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UMWELT/626: Empfehlungen zur Jodprophylaxe bei Reaktorunfällen - Jodblockade (IPPNW)


IPPNW - 22. März 2011
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Empfehlungen zur Jodprophylaxe bei Reaktorunfällen (Jodblockade) mit speziellen Jod-Tabletten

Von Reinhold Thiel


Notwendig ist eine rechtzeitige Einnahme, möglichst 1-2 Tage vor dem Eintreffen einer radioaktiven Wolke

Voraussetzung sind zuverlässige Informationen durch die Behörden über die Notwendigkeit der Einnahme und das betroffene Gebiet. Eine schützende Wirkung gibt es nur bei Einnahme vor der radioaktiven Belastung. Eine Einnahme 3 Std. danach wirkt nur noch zu 50 % und 10 Std. danach gar nicht mehr. Eine zu frühe Einnahme ist wirkungslos. Eine zu späte Einnahme kann sogar schaden, nämlich dann, wenn der Körper radioaktives Jod vorher schon aufgenommen hat.

Ebenso notwendig ist eine ausreichend hohe Dosierung

Die gewünschte Schutzwirkung besteht nur bei genügend hoher Dosierung. Die Empfehlung der WHO lautet: Einmalgabe von 130 mg Kaliumjodid (= 2 Tabletten à 65 mg). Für Schwangere gilt die gleiche Dosisempfehlung, die Schilddrüse des ungeborenen Kindes wird mit geschützt. (Dosierungen für Kinder siehe unten). Mit der ersten rechtzeitigen Einnahme kann man sein Risiko einer schweren Erkrankung der Schilddrüse (einschließlich Krebs) um etwa 90% senken. Eine wiederholte Einnahme von 65 mg (= 1 Tablette) am folgenden Tag bzw. auch an weiteren Tagen ist angeraten, wenn die radioaktive Jod-Belastung anhalten sollte. Auch dazu benötigt man zuverlässige Informationen.

Eine zu niedrige Dosierung hilft nicht

Die allgemein bekannten Jodtabletten im 100-Mikrogrammbereich zur Vorbeugung gegen Kropfbildung genügen zum Schutz nicht. Für die Jodblockade benötigt man eine tausendfach höhere Konzentration.

Wirkprinzip und Biokinetik

Bei der Jodprophylaxe bewirkt die rechtzeitige Aufnahme von normalem Jod vor der Aufnahme des radioaktiven Jods eine "kompetitive Hemmung". Das heißt, der Körper hat dann im richtigen Moment reichlich unbelastetes Jod aufgenommen und macht zunächst einen "Aufnahmestopp".

Radioaktives Jod schadet

Bei Aufnahme von radioaktivem Jod drohen anhaltende Strahlenschäden, auch wenn das radioaktive Jod nach einigen Wochen zerfallen oder ausgeschieden worden ist. Nach Jahren bis Jahrzehnten können Schilddrüsenkrebs und andere Schilddrüsenerkrankungen ausgelöst werden.

Die Tabletten können rezeptfrei in der Apotheke gekauft werden

Wir empfehlen, den Apotheker zu bitten, über die Auslandsapotheke Kaliumjodid 65 mg zu bestellen, z. B. Kaliumjodid "Lannacher" 65 mg-Tbl. ® (Österreich). Diese Tabletten sind für Kinder und Kleinkinder teilbar. Dosierung:

Neugeborene (bis 1 Monat) ¼ Tbl. = 16,25 mg
Säuglinge und Kleinkinder (1 - 36 Monate) ½ Tbl. = 32,5 mg
Kinder von 3 - 12 Jahre 1 Tbl. = 65 mg
ab 13 Jahre 2 Tbl. = 130 mg

Die Tabletten müssen in reichlich Flüssigkeit aufgelöst und dann sofort eingenommen werden.

Kontraindikationen

Jodallergie, Dermatitis herpetiformis, Jododerma tuberosum, Pemphigus vulgaris, Myotonia congenita, Hypokomplementäre Vaskulitis, Hyperthyreose. Relative Kontraindikationen bei Autoimmunkrankheiten, Nierenfunktionsstörungen, Herzinsuffizienz, Asthma bronchiale. Vor allem Vorsicht bei bestehenden Schilddrüsenerkrankungen. Ein sinnvolles Screening dafür ist ein TSH-Bluttest. Wenn aus den genannten Gründen eine Jodblockade nicht durchgeführt werden kann, gibt es als Ausweichpräparat: Natriumperchlorat - Irenat ® Tr. Bitte lassen Sie sich dazu vorab bei Ihrem Hausarzt unter Vorlage dieses Merkblattes beraten.

Zum Alter

Die bisherige offizielle Katastrophenschutz-Rahmenempfehlung, die Jodprophylaxe für Menschen bis zum Alter von 45 Jahren zu begrenzen, ist u. E. überholt, da nach der Katastrophe von Tschernobyl in den verseuchten Gebieten eine 6-fache Zunahme von Schilddrüsenkrebs auch bis ins hohe Alter nachgewiesen wurde. Ferner wäre auch in Deutschland (wie in Österreich längst durchgeführt) eine flächendeckende ereignisunabhängige Vorverteilung an alle Haushalte sinnvoll. Auch ein flächendeckendes TSH - Screening wäre dringend empfehlenswert.

Warnung: Jodtabletten schützen nicht vor allen anderen Strahlenschäden

Die Jodblockade der Schilddrüse kann einzig und allein nur vor Schilddrüsenkrebs und anderen Schilddrüsenerkrankungen schützen, nicht aber vor allen anderen Strahlenschäden. Es gibt keine allumfassende "Strahlenschutztablette". Um sich wirklich wirksam vor atomaren Gefahren zu schützen, müssen weltweit alle Atomreaktoren abgeschaltet werden.

Reinhold Thiel - Vorstand der IPPNW - www.ippnw.de

Stand: 22.3.2011


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Quelle:
Empfehlung der IPPNW - Stand: 22. März 2011
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges /
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.
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Internet: www.ippnw.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2011