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AUSLAND/1701: Ärzte ohne Grenzen - Europa muss Bootsflüchtlinge aus Libyen aufnehmen (ÄoG)


Ärzte ohne Grenzen - Donnerstag, 19. Mai 2011

Ärzte ohne Grenzen: Europa muss Bootsflüchtlinge aus Libyen aufnehmen


Berlin, 19. Mai 2011. Die medizinische Nothilfeorganisation Ärzte ohne Grenzen hat in einem offenen Brief an die Staats- und Regierungschefs der EU die widersprüchliche europäische Libyen-Politik stark kritisiert. Einerseits erheben die EU-Staaten den Anspruch, mit dem Eingreifen in den Krieg Zivilisten zu schützen. Andererseits schließen sie gleichzeitig die Grenzen für die Opfer dieses Krieges - unter dem Vorwand, einen massiven Zustrom illegaler Einwanderer verhindern zu müssen. Der Brief wurde an Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie an führende Politiker in 13 weiteren europäischen Staaten und auf EU-Ebene verschickt und am Donnerstag in mehr als 13 europäischen Tageszeitungen veröffentlicht.

"Die europäischen Regierungen führen Krieg in Libyen aber weigern sich, Verantwortung für die Opfer zu übernehmen. Solange die Menschen in Nordafrika gegen ihre Regierungen aufbegehren, werden sie als Vorkämpfer der Demokratie betrachtet, die man schützen und befreien muss. Wenn sie aber auf der Flucht vor Repressalien dieses Systems das Mittelmeer überqueren, sind sie plötzlich illegale Einwanderer", sagt Frank Dörner, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Berlin. "Es ist beschämend, dass die Bundesregierung jegliche Verantwortung für diese Flüchtlinge zurückweist."

Ärzte ohne Grenzen verweist auf die Diskrepanz zwischen der Hilfe der Nachbarländer Libyens und der Politik der EU-Staaten: Während Tunesien und Ägypten unter schwierigsten Bedingungen fast 630.000 Flüchtlinge aufgenommen haben, weisen die europäischen Länder Bootsflüchtlinge zurück, die bei der Überfahrt aus Libyen ihr Leben riskieren.

"Die Menschen, die wir in Lampedusa betreuen, berichten von Drohungen und Gewalt, die sie in Libyen erfahren haben. Einige wurden geschlagen oder haben gesehen, wie ihre Freunde vor ihren Augen gestorben sind", sagt Loris De Filippi, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen. "Nach einer langen Reise, auf der sie ihr Leben riskiert haben, kommen sie völlig erschöpft an und sind oft unterkühlt. Wenn sie Europa erreichen, finden sie inakzeptable Aufnahmebedingungen vor und sind mit einer völlig unsicheren Zukunft konfrontiert."

In dem offenen Brief verweist Ärzte ohne Grenzen auf die juristische Verpflichtung, die Rechte von Kriegsopfern zu schützen. Die Organisation fordert, dass die Flüchtlinge nicht aus europäischen Hoheitsgewässern oder von europäischem Boden ins Kriegsgebiet abgeschoben werden dürfen, dass angemessene Aufnahmebedingungen in Europa sichergestellt und dass der Zugang zu einem rechtmäßigen Asylverfahren garantiert werden muss.

Teams von Ärzte ohne Grenzen leisten den Opfern des Krieges in Libyen in den Städten Misrata, Bengasi und Sintan Hilfe - sowie in Tunesien und auf der italienischen Insel Lampedusa. Sie werden täglich Zeugen der Auswirkungen des Konflikts auf Zivilisten.



Vermittlung von Interviews, Fotos und eine Dokumentation von
Flüchtlingsschicksalen: Stefan Dold, Tel.: 030 700 130 230,
Christiane Winje, Tel.: 030 700 130 240


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Quelle:
Ärzte ohne Grenzen - Pressemitteilung vom 19. Mai 2011
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
Pressestelle: Tel.: 030/22 33 77 00
E-Mail: office@berlin.msf.org
Internet: www.aerzte-ohne-grenzen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2011