Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → GESUNDHEITSWESEN

AUSLAND/1631: Haiti - Mangel an Toiletten fördert Cholera-Epidemie (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Dezember 2010

Haiti: Mangel an Toiletten fördert Cholera-Epidemie - Auch Kläranlagen dringend benötigt


Port-au-Prince, 27. Dezember (IPS) - In Haiti grassiert die Cholera. Die meisten Erkrankten haben sich durch Abwässer infiziert, die mit menschlichen Exkrementen verseucht sind. Die Behörden kommen mit der Säuberung der Flüsse jedoch nur zögerlich voran.

Von der Cholera-Epidemie sind mittlerweile alle zehn Verwaltungsbezirke des Karibikstaates betroffen. Kurz vor Weihnachten waren bereits an die 2.600 Menschen an der Durchfallerkrankung gestorben. Mehr als 63.000 Patienten wurden in Krankenhäusern behandelt. In Bezirken wie Nippes am Golf von Gonâve, wo es zu wenige Kliniken und Straßen gibt, hat die Mortalitätsrate 15 Prozent erreicht.

Ärzteteams versuchen chlorhaltige Desinfektionsmittel sowie Elektrolyt-Lösungen zum Ausgleich von Flüssigkeitsverlust bis in entlegene Bergregionen zu bringen. An vielen Orten werden provisorische Behandlungszentren eröffnet, während Radiosender, Lehrer, Pfarrer und Bürgerorganisationen die Bevölkerung über Vorsichtsmaßnahmen aufklären. Sie appellieren an die Menschen, Wasser vor dem Trinken zu desinfizieren, sich die Hände zu waschen und nur gekochte Nahrung zu sich zu nehmen.

Immer lauter werden die Stimmen derer, die den UN-Blauhelmen vorwerfen, die Krankheit eingeschleppt zu haben. Die UN-Truppen halten sich seit dem schweren Erdbeben im vergangenen Januar in den Inselstaat auf.


Besserung der Lage nicht in Sicht

Experten befürchten, dass die Cholera in Haiti nicht so bald besiegt sein wird. Selbst wenn jeder Haitianer für die nächsten drei Jahre einen Vorrat an Chlortabletten erhielte und überall Kliniken eröffnet würden, rechnen Beobachter nicht mit einer durchgreifenden Besserung. Sie befürchten sogar, dass jederzeit wieder eine durch Wasser übertragene Seuche ausbrechen könnte.

Ein großes Problem ist der Mangel an Toiletten. "Wir verrichten unser Geschäft überall, auf dem Boden, nahe den Flüssen. Längst nicht jeder von uns hat Latrinen in der Nähe", sagte der Bauer Andremène René. Renol Jeudi Jean, der das Flüchtlingslager Bon Berger südlich der Hauptstadt Port-au-Prince verwaltet, berichtete, dass die Toiletten dort seit fünf Monaten nicht mehr benutzt werden könnten.

Die etwa 300 Familien in dem Camp und die Familie von René gehören zu den rund acht Millionen Haitianern, die keinen Zugang zu Spülklosetts oder hygienisch unbedenklichen Latrinen haben. Dies sind immerhin mehr als 80 Prozent der Bevölkerung.

Keine einzige haitianische Stadt besitzt Kanalisationssysteme und Kläranlagen. Laut dem Internationalen Roten Kreuz steht Haiti auf der Liste der Länder mit den schlechtesten Hygienebedingungen auf Platz elf. In den vergangenen 20 Jahren sei die Lage dort immer kritischer geworden.

"Dabei kann Wasser schnell geklärt werden. Damit haben wir inzwischen begonnen", sagte Pierre-Yves Rochat von der Behörde für Trinkwasser und sanitäre Anlagen (DINEPA). In der zweiten und dritten Phase der nationalen Strategie gegen Cholera werde der Schwerpunkt aber auf der Beseitigung von Fäkalien liegen. Das Weltkinderhilfswerk UNICEF beteiligt sich an der Koordination der Maßnahmen.

Der auf 14 Monate angelegte Hilfsplan sieht die Errichtung von Kläranlagen in allen Bezirken des Landes vor. Bis dahin bleiben den Menschen nur unsaubere Latrinen, Gebüsche, Flussufer und Strände. Die Einwohner dichtbevölkerter Städte verrichten ihre Notdurft in Plastiktüten, die auf Müllhaufen oder in Kanäle geworfen werden. Der auf den Straßen verbleibende Kot wird oft erst nach Wochen durch starken Regen in Bäche und ins Meer gespült.

Die 'bayakou' - Männer, die mit Schubkarren losziehen und die Umgebung von unliebsamen Hinterlassenschaften befreien - konnten die Situation kaum verbessern. Da es keine offiziellen Abladestationen gibt, werfen sie ihre Ladungen dort ab, wo es ihnen passend scheint.

Nach dem Erdbeben hat sich die Notlage deutlich verschärft. Lager, in denen Menschen ohne Obdach campieren, sind wie Pilze aus dem Boden geschaffen. Nach Schätzungen von DINEPA sind zudem etwa 15.000 Flüchtlinge nach Port-au-Prince gekommen. Damit wird das Sanitärproblem immer dringlicher.


Bisher nur provisorische Lösungen

DINEPA und ihre Partner suchen fieberhaft nach einer zentralen Deponie für Fäkalien. In Trutier nördlich der Hauptstadt Port-au-Prince am Rande des Elendsviertels Cité du Soleil werden Exkremente inzwischen in ein offenes Becken geworfen. Nach Hygienegesichtspunkten ist dies jedoch eine zweifelhafte Lösung. Weiter nördlich in Titayen soll Anfang Januar eine neue Müllkippe eröffnet werden.

Rochat räumte im Gespräch mit IPS ein, dass die Anlage auch nach monatelangem Betrieb nur ein Provisorium sei. Asia Ghemri vom UN-Büro für Projektdienste (Unops) warnte davor, dass das Fäkalienbecken in Trutier binnen weniger Wochen überzulaufen droht. Experten kritisieren außerdem, dass es genau über dem Aquifer Cul-de-Sac, der wichtigsten Wasserquelle für die Hauptstadtregion, liegt. Es wird befürchtet, dass die Cholera somit weiter um sich greifen wird.

Rund 250 Familien wohnen in unmittelbarer Nähe der Müllkippe von Trutier. Das Fäkalienbecken befindet sich nur wenige Kilometer von der Gemeinde Duvivier an der Bucht von Port-au-Prince entfernt.


Anwohner protestierten

Auch der Mediziner Homero Silva von der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (PAHO) schlug Alarm. Das Bakterium 'Vibrio cholerae' könne viele Jahre überleben und drohe die Bucht sowie die wichtige Grundwasserader zu verseuchen, erklärte Silva, der bereits den Ausbruch einer großen Cholera-Epidemie in Peru mitverfolgte.

Anfang Dezember protestierten hunderte Einwohner von Duvivier vor der Zufahrt zu dem stinkenden Kotbecken. Wie lokale Nachrichtenagenturen berichteten, wurde ein Demonstrant von der Polizei erschossen. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.unops.org/english/Pages/default.aspx
http://new.paho.org/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=53954

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. Dezember 2010
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2010