK-Tagung in Kiel deutlich. Dort machte die Diplomatin Kristiina Omri von der estnischen Botschaft in Berlin deutlich, welches Vertrauen ihre Landesleute in die Digitalisierung haben und wie stark sie davon auch schon profitieren; dazu hätten Regierung und Unternehmen beigetragen. In Estland erhält jeder mit Lesegerät, Gesundheitskarte und PIN Zugang in die eigene Patientenakte - genauso wie in den Arztpraxen. Der komplett digital funktionierende Austausch dort ist nach ihrer Ansicht nur möglich gewesen, weil Regierung und Unternehmen frühzeitig investiert und den Menschen mit Projekten die Vorteile deutlich gemacht haben.


Randnotizen

36 von 100 möglichen Indexpunkten erreicht das Gesundheitswesen beim Digitalisierungsgrad in einem Vergleich mit anderen Branchen. Dies geht aus dem Monitoring Report Wirtschaft Digital 2016 hervor, der im Auftrag des Wirtschaftsministeriums erstellt wurde. Das ist nur knapp über dem Schlusslicht verarbeitendes Gewerbe, das auf 35 Punkte kommt. Spitzenreiter ist - wenig überraschend - die Informations- und Kommunikationsbranche mit 75 Punkten. Laut Report wird sich im Gesundheitswesen nicht so schnell etwas verändern. Bis 2021, so die Prognose, wird sich der Digitalisierungsgrad nur auf 38 Punkte verbessern. Für die Studie hatte der Marktforscher TNS Infratest aktuell über 900 Interviews mit repräsentativ ausgewählten Vertretern von deutschen Unternehmen geführt.


E-Health
Gesetz in der Vertrauenskrise: Laut einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft pwc begrüßten im Frühjahr nur 22 Prozent der gesetzlich und 14 Prozent der privat Versicherten das E-Health-Gesetz ohne Einschränkung. 47 Prozent der gesetzlich und 43 Prozent der privat Versicherten zeigten sich "misstrauisch". Die Initiatoren der Umfrage vermuten, dass die Vorteile der Digitalisierung im Gesundheitswesen noch zu wenig bekannt sind.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 11/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201611/h16114a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, November 2016, Seite 1 und 6 - 9
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2016

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