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ERNÄHRUNG/952: Prävention beginnt bereits im Mutterleib (DGE)


Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. - 28. Januar 2009

Prävention beginnt bereits im Mutterleib

Ernährung und frühe kindliche Prägung


(dge) Das Risiko für Übergewicht wird bereits im Mutterleib geprägt. So lautet ein Fazit zur aktuellen Thematik "Ernährung und frühe kindliche Prägung" im Ernährungsbericht 2008 der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE). Der starke, epidemieartige Anstieg von Übergewicht und daraus resultierenden Folgeerkrankungen in den Industrieländern in einem relativ kurzen Zeitraum von 20-30 Jahren ist genetisch nicht erklärbar. Stattdessen legen epidemiologische, klinische und tierexperimentelle Studien die Vermutung nahe, dass insbesondere die Ernährung während der pränatalen, also vorgeburtlichen, und frühkindlichen Entwicklung einen prägenden Einfluss auf die spätere Entstehung von Übergewicht und Diabetes mellitus Typ 2 haben kann.

Die Einflüsse während der Schwangerschaft bestimmen offenbar sogar in größerem Ausmaß als genetische Faktoren das Geburtsgewicht. So konnten mehrere Untersuchungen zeigen, dass eine übermäßige Gewichtszunahme während der Schwangerschaft mit einem erhöhten Geburtsgewicht des Kindes einhergeht, welches wiederum als Risikofaktor für Übergewicht und Diabetes mellitus Typ 2 im späteren Leben identifiziert werden konnte. Adipositas während der Schwangerschaft erhöht außerdem das Risiko für Komplikationen bei der Geburt für Mutter und Kind. Vor dem Hintergrund, dass bereits jede dritte bis vierte Frau in Deutschland im gebärfähigen Alter übergewichtig ist, handelt es sich potenziell um ein gesundheitspolitisches Problem mit erheblichem Ausmaß.

Übergewicht und eine übermäßige Gewichtszunahme in der Schwangerschaft ist dementsprechend im Interesse der Gesundheit von Mutter und Kind zu vermeiden. Schwangere müssen nicht "für zwei" essen. Die zusätzliche Energieaufnahme normalgewichtiger Frauen sollte im Bereich zwischen 200 und 300 kcal/Tag liegen. Übergewichtigen Frauen mit Kinderwunsch wird eine Gewichtsnormalisierung vor der Schwangerschaft empfohlen. Die Gewichtszunahme während der Schwangerschaft sollte sich nach dem Body Mass Index (BMI) vor der Schwangerschaft richten: 12,5 bis 18 kg für untergewichtige Frauen; 11,5 bis 16 kg für normalgewichtige Frauen; 7 bis 11,5 kg für übergewichtige Frauen sowie mindestens 6 kg für adipöse Frauen.


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Hintergrundinformation:

Inwieweit die Ausprägung von Merkmalen, die pränatal angelegt, aber nicht genetisch vererbt worden sind, bei der Entstehung von Übergewicht und Adipositas eine Rolle spielt, ist Kernbestandteil des relativ jungen Forschungsgebiets der "Perinatalen Programmierung". Das Konzept bezeichnet einen Prozess, bei dem während kritischer Entwicklungsphasen (pränatal/neonatal1/frühkindlich) durch Einwirkung von Außenfaktoren, wie Ernährung oder Hormonen, die künftige Funktionsweise von Organen und Organsystemen dauerhaft festgelegt wird. Im Falle einer Störung dieser "Programmierung" können daraus im späteren Leben chronische Erkrankungen wie z. B. Übergewicht und Diabetes mellitus entstehen. Die perinatale Programmierung eröffnet daher die Möglichkeit der Primärprävention dieser Risiken.

Dass die Einflüsse während der Schwangerschaft offenbar in weit größerem Ausmaß als genetische Faktoren für das Geburtsgewicht verantwortlich sind, konnte eine britische Studie mit Kindern, die durch sogenannte "Leihmütter" ausgetragen wurden, zeigen: Der BMI der Leihmutter beeinflusste das Geburtsgewicht des Kindes stärker als das Gewicht der natürlichen Mutter. Als Ursache dafür kommt primär der Ernährungszustand der Schwangeren infrage.

Für einen Zusammenhang zwischen der Gewichtszunahme in der Schwangerschaft und dem Risiko für Übergewicht beim Neugeborenen scheint die Energiezufuhr der Mutter während der Schwangerschaft eine entscheidende Rolle zu spielen. Eine Vielzahl von Befunden zeigt, dass eine zu hohe mütterliche Energiezufuhr - unabhängig davon, ob diese permanent oder erst während der Schwangerschaft auftritt - einen deutlichen Einfluss auf das Geburtsgewicht des Kindes hat. Das Makrosomierisiko, d. h., das Risiko für ein Geburtsgewicht > 4.000 g bzw. > 4.500 g, ist bei Kindern adipöser Frauen mehr als verdoppelt, bei Kindern massiv adipöser Frauen sogar mehr als verdreifacht.

Ebenso besteht eine Assoziation zwischen erhöhtem Geburtsgewicht und späterem Übergewichtsrisiko. Ein systematischer Review ergab, dass 89 % der Studien einen positiv linearen Zusammenhang fanden. Auch das Risiko für die spätere Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 2 steigt nach den Ergebnissen einer aktuellen Meta-Analyse bei zu hohem Geburtsgewicht.

Einen weiteren Einfluss auf das Übergewichtsrisiko des Kindes hat die frühkindliche Ernährung: So führt Stillen im Vergleich zu Nichtstillen zu einer Senkung des Risikos, im späteren Kindes- oder Erwachsenenalter Übergewicht zu entwickeln. Jeder Monat des Stillens reduziert das Risiko des Kindes, später Übergewicht zu entwickeln um 4 %, wobei nach 7 bis 9 Monaten ein Plateau erreicht wird. Stillen beeinflusst damit sowohl das Risiko für Diabetes mellitus Typ 2 als auch für Herz-Kreislauf-Krankheiten positiv. Als natürliche Form der Neugeborenenernährung wird Stillen daher weiterhin uneingeschränkt empfohlen und sollte entsprechend gefördert werden.

"Prävention darf nicht erst im Kindesalter beginnen. Entscheidende, lebenslange Weichenstellungen im Sinne einer Prägung von Krankheitsveranlagungen erfolgen bereits während kritischer Entwicklungsphasen im Mutterleib und in den ersten Lebenswochen" fasst Prof. Dr. Andreas Plagemann den aktuellen Kenntnisstand der perinatalen Programmierung auf dem Journalistenseminar "Essen und Trinken in Deutschland - Ergebnisse des Ernährungsberichts 2008" der DGE am 28. Januar 2009 im Universitätsclub Bonn zusammen.


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Quelle:
DGE-aktuell 06/2007 vom 01.01.2009
Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE)
Godesberger Allee 18, 53175 Bonn
Telefon 0228/3776 - 600, Telefax 0228/3776 - 800
Internet: www.dge.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2009