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UMWELT/737: Schmerzmittel im Wasser - Wohin mit alten Arzneimitteln? (Securvital)


Securvital 4/14 - Oktober-Dezember 2014
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Wohin mit alten Arzneimitteln?
Schmerzmittel im Wasser

Von Frank Kürschner-Pelkmann



Rückstände von Medikamenten verändern die Tier- und Pflanzenwelt

Ein Flussbarsch, der keine Angst kennt, ist rasch ein toter Barsch. Schuld daran können die Reste von Medikamenten im Wasser sein. Schwedische Wissenschaftler haben in den letzten Jahren herausgefunden, dass die Rückstände von Psychopharmaka in Gewässern unterhalb von Kläranlagen die Barsche angstfreier machen. Sie verhalten sich dann unvorsichtiger, wagen sich sorglos aus ihren Verstecken hervor und laufen Gefahr, gefressen zu werden.

Das ist keineswegs nur ein Problem der Barsche. Es betrifft möglicherweise große Teile der Tier- und Pflanzenwelt und auch den Menschen. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP ist besorgt über die Auswirkungen von Medikamenten in der Umwelt. In Deutschland hat das Umweltbundesamt UBA ein vierjähriges Forschungsprojekt dazu gestartet. UBA-Präsident Thomas Holzmann erklärt, man könne jetzt schon nachweisen, "dass Arzneimittelrückstände in der Umwelt weltweit ein relevantes Problem darstellen".

Mehr als 30.000 Tonnen Medikamente werden jährlich allein in Deutschland verabreicht. In beträchtlichen Mengen geraten die Wirkstoffe ins Abwasser, entweder auf dem Weg durch den Körper in die Toilettenspülung oder auch durch nicht sachgemäß entsorgte Medikamentenreste. Spuren von mehr als 630 verschiedenen Arzneimittelwirkstoffen sowie deren Abbauprodukte lassen sich nach Angaben des UBA in vielen Teilen der Erde nachweisen. Sie sind in Gewässern, Böden, Klärschlamm und in Tieren und Pflanzen zu finden.

"Arzneimittelrückstände in der Umwelt stellen weltweit ein relevantes Problem dar."
Thomas Holzmann, Präsident des Umweltbundesamts

Umfangreiche Daten liegen bisher zum Schmerzmittel und Entzündungshemmer Diclofenac vor. Der Wirkstoff wurde in 50 Ländern im Wasser nachgewiesen. In 35 dieser Länder überstiegen Messwerte die Konzentration von 0,1 Mikrogramm je Liter. Damit liegen die Werte in der Nähe der Grenze, von der ab in der Natur Schädigungen von Fischen festgestellt wurden.

Vieles ist noch unerforscht, und zwar nicht nur im Blick auf die einzelnen Wirkstoffe, sondern auch die Situation in unterschiedlichen Weltregionen. Vom afrikanischen Kontinent liegen zu Umweltgefahren durch Medikamente nur insgesamt zwei Dutzend wissenschaftliche Beiträge vor, die meisten davon aus Südafrika. Die Wirkungen von Rückständen der in Afrika häufig angewandten Medikamente gegen Malaria und HIV/Aids sind noch weitgehend unbekannt - und dies auf einem Kontinent, wo vielerorts jegliche Kläranlage fehlt.

Östrogen für die Fische

Aber auch aus Ländern mit modernen dreistufigen Klärsystemen werden beunruhigende Veränderungen im gereinigten Wasser beobachtet. So hat eine kanadische Studie nachgewiesen, dass Östrogenrückstände aus Antibabypillen nicht nur bei Menschen wirken, sondern zu mehr als 99 Prozent auch bei Fischen, die in belastetem Wasser schwammen. Untersuchungen aus anderen Ländern haben die Verweiblichung männlicher Fische durch Medikamentenrückstände belegt.

Gehen auch von den Abwässern pharmazeutischer Unternehmen Risiken aus? Das hat eine Forschungseinrichtung des US-Innenministeriums untersucht und 2010 alarmierende Ergebnisse veröffentlicht. Zwei New Yorker Kläranlagen, die größere Mengen Abwässer pharmazeutischer Unternehmen aufnehmen, wiesen sogar noch nach der Klärung des Abwassers bis zu 1.000 Mal höhere Medikamentenkonzentrationen auf als andere amerikanische Kläranlagen.

Auch wenn die Weltgesundheitsorganisation WHO die Gefahren durch Medikamentenrückstände noch zurückhaltend einschätzt, haben mehrere Länder Maßnahmen zur Begrenzung der schädlichen Auswirkungen ergriffen. In Schweden besteht ein vorbildliches Rücknahmesystem nicht benötigter Arzneimittel durch die Apotheken. Auch werden Ärzte zur Verschreibung umweltfreundlicherer Medikamente angehalten und orientieren sich an Listen, die die Umweltrisiken der einzelnen Medikamente aufführen.

Auf EU-Ebene und auch in Deutschland fehlen solche Maßnahmen. Zwar müssen in der EU neue Medikamente auf ihre Umweltverträglichkeit geprüft werden. Aber auch bei sehr ungünstigen Werten besteht keine Handhabe, ein Medikament nicht zuzulassen. Viele Tausend schon länger auf dem Markt befindliche Medikamente werden überhaupt nicht auf die Wirkungen ihrer Rückstände in der Umwelt geprüft.

Was können Verbraucher in dieser Situation tun? Solange es kein geordnetes Rücknahmesystem für alte Arzneimittel gibt, sollte man nicht mehr benötigte Medikamente auf keinen Fall in die Toilette schütten, sondern nach Möglichkeit in Apotheken abgeben. Das Bundesgesundheitsministerium rät auch dazu, sie in den normalen Hausmüll zu geben, weil die Schadstoffe in den Müllverbrennungsanlagen bei hohen Temperaturen weitgehend zerstört oder zumindest inaktiviert werden.

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Quelle:
Securvital 4/14 - Oktober-Dezember 2014, Seite 22 - 23
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
alternativer Versicherungskonzepte
Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2014