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KRIEGSMEDIZIN/038: Kriegspsychotherapeuten (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - Donnerstag, 13. März 2014
(german-foreign-policy.com)

Kriegspsychotherapeuten



BERLIN (Eigener Bericht) - Die Spitzenorganisation der deutschen Psychotherapeuten organisiert erstmals gemeinsam mit der Bundeswehr eine Fortbildung zu Fragen der medizinischen Versorgung kriegstraumatisierter Soldaten. Wie der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) erklärt, spreche "nichts dagegen", dass ein seelisch erkrankter Militär nach "erfolgreicher" Behandlung "auch an Auslandseinsätzen teilnimmt". Im Rahmen der von der BPtK für den heutigen Donnerstag anberaumten Veranstaltung sollen Truppenpsychologen die anwesenden zivilen Ärzte über "Maßnahmen zu Erhalt und Steigerung der psychischen Fitness bei Soldaten" informieren und "Schnittstellen zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung" aufzeigen. Bereits im vergangenen Jahr schloss die BPtK ein offizielles Abkommen mit dem Bundesverteidigungsministerium, dem zufolge sich kriegstraumatisierte Militärs auch in Privatpraxen behandeln lassen dürfen und die dadurch entstehenden Mehrkosten von der Bundeswehr übernommen werden. Schon 2009 hatte die "Deutsche Psychotherapeuten-Vereinigung" ihre Mitglieder aufgerufen, zusätzliche Behandlungsplätze für Soldaten zur Verfügung zu stellen. Interessierte Ärzte mussten allerdings versichern, "den Aufgaben der Bundeswehr in ihren Auslandseinsätzen nicht ablehnend" gegenüberzustehen.


Wieder einsatzbereit

Wie die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) mitteilt, führt sie am heutigen Donnerstag erstmals gemeinsam mit der Bundeswehr eine "Fortbildung" durch, die die Behandlung kriegstraumatisierter Soldaten zum Inhalt hat. Das ganztägige Seminar findet im Offiziersheim der Berliner Blücher-Kaserne statt und richtet sich explizit an zivile Seelenärzte.[1] Über die politische Ausrichtung der Veranstaltung lässt der Präsident des Vorstands der BPtK, Professor Rainer Richter, keine Zweifel aufkommen: Wie der Verbandsfunktionär erklärt, spreche "nichts dagegen, daß ein Soldat, der psychisch krank war, aber erfolgreich behandelt wurde, seinen Dienst weiter fortsetzt - und auch an Auslandseinsätzen teilnimmt".[2]


Psychologen auf Patrouille

Im einzelnen sieht das Fortbildungsprogramm folgendes vor: Nach einer Begrüßung durch den BPtK-Präsidenten Richter und den im Bundesverteidigungsministerium für Fragen der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bei Soldaten zuständigen Brigadegeneral Klaus von Heimendahl sollen die Teilnehmer zunächst über die "Besonderheiten des Soldatenberufs" und die Spezifika einer "Heilbehandlung für die Bundeswehr" informiert werden. Im Anschluss ist ein Referat einer Vertreterin des Einsatzführungskommandos geplant, das die Kriegsgebiete, in denen die Bundeswehr aktiv ist, und die dortigen "Einsatzsituationen" zum Inhalt hat. Danach kommen die Truppenpsychologen der deutschen Streitkräfte zu Wort: Stefan Schanze vom "Kommando Sanitätsdienst" wird von "Maßnahmen zu Erhalt und Steigerung der psychischen Fitness bei Soldaten" berichten, während sich sein Kamerad Alexander Vam der psychologischen Betreuung von Militärs "auf Patrouille", "auf Wache" und "im Feldlager" widmen will. Zuletzt erfahren die Teilnehmer, was die Bundeswehr von ihnen erwartet: Thema des Schlussvortrags sind die "Symptom- und Belastungslagen von Soldaten-Patienten" und die "Schnittstellen zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung" in der Heimat.[3]


Auf Druck des Berufsverbands

Hintergrund der Veranstaltung ist ein am 16. September vergangenen Jahres in Kraft getretenes Abkommen zwischen der 40.000 Mitglieder starken BPtK und dem Verteidigungsministerium. Die Vereinbarung sieht vor, dass sich traumatisierte Militärs auf Wunsch in privatärztliche Behandlung begeben können und daraus gegebenenfalls resultierende Mehrkosten von der Bundeswehr übernommen werden. Umgekehrt verpflichtet sich die BPtK, "spezifische" Fortbildungen für Psychotherapeuten anzubieten.[4] Der Vertrag kam nicht zuletzt auf massives Drängen des Berufsverbandes zustande. Noch im Juni 2013 hatte die BPtK erklärt, die deutschen Streitkräfte "blockierten" die "schnelle psychotherapeutische Versorgung traumatisierter Soldaten", indem sie diesen die Nutzung von Privatpraxen untersagten. Zur Begründung wurde auf die hohe Zahl durch Kriegseinwirkung seelisch erkrankter Militärs verwiesen: "Die eigenen Kapazitäten der Bundeswehr reichen bei weitem nicht aus, um diesen Soldaten eine angemessene Versorgung zu sichern."[5]


Behandlung im Einsatz

In der Tat hat die Zahl kriegsbedingt traumatisierter Bundeswehrangehöriger in den letzten Jahren extrem zugenommen. Offiziellen Angaben zufolge wurden 2013 in den Krankenhäusern der deutschen Streitkräfte 1.423 Soldaten wegen einer "Posttraumatischen Belastungsstörung" (PTBS) behandelt - 2004 waren es lediglich 100. Wissenschaftler der Technischen Universität Dresden haben 2011 zudem ermittelt, dass zwar nur zwei Prozent der an Kriegsoperationen wie in Afghanistan beteiligten deutschen Militärs an PTBS leiden, jedoch etwa 25 Prozent anderweitig seelisch erkranken. Diagnostiziert wurden unter anderem regelmäßig wiederkehrende Angstgefühle, Depressionen und multiple "Erschöpfungssyndrome". Analog zur BPtK leiteten die Dresdner Forscher aus diesem Befund jedoch nicht die Schlussfolgerung ab, Betroffene aus Kriegsgebieten zurückzuziehen. Erklärtes Ziel ihrer vom Bundesverteidigungsministerium mit 1,7 Millionen Euro finanzierten Studie war vielmehr, "Empfehlungen" zu erarbeiten, "wie zukünftig die Prävention und Behandlung von Soldatinnen und Soldaten vor, während und nach einem Auslandseinsatz verbessert werden kann" (german-foreign-policy.com berichtete [6]).


Kriegsgegner unerwünscht

Auch die Kooperation der Berufsverbände deutscher Seelenärzte mit dem Militär hat bereits Tradition. Schon 2009 forderte die "Deutsche Psychotherapeuten-Vereinigung" ihre Mitglieder in einem internen Rundschreiben auf, "kurzfristig" Therapieplätze für Angehörige der deutschen Streitkräfte zur Verfügung zu stellen. Zur Begründung hieß es: "In einem Gespräch im Verteidigungsministerium wurde uns die wachsende Anzahl traumatisierter Soldaten in Auslandseinsätzen deutlich gemacht. Trotz der internen Behandlungsmöglichkeiten bei der Bundeswehr werden zusätzlich qualifizierte externe Psychotherapeuten gesucht." An Kriegsgegner war dabei allerdings - analog zu heute - explizit nicht gedacht: Interessierte Ärzte sollten eine förmliche Erklärung abgeben, "den Aufgaben der Bundeswehr in ihren Auslandseinsätzen nicht ablehnend" gegenüberzustehen (german-foreign-policy.com berichtete [7]).


Protest

Mehr als 200 Ärzte und Psychotherapeuten wandten sich seinerzeit mit einem Protestschreiben an das Bundesverteidigungsministerium und erklärten, sie ließen sich nicht "für die Kriegsführung der Bundeswehr instrumentalisieren" (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Auch gegen die jetzt von der BPtK anberaumte Fortbildungsveranstaltung regt sich Widerstand. In einer Stellungnahme der "Neuen Gesellschaft für Psychologie" heißt es dazu: "Es kann nicht Aufgabe von Psychologen sein, Reaktionen von Soldaten auf Kriegshandlungen - wie Entsetzen, Abscheu und Angst vor erneutem Erleben - wegzutherapieren, um Soldaten für den nächsten Einsatz fit zu machen. ... Daher lehnen wir solche psychotherapeutischen Behandlungen unter der Regie der Bundeswehr ebenso wie die von der Bundeswehr organisierten Fortbildungen ab."


Anmerkungen:

[1] Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK):
Psychotherapeutische Behandlung von Soldaten (Fortbildungsprogramm).

[2] Psychische Erkrankungen bleiben zu häufig unerkannt - auch bei Soldaten.
Pressemitteilung der BPtK 26.11.2013.

[3] BPtK: Psychotherapeutische Behandlung von Soldaten (Fortbildungsprogramm)

[4] Psychisch kranke Soldaten zukünftig besser ambulant versorgt.
Pressemitteilung der BPtK 10.09.2013.

[5] Bundeswehr blockiert schnelle Behandlung traumatisierter Soldaten.
Pressemitteilung der BptK 07.06.2013.

[6] S. dazu Forschungspartner.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58102

[7], [8] S. dazu Willkommen im Krieg (II).
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57614

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. März 2014