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AUSLAND/1911: Pakistan - Unregulierter Medikamentenmarkt fordert Todesopfer (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Dezember 2012

Pakistan: Unregulierter Medikamentenmarkt fordert Todesopfer

von Zofeen Ebrahim


Pakete mit jeweils 1.000 leeren farbenfrohen Kapseln kosten 2,25 Dollar das Stück und sind auf allen größeren Arzneimittelmärkten in Karachi zu haben - Bild: © Adil Siddiqi/IPS

Pakete mit jeweils 1.000 leeren farbenfrohen Kapseln kosten 2,25 Dollar das Stück und sind auf allen größeren Arzneimittelmärkten in Karachi zu haben
Bild: © Adil Siddiqi/IPS

Karachi, 17. Dezember (IPS) - Im letzten Monat ist Muhammad Qasim aus Shahadra, einem Armenviertel der pakistanischen Stadt Lahore, gestorben. Nicht nur der Tod des 26-Jährigen schockierte die Familie, sondern auch die Todesursache. So wurde dem jungen Mann eine Überdosis Hustensaft zum Verhängnis.

Am 23. November hatte Qasim eine ganze Flasche 'Tyno-Hustensirup' geleert. Ein Röcheln aus seinem Zimmer veranlasste die Mutter, nach dem Kranken zu sehen. Da er Schaum vor dem Mund hatte, wurde er in die nächste Klinik transportiert, wo er kurz darauf verstarb.

Qasim war einer von 19 Landsleuten, die im November an einer Arzneimittelüberdosis gestorben sind. Nach Polizeiangaben hatten die meisten Opfer einschließlich Qasim Tyno in regelmäßigen Abständen eingenommen.

Doch weitere Untersuchungen ergaben, dass Qasim nicht nur zu viel von dem Hustensirup eingenommen hatte. Er ist an den Folgen einer Sauerstoffunterversorgung erstickt, verursacht durch eine toxische Substanz im Blut.

Die Tragödie hat in Pakistan eine Diskussion über die Notwendigkeit ausgelöst, den Medikamentenmarkt stärker zu regulieren und das Arznemittelgesetz von 1976 nachzubessern, das die Verbreitung gepantschter Medikamente offenbar nicht eindämmen konnte.


Gepantschtes Herzmittel - 125 Tote

Spätestens seit dem 'Isotab'-Skandal Anfang des Jahres, der 125 Herzpatienten das Leben kostete, ist klar: Es ist höchste Zeit, den Medikamentenmarkt zu reglementieren. Derzeit werden Fälschungen offen auf Bazaren und in Geschäften gehandelt. Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2004 haben gezeigt, dass 40 bis 50 Prozent der in Pakistan in Umlauf befindlichen Medikamente gefälscht sind. 2006 belegte das südasiatische Land auf der Liste der weltweit führenden Hersteller und Verkäufer gepantschter Arzneien den 13. Platz.

"Das ist ein riesiges Problem, das wir nicht länger ignorieren dürfen", meint dazu Nadeem Iqbal von der Verbraucherschutzorganisation in Islamabad. Bisher sei viel zu wenig unternommen worden, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Allerdings ist der Markt für gefälschte Arzneien gegenüber Kontrollen und Qualitätsüberprüfungen recht resistent. Iqbal zufolge ist es aufgrund existierender Gesetzeslücken, schwacher Institutionen und einer laxen Handhabe der bestehenden Gesetze ein Leichtes, die Medikamenten-Versorgungs-Kette zu infiltrieren. Dass sich daran etwas ändert, hält der Verbraucherschützer trotz der Kritik der Medien und der Bevölkerung für unwahrscheinlich.

Eine Reihe medikamentenbedingter Todesfälle hatte zur Einrichtung der Pakistanischen Regulierungsstelle für Medikamente (DRAP) geführt. Pakistans Staatspräsident hatte die DRAP im letzten Monat durch seine Unterschrift aus der Taufe gehoben. Die Einrichtung soll die Pharmaindustrie kontrollieren und sicherstellen, dass bei der Lizenzvergabe, den Preisen und den Qualitätskontrollen alles mit rechten Dingen zugeht. "Wir werden keinem Medikamentenhersteller die Möglichkeit geben, in den Vorstand der Behörde zu kommen", meint der Minister für nationale Regulierung und Dienstleistungen, Firdous Ashiq Awan.

Experten sprechen zwar von einem Schritt in die richtige Richtung, sind aber skeptisch, ob die neue Behörde in der Lage sein wird, die illegalen Machenschaften zu unterbinden. Samrina Hashmi, Vorsitzende des Sindh-Kapitels der Pakistanisch-Medizinischen Vereinigung, ist der Meinung, dass die chronische Korruption in dem Bereich jede Chance auf eine Regulierung des Medikamentenmarktes zunichtemache.

"Die neue Behörde muss vollständig transparent arbeiten", fordert Sania Nishtar, Gründerin der Non-Profit-Denkfabrik 'Heartfile'. Ausschließlich verdiente und kompetente Persönlichkeiten sollten mit an Bord genommen werden. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass die Behörden den Interessen bestimmter Gruppen zum Opfer fielen.

Darüber hinaus müsse für eine Umsetzung der bestehenden Gesetze durch eine Erhöhung der Zahl der Inspekteure und der Beschleunigung der Gerichtsverfahren sowie für härtere Strafen gesorgt werden, meinen zahlreiche Experten. Das Medikamentengesetz von 1976 sieht für Medikamentenfälschung Höchststrafen von bis zu zehn Jahren Gefängnis und/oder eine Geldbuße vor - je nach Art der Verbrechen. Doch bisher wurde ein solches Strafmaß noch nie verhängt.

Nishtar hofft, dass die DRAP die Schlupflöcher des bestehenden Medikamentengesetzes stopfen und mit den erforderlichen Mitteln und dem technischen Wissen ausgestattet wird, um sich als ein unabhängiges und wirksames Instrument gegen die Fälschung von Medikamenten bewähren zu können.


Die 250 Inspektoren überfordert

Derzeit verfügt das Land gerade einmal über 250 Inspektoren, die theoretisch 400 Pharmafirmen und 50.000 Apotheken kontrollieren sollen. "Nicht nur, dass es viel zu wenige Inspektoren sind. Auch deren Kompetenzen sind begrenzt", betont Nishtar. Hinzu kommt, dass ganze 200 Apotheker eine Fachausbildung genossen haben. "Es würde mehr als 20 Jahre dauern, um alle anderen fortzubilden", meint die Expertin. "Ich bin mir nicht sicher, ob das Land jemals die Kapazitäten dafür hat."

Eine 2001 durchgeführte Untersuchung in der Garnisonsstadt Rawalpindi ergab, dass nur 19 Prozent von 311 der insgesamt 506 Apotheken überhaupt über die Voraussetzungen für eine Lizenz verfügten. 22 Prozent der Apotheken konnten qualifiziertes Personal vorweisen, zehn Prozent Temperaturmessgeräte. Vier Prozent waren mit Notstromaggregaten ausgestattet, um im Fall eines Stromausfalls die Kühlung der Medikamente fortzusetzen. Das Wissen der meisten Medikamentenverkäufer, was die Speicherung und Lagerung der Arzneien angeht, sei bestenfalls fragmentiert gewesen.

Hashmi zufolge sollte DRAP ein Netzwerk aus modernen Medikamententestlaboren einrichten, um möglichst schnell die Effizienz und Qualität der Medikamente testen zu können. Auch gelte es die Kenntnisse der Apotheker zu erweitern und mit der Herstellung kostengünstiger Nachahmerprodukte zu beginnen, um die Armen im Lande medizinisch zu versorgen.

Laut WHO gibt Pakistan 77 Prozent seines Gesundheitsbudgets für den Kauf von Medikamenten aus. Dennoch kaufen sich noch immer viele Pakistaner gefälschte Arzneien, die nicht nur unzureichend getestet wurden, sondern zudem abgelaufen waren. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.sanianishtar.info/
http://www.oxfordjournals.org/our_journals/intqhc/about.html
http://www.who.int/medicines/areas/policy/world_medicines_situation/en/index.html
http://www.ipsnews.net/2012/12/unregulated-drug-market-has-deadly-impact-in-pakistan/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2012