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KRIEGSMEDIZIN/033: Irak - Studie belegt Zusammenhang zwischen Geburtsfehlern und toxischer Munition (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Oktober 2012

Irak: Seltene Geburtsfehler in der Nachkriegszeit - Interview mit Umwelttoxikologin Savabieasfahani über die Ergebnisse einer neuen US-Studie

von Julia Kallas



New York, 31. Oktober (IPS) - Neue Forschungserkenntnisse in den USA bestätigen den Verdacht irakischer Ärzte, dass es einen Zusammenhang zwischen der Epidemie seltener Geburtsfehler bei Neugeborenen und der toxischen Munition gibt, die im US-geführten Krieg im Irak zum Einsatz kam. "Wie beobachten, dass die Missbildungen momentan zunehmen", so die Hauptautorin der jüngsten Studie, Mozhgan Savabieasfahani, im IPS-Interview.

Am schlimmsten betroffen sind offenbar die Städte Falludscha im Zentralirak und Basra im Süden, wie die Umwelttoxikologin an der 'School of Public Health' im US-Bundesstaat Michigan berichtet. Allein die Zahl der in der Geburtsklinik von Basra verzeichneten Geburtsdefekte wie Gehirnschäden, Herzfehler und Missbildungen von Körperteilen hat sich zwischen 2003 und 2009 mehr als verdoppelt. In Falludscha wurde zwischen 2007 und 2010 bei über der Hälfte der Neugeborenen Deformationen festgestellt. Noch im Jahr 2000 hatte die Rate bei weniger als zwei Prozent gelegen.

Laut der im 'Bulletin of Environmental Contamination and Toxicology' veröffentlichten Studie 'Metal Contamination and The Epidemic of Congenital Birth Defects in Iraqi Cities', an der Savabieasfahani federführend mitgewirkt hat, wurden bei Untersuchungen von 56 Familien in Falludscha Spuren von Blei und Quecksilber gefunden. IPS sprach mit der Wissenschaftlerin über die langfristigen Auswirkungen, die die bei Bombardierungen freigesetzten Metalle auf die menschliche Gesundheit haben. Es folgt das Interview in Auszügen:

IPS: Sie haben sich in der Studie auf Falludscha und Basra konzentriert. Gibt es Hinweise darauf, dass das Problem auch andere Städte im Irak betreffen könnte?

Mozhgan Savabieasfahani: Es gibt eine weitere Untersuchung aus einer anderen Stadt mit einer vergleichbaren Ausgangssituation. Es ist gut möglich, dass auch andere bombardierte Gebiete betroffen sein können. Allerdings gibt es keine Veröffentlichungen, die dies belegen.

IPS: Laut Ihrer Untersuchung wurden noch 2010 schwere Missbildungen bei Neugeborenen festgestellt. Wie viele Jahre werden die gesundheitlichen Folgen des Kriegs spürbar sein?

Savabieasfahani: Aus meiner Sicht als Umwelttoxikologin gehe ich davon aus, dass das Problem so lange weiterbesteht, wie die Umwelt nicht gesäubert wird, die Ursache der Kontaminierung nicht gefunden ist und die Menschen ihr weiterhin täglich ausgesetzt sind. Wie beobachten, dass die Missbildungen momentan zunehmen.

Die beste Maßnahme wäre, auf breiter Ebene Umwelttests durchzuführen. Wasser, Luft, Essen, Böden - alles, womit Menschen in Kontakt kommen - sollte auf toxische Metalle hin überprüft werden. Sobald wir die Quelle gefunden haben, können wir mit der Säuberung beginnen. Geschieht dies nicht, werden die Menschen den Giften weiter ausgesetzt sein.

IPS: Welche Art Munition ist wahrscheinlich für diese großflächige Kontaminierung verantwortlich?

Savabieasfahani: Wir haben auf einige US-Militärdokumente verwiesen, die nahelegen, dass Kleinwaffen die Auslöser sein könnten. Doch auch Bomben und alle anderen Kampfmittel enthalten ähnliche toxische Metalle, darunter Quecksilber und Blei, die wir auch bei den Menschen in Falludscha und Basra festgestellt haben.

IPS: Arbeiten Sie mit Forschern von der Weltgesundheitsgesundheitsorganisation WHO zusammen, die ähnliche Untersuchungen durchführen? Die Ergebnisse sollen in den nächsten Monaten herauskommen.

Savabieasfahani: Nein, ich stehe nicht in Kontakt mit der WHO oder anderen Organisationen. Wir haben ausschließlich mit Wissenschaftlern zusammengearbeitet.

IPS: Gab es bereits offizielle Reaktionen auf Ihre Studie seitens der Regierungen des Iraks, der USA und Großbritanniens?

Savabieasfahani: Das US-Verteidigungsministerium hat erklärt, dass es von keinen offiziellen Berichten weiß, die auf Probleme in Basra oder Falludscha hindeuten.

IPS: Wie geht das irakische Gesundheitswesen mit einer solchen Notlage um? Und wie kann diesen Gebieten geholfen werden, mit dem Problem der Kontaminierung fertig zu werden und medizinische Hilfe zu leisten?

Savabieasfahani: Ich weiß, dass die Krankenhäuser in den beiden Städten überlastet sind. Wir müssen Ärzte, Wissenschaftler und Fachkräfte in die betroffenen Städte bringen, damit sie ihren Beitrag zur Dekontaminierung leisten. Damit dies geschehen kann, bedarf es sowohl der finanziellen als auch der politischen Unterstützung. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.springerlink.com/content/u35001451t13g645/fulltext.html?MUD=MP
http://www.ipsnews.net/2012/10/qa-severe-birth-defects-soar-in-post-war-iraq/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. November 2012