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MELDUNG/855: Nachrichten aus Forschung und Lehre vom 28.07.15 (idw)


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilungen

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      Gemeinsam die Zukunftsfragen der Gesundheit beantworten
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Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie - BIPS - 27.07.2015

Von Übergewicht bis zur Impfpolitik: Gemeinsam die Zukunftsfragen der Gesundheit beantworten

Münchner und Bremer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich mit Institutionen aus Österreich und der Schweiz zusammengeschlossen, um einen europäischen Satelliten der Public Health-Gruppe des Forschungsnetzwerks Cochrane zu gründen. Die Ziele der Kooperation sind es, die Forschung zu Themen der öffentlichen Gesundheit voranzutreiben und die Ergebnisse an die Öffentlichkeit sowie an Entscheidungsträger zu vermitteln. Beteiligt sind die Ludwig-Maximilians-Universität München, die Universität Bremen und das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie - BIPS.

Wie soll die Gesellschaft mit der rasanten Zunahme von Übergewicht in der Bevölkerung umgehen? Brauchen wir für bestimmte Krankheiten eine Impfpflicht? Welche Regelungen macht die Belastung unserer Atemluft mit Feinstaub notwendig? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, braucht es gezielte Forschung auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit (Public Health) sowie einen transparenten und verantwortungsbewussten Umgang mit den daraus entstehenden wissenschaftlichen Ergebnissen und Aussagen.

Die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, die Universität Bremen und das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie - BIPS haben sich mit Cochrane Österreich, Cochrane Schweiz und der Universität Zürich zusammengetan, um der Public Health-Forschung mehr Gewicht zu verleihen, sie besser zu koordinieren und so wichtigen gesellschaftlichen Gesundheitsanliegen eine starke, faktenbezogene Stimme zu geben. Unterstützt wird die Initiative von Cochrane Deutschland.

Der europäische Satellit ist ein Ableger von "Cochrane Public Health", einer der insgesamt über 50 themenbezogenen Arbeitsgruppen des internationalen Forschungsnetzwerks Cochrane. Das zentrale Ziel dieses Netzwerks ist es, die wissenschaftlichen Grundlagen für Entscheidungen im Gesundheitssystem zu verbessern. Dieses Ziel wird vor allem durch das Erstellen, Aktualisieren und Verbreiten systematischer Übersichtsarbeiten erreicht.

"Im Gegensatz zu medikamentösen Verfahren sind Public Health-Ansätze oft komplex - so kommen zum Beispiel technische, regulatorische und informierende Maßnahmen gemeinsam zum Einsatz und müssen jeweils den lokalen Gegebenheiten angepasst werden", erklärt PD Dr. Eva Rehfuess, Wissenschaftlerin am Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE) der LMU. "Um die Wirksamkeit dieser Maßnahmen korrekt bestimmen zu können, brauchen wir ein innovatives Methodenpaket. Hieran arbeiten wir gemeinsam, insbesondere bei der Erstellung von systematischen Übersichtsarbeiten und der Beurteilung der so zusammengeführten Evidenz."

Ein erstes gemeinsames Projekt ist die Internetseite "Cochrane Kompakt". Laienverständliche Zusammenfassungen wichtiger systematischer Übersichtsarbeiten werden ins Deutsche übersetzt und online für alle Interessierten zur Verfügung gestellt. "Wir dürfen das Feld der Gesundheitsinformation nicht Gruppen überlassen, die primär kommerzielle Interessen verfolgen", betont Dr. Erik von Elm, Wissenschaftler am "Institute of Social and Preventive Medicine" der Universitätsklinik Lausanne und Co-Direktor von Cochrane Schweiz. "Patienten, Angehörige oder Eltern haben das Recht, unabhängige und objektive Informationen zu Wirksamkeit oder möglichem Schaden von gesundheitsbezogenen Maßnahmen zu erhalten. Das wollen wir mit Cochrane Kompakt ermöglichen."

Prof. Dr. Stefan K. Lhachimi, Leiter der "Collaborative Research Group for Evidence-Based Public Health" an der Universität Bremen und am BIPS, erklärt: "Um unsere Forschungsbemühungen auch sinnvoll den Erwartungen und Bedürfnissen unserer Zielgruppe anzupassen, bedarf es einer 'Inventur' der vorrangigen Public Health-Probleme. Wir werden untersuchen, wo einerseits Informationsdefizite und andererseits Informationsüberfluss bestehen. Hierzu werden wir auch Gesundheitspolitikerinnen und -politiker, Behörden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und auch Betroffenenverbände in allen deutschsprachigen Ländern befragen."

Das Forschungsnetzwerk Cochrane wurde 1993 als weltweiter Zusammenschluss von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Medizin und Patientenvertretung gegründet. Namensgeber ist Sir Archibald Leman Cochrane, der britische Epidemiologe und Urvater der evidenzbasierten Medizin. Ziel von Cochrane ist es, medizinische Fragestellungen evidenzbasiert zu beantworten und somit Akteurinnen und Akteuren im Gesundheitswesen sowie Patientinnen und Patienten bei der Einschätzung von Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten zu unterstützen.

* Weitere Informationen:
Website von "Cochrane Public Health Europe":
http://ph.cochrane.org/cochrane-public-health-europe
Website von "Cochrane Kompakt":
http://www.cochrane.org/de/evidence
Website von Cochrane international:
http://www.cochrane.org/
Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE) der LMU:
http://www.ibe.med.uni-muenchen.de/
"Research Group for Evidence-Based Public Health", Universität Bremen und BIPS:
http://www.ebph.uni-bremen.de/

* Kontakt:
Ludwig-Maximilians-Universität München
PD Dr. Eva Rehfuess
Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie
E-Mail rehfuess@ibe.med.uni-muenchen.de

Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie - BIPS / Universität Bremen
Prof. Dr. Stefan Lhachimi
E-Mail Stefan.Lhachimi@uni-bremen.de

Pressestelle BIPS
Anja Wirsing
E-Mail presse@bips.uni-bremen.de

* Weitere Informationen finden Sie unter
http://ph.cochrane.org/cochrane-public-health-europe
http://www.cochrane.org/de/evidence
http://www.ibe.med.uni-muenchen.de/
http://www.ebph.uni-bremen.de/

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1878

Quelle: Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie - BIPS, Anja Wirsing, 27.07.2015

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Klinikum der Universität München - 27.07.2015

Krebsbehandlung in der Petrischale

Der SpheroTest® ermittelt die wirksamste Therapie individuell für jeden Krebspatienten

Für die Behandlung des Mammakarzinoms stehen inzwischen eine ganze Reihe unterschiedlicher Medikamente zur Verfügung: diverse Chemotherapeutika, Antikörper und zielgerichtete Medikamente. Sicher zu prognostizieren, welche Medikamente konkret bei jeder individuellen Patientin zum besten Ergebnis - die komplette Remission des Tumors - durch die neoadjuvante Therapie führen, ist bislang unmöglich. Doch Wissenschaftler des Klinikums der Universität München haben ein neues Verfahren entwickelt und dessen Zuverlässigkeit bestätigen können. Damit können sie jetzt vor Beginn der Behandlung verlässlich abschätzen, welche Mono- oder Kombinationstherapie den optimalen Effekt sichert. "Wir haben erstmals in einer prädiktiven multizentrischen Studie bewiesen, dass unsere Methode funktioniert", sagt Privat-Dozentin Dr. Barbara Mayer von der Chirurgischen Klinik in Großhadern, die von "einem großen Schritt in Richtung individualisierte Tumortherapie" spricht.

Schon seit 2006 arbeitet Mayer zusammen mit ihrer Kollegin Privat-Dozentin Dr. Ilona Funke daran, vorhandene Therapieoptionen gezielt einzusetzen, um so den Behandlungserfolg bei der individuellen Patientin zu verbessern. Ihre Strategie: eine Technologie-Plattform zu entwickeln, mit der aus dem individuellem Tumorgewebe sogenannte Mikrotumore hergestellt und in der Kulturschale gezüchtet werden, die dem Originaltumor jedes einzelnen Patienten gleichen. Anhand der Mikro-Replikate, so die Vorstellung, lassen sich dann alle in den jeweiligen Leitlinien enthaltenen Therapieoptionen testen. So sollen die Patienten dann die für ihren individuellen Tumor vielversprechendste Behandlung bekommen.

Aus der Idee erwuchs in mehreren Jahren Arbeit die "Sphäroid-Mikrotumor-Technologie". Wie sie en detail funktioniert, darf Mayer wegen des Patentschutzes nicht verraten. Grundsätzlich aber werden zunächst die Zellen des entnommen Tumorgewebes eines Patienten isoliert, und zwar alle Zellen samt Fibroblasten, Lymphozyten und anderer Zelltypen. In die Näpfchen einer Mikrotiterplatte injiziert, wachsen die verschiedenen Zellarten zu einem miniaturisierten, dreidimensionalen Abbild des individuellen Originaltumors heran - "ohne Veränderungen, mit sehr ähnlichen biologischen Eigenschaften", wie Dr. Mayer erklärt. Binnen acht Tagen identifizieren die Forscherinnen dann, welches konkrete Medikament bzw. welcher Medikamentencocktail den Tumor am besten attackiert. Oder ob er überhaupt auf die Substanzen anspricht.

Ob das Sphäroid-Mikrotumor-Modell wirklich valide Aussagen für die Klinik ermöglicht, wurde nun in einer prospektiven, nicht-interventionellen Kohortenstudie mit 202 Mammakarzinom-Patienten aus 16 deutschen Brustzentren überprüft. Entsprechend dem Studiendesign bekam das SpheroTec-Zentrallabor zeitgleich mit der Pathologie der jeweiligen Kliniken Stanzbiopsien des individuellen Tumormaterials. Die Ärzte gaben nach Analyse des Gewebes durch die Pathologie und basierend auf den Leitlinien der Mammakarzinom-Behandlung eine Empfehlung für die neoadjuvante Therapie ab, die auch umgesetzt wurde.

Gleichzeitig nutzte das Team um Dr. Mayer die Sphäroid-Technologie, um seinerseits verschiedene leitliniengerechte Mono- und Kombinationstherapien für jede einzelne Patientin zu testen. Dieses Testergebnis wurde unter Verschluss gehalten. Aufgrund diverser Ausschlusskriterien gingen in die finale Auswertung die Daten von 78 Patientinnen ein. Acht bis zehn Monate nach Ende der jeweiligen Behandlung wurde das klinisch erzielte Behandlungsergebnis mit dem Testergebnis im Sphäroid-Modell verglichen.

Ergebnis: "Der prädiktive Wert des Verfahrens ist hoch, freut sich Mayer."

Mit einer Ausnahme identifizierte der SpheroTest® bei allen Patientinnen eine wirksame Therapie - und die Patientinnen zeigen klinisch eine komplette Remission des Tumors (Halfter et al., BMC Cancer, accepted for publication). Ein weiterer Vorteil der neuen Methode: Das Ergebnis steht spätestens acht Tage nach Entnahme der Gewebeprobe fest und kann damit rechtzeitig in die Therapieempfehlung einfließen, die das Tumorboard des jeweiligen klinischen Zentrums für die jeweilige Patientin ausspricht.

Grundsätzlich lässt sich der SpheroTest®, so Mayer, "für alle soliden Tumoren nutzen, unabhängig davon, ob es sich um einen Primärtumor oder ein Rezidiv handelt." Entsprechend laufen derzeit weitere multizentrische Prädiktionsstudien unter Federführung verschiedener Zentren im Klinikum der Universität München beim Ovarialkarzinom, beim Magenkarzinom und beim kolorektalen Karzinom. Insgesamt wurden bereits über 700 Tumorproben zu Sphäroiden aufgearbeitet und getestet.

Die langjährigen Forschungsarbeiten des Teams um Barbara Mayer und Ilona Funke konnten durch verschiedene Förderprogramme unterstützt werden. Erste Validierungsarbeiten in einer früheren klinischen Studie waren beispielsweise Bestandteil des "Münchner Spitzenclusterprogramms zur Personalisierten Medizin".

* Publikation:
http://www.biomedcentral.com/1471-2407/15/519

* Ansprechpartner:
Privat-Dozentin Dr. Barbara Mayer
Studienleitung
Klinik für Allgemeine, Viszeral-, Transplantations-, Gefäß- und Thoraxchirurgie
Klinikum der Universität München, (LMU)
Marchioninistraße 15, 81377 München
E-Mail: Barbara.Mayer@med.uni-muenchen.de

Klinikum der Universität München
Im Klinikum der Universität München (LMU) werden jährlich an den Standorten Campus Großhadern und Campus Innenstadt rund 500.000 Patienten ambulant, teilstationär und stationär behandelt. Den 29 Fachkliniken, zwölf Instituten und fünf Abteilungen sowie den 46 interdisziplinären Zentren stehen etwas mehr als 2.000 Betten zur Verfügung. Von insgesamt 9.500 Beschäftigten sind rund 1.600 Mediziner und 3.200 Pflegekräfte. Das Klinikum der Universität München ist seit 2006 Anstalt des öffentlichen Rechts.

Gemeinsam mit der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität ist das Klinikum der Universität München an vier Sonderforschungsbereichen der DFG (SFB 684, 914, 1054, 1123), an drei Transregios (TRR 127, 128, 152), der klinischen Forschergruppe 809 sowie an zwei Graduiertenkollegs der DFG (GK 1091, 1202) beteiligt. Hinzu kommen die Exzellenzeinrichtungen "Center for Integrated Protein Sciences" (CIPSM), "Munich Center of Advanced Photonics" (MAP), "Nanosystems Initiative Munich" (NIM) und "Munich Cluster for Systems Neurology" (SyNergy) sowie die Graduiertenschulen "Graduate School of Systemic Neurosciences" (GSN-LMU), die "Graduate School of Quantitative Bio-sciences Munich (QBM)" und "The Graduate School Life Science Munich (LSM)".

SpheroTec GmbH
Die SpheroTec GmbH wurde im Jahr 2006 als SpinOff der Chirurgischen Klinik der LMU gegründet. Das Biotech-Unternehmen mit Sitz in Martinsried hat sich auf die Entwicklung und Kommerzialisierung des SpheroTests® spezialisiert. Diese innovative 3D-Diagnostikplattform wird in zwei zentralen Bereichen der Krebsbekämpfung eingesetzt. Im Bereich der klinischen Diagnostik wird für den individuellen Krebspatienten unabhängig von der Tumorart aus einer Vielzahl Leitlinien-gerechter Therapiemöglichkeiten die optimale Behandlung identifiziert. Im Bereich der Pharmaforschung werden onkologische Wirkstoffkandidaten funktionell getestet, um deren Wirksamkeit und Nebenwirkungen frühzeitig zu bestimmen. Es können verschiedene Wirkstoffklassen, beispielsweise Antikörper, niedermolekulare Hemmstoffe, Proteine und RNA im SpheroTest analysiert werden.


BioM Biotech Cluster Development GmbH
BioM ist als Netzwerkagentur sowie Service- und Beratungsgesellschaft seit fast 20 Jahren die erste Anlaufstelle für Biotechnologie-Unternehmen und Firmengründer im Münchner Biotech Cluster. Mit dem Gewinn im nationalen Spitzenclusterwettbewerb (2010) und nachfolgender Koordination von rund 60 Kooperationsprojekten wurde eine neue Grundlage für die partnerschaftliche Entwicklung neuer Diagnostika und Therapeutika aus der gemeinsamen klinischen Forschung in Wissenschaft und Industrie im Bereich der "personalisierten Medizin" gelegt.


Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.klinikum.uni-muenchen.de
http://www.spherotec.de
http://www.bio-m.org

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution550

Quelle: Klinikum der Universität München, Philipp Kressirer, 27.07.2015

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2015

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