Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → FAKTEN


MELDUNG/829: Nachrichten aus Forschung und Lehre vom 24.04.15 (idw)


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilungen

→  Forscher röntgen Entzündungshemmer
→  Auf dem Weg zu einer individualisierten Immuntherapie bei Krebs
→  Neues Projekt gestartet, das sich der Validierung und Entwicklung personalisierter
      diagnostischer Methoden für Herz-Kreislauf-Erkrankungen widmet


Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY - 22.04.2015

Forscher röntgen Entzündungshemmer

Mit DESYs Röntgenquelle PETRA III haben Forscher erstmals die räumliche Struktur von zwei medizinisch vielversprechenden Molekülen aus der neuen Wirkstoffgruppe der Spiegelmere entschlüsselt. Die Ergebnisse ermöglichen ein tieferes Verständnis der Funktion dieser Wirkstoffe, die sich bereits als Entzündungshemmer in der klinischen Erprobung befinden. Die Wissenschaftler der Universitäten Hamburg und Aarhus (Dänemark) sowie der Berliner Biotech-Firma NOXXON stellen ihre Analysen im britischen Fachblatt "Nature Communications" vor.

Spiegelmere sind eine junge Gruppe von Wirkstoffen. Sie beruhen auf Bausteinen der Nukleinsäuren (RNA oder DNA), die im Organismus verschiedene Aufgaben erfüllen, etwa die Speicherung und Übertragung von Erbinformationen oder die Regulierung von Genen. Künstlich hergestellte RNA- oder auch DNA-Moleküle, sogenannte Aptamere, können sehr spezifisch an bestimmte Eiweißmoleküle (Proteine) binden und damit deren Funktion blockieren. Gleichzeitig werden sie vom Organismus toleriert, da sie aus natürlichen Bausteinen aufgebaut sind. Aptamere gelten daher als Erfolg versprechende medizinische Wirkstoffkandidaten. Seit 2006 ist bereits ein Aptamer zur Behandlung der altersbedingten Makula-Degeneration (AMD) zugelassen, einer Augenkrankheit, die zu Blindheit führen kann.

RNA- und DNA-Moleküle werden im Körper in der Regel sehr schnell abgebaut, was den Einsatz als medizinische Wirkstoffe stark einschränkt. Allerdings existieren von den meisten Biomolekülen zwei spiegelbildliche Varianten, eine L-Form und eine D-Form. RNA kommt im Organismus stets nur in der D-Form vor, Proteine dagegen nur in der L-Form. Erzeugt man im Labor Aptamere in der L-Form, werden diese vom Organismus nicht abgebaut. Diese spiegelbildlichen L'Aptamere heißen Spiegelmere. "Ein Vorteil ist, dass Spiegelmere nicht von körpereigenen Enzymen angegriffen werden", erläutert Prof. Christian Betzel von der Universität Hamburg.

"Spiegelmere werden im Labor über ein ausgeklügeltes evolutives Verfahren identifiziert und optimiert. Allerdings gab bislang keinerlei Strukturinformationen von Spiegelmeren", betont Erstautor Dominik Oberthür vom Center for Free-Electron Laser Science CFEL, einer Kooperation von DESY, Max-Planck-Gesellschaft und Universität Hamburg. Wäre die räumliche Struktur eines Spiegelmers zusammen mit der Bindungsstelle an seinem Zielprotein bekannt, ließe sich der genaue Wirkmechanismus aufklären und bei Bedarf die Form des Wirkstoffs gezielt optimieren.

Das Team um Betzel hat mit dem hellen Röntgenlicht von PETRA III nun ein Spiegelmer der Firma NOXXON mit der Bezeichnung NOX-E36 analysiert. Es hemmt ein Protein namens CCL2, das an zahlreichen Entzündungsprozessen im Körper beteiligt ist. "Wenn man so ein Entzündungsprotein gezielt mit einem Spiegelmer blockiert, hat man gute Chancen, die Entzündung im Körper herunterzufahren", erläutert Betzel. NOX-E36 ist bereits erfolgreich in einer sogenannten Phase-IIa-Studie mit Patienten getestet worden.

Für die Strukturanalyse des neuartigen Wirkstoffs züchteten die Wissenschaftler zunächst Kristalle aus dem Spiegelmer und dem daran gebundenen Protein CCL2. "Die Kristallisation war eine Herausforderung", berichtet Betzel. Denn die meisten Biomoleküle lassen sich nur sehr widerstrebend in Kristallform zwingen, weil das ihrer natürlichen Funktion widerspricht.

Die Kristalle untersuchte das Team an der Messstation P13 bei DESY, die vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie EMBL betrieben wird. Wird so ein Kristall mit Röntgenlicht beleuchtet, entsteht ein charakteristisches Beugungsmuster, aus dem sich die Struktur der Biomoleküle errechnen lässt - in diesem Fall also die Form des Spiegelmers, gebunden an sein Zielmolekül. Auf dieselbe Weise analysierte eine Gruppe um Laure Yatime von der Universität Aarhus ein zweites Spiegelmer: NOX-D20 koppelt an das Protein C5a, das ebenfalls an zahlreichen Entzündungsprozessen beteiligt ist.

Die Analysen zeigen die räumliche Struktur der beiden Spiegelmere mit einer Detailgenauigkeit von 0,2 Nanometern (millionstel Millimetern), das ist in der Größenordnung einzelner Atome. "Ich bin begeistert, endlich eine hochauflösende Visualisierung der bemerkenswerten Formen von zwei Spiegelmer-Wirkstoffkandidaten zu haben", betont der Gründer und wissenschaftliche Leiter von NOXXON, Dr. Sven Klussmann, der bei beiden Fachveröffentlichungen Mitautor ist. "Die Strukturdaten liefern uns nicht nur einen ersten Einblick in die ungewöhnliche Wechselwirkung zwischen einem Spiegel-Oligonukleotid und einem natürlichen Protein, sondern auch ein tieferes Verständnis der Funktionsweise beider Moleküle."

* Das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY ist das führende deutsche Beschleunigerzentrum und eines der führenden weltweit. DESY ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und wird zu 90 Prozent vom BMBF und zu 10 Prozent von den Ländern Hamburg und Brandenburg finanziert. An seinen Standorten in Hamburg und Zeuthen bei Berlin entwickelt, baut und betreibt DESY große Teilchenbeschleuniger und erforscht damit die Struktur der Materie. Die Kombination von Forschung mit Photonen und Teilchenphysik bei DESY ist einmalig in Europa.

* Originalarbeiten:

"Crystal structure of a mirror-image L-RNA aptamer (Spiegelmer) in complex with the natural L-protein target CCL2"; Dominik Oberthür, John Achenbach, Azat Gabdulkhakov, Klaus Buchner, Christian Maasch, Sven Falke, Dirk Rehders, Sven Klussmann & Christian Betzel; "Nature Communications", 2015; DOI: 10.1038/ncomms7923

"Structural basis for the targeting of complement anaphylatoxin C5a using a mixed L-RNA/L-DNA aptamer"; Laure Yatime, Christian Maasch, Kai Hoehlig, Sven Klussmann, Gregers R. Andersen & Axel Vater; "Nature Communications", 2015; DOI: 10.1038/ncomms7481

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution31

Quelle:
Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY, Dr. Thomas Zoufal, 22.04.2015

Raute

Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz - 22.04.2015

Auf dem Weg zu einer individualisierten Immuntherapie bei Krebs

Neue immunologische Erkenntnisse und technologische Fortschritte ebnen den Weg für maßgeschneiderte Krebsimpfstoffe - Klinische Studie läuft bereits

Mainzer Wissenschaftler haben auf dem Weg hin zu einer individualisierten Immuntherapie bei Krebs bedeutende Fortschritte erzielt: Sie identifizierten relevante genetische Veränderungen in verschiedenen Krebsarten - sogenannte Mutationen - und bestimmten deren "Bauplan". Dies versetzt sie in die Lage, mit vertretbarem Aufwand maßgeschneiderte Krebsimpfstoffe zu produzieren. Diese ließen sich im Tiermodell bereits erfolgreich anwenden. Es kam zu einer effektiven Rückbildung und Heilung des Tumors.

Unter Leitung des Krebsforschers Prof. Dr. Ugur Sahin sind an dem erfolgreichen Projekt Wissenschaftler des biopharmazeutischen Forschungsinstituts TRON (Translationale Onkologie an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gGmbH), der Biotechfirma Biontech, der Universitätsmedizin Mainz und des amerikanischen La Jolla Instituts für Allergie und Immunologie beteiligt. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe der hochrangigen Zeitschrift "Nature" veröffentlicht.

Anders als die klassischen Behandlungsmethoden bei Krebs - Operation, Chemotherapie und Bestrahlung - nutzt die Krebsimmuntherapie das Immunsystem zur Bekämpfung von Krebserkrankungen. "Wir wissen heute, dass sich unser Immunsystem zwar sehr wohl mit einem Tumor auseinandersetzt", erläutert Professor Ugur Sahin. "Dies reicht in der Regel aber nicht aus, um den Tumor zu kontrollieren. Eine nahe liegende Strategie ist daher, das Immunsystem derart zu aktivieren, dass es in der Lage ist, das Tumorwachstum zu begrenzen und bösartige Zellen zu zerstören." Seit vielen Jahren ist auch bekannt, dass jeder Tumor genetisch gesehen anders ist - er weist zahlreiche Mutationen, also genetische Veränderungen, auf.

Der neue Ansatz der individualisierten Immuntherapie bei Krebs zielt darauf ab, diese Mutationen in einem Tumor zu identifizieren, ihren "Bauplan" durch Sequenzierung zu entschlüsseln und mit diesem Bauplan als "Schablone" einen synthetischen Impfstoff herzustellen, der für den speziellen Tumor und damit den Patienten maßgeschneidert ist. Dieser wiederum soll das körpereigene Immunsystem anleiten und trainieren, den Tumor gezielt zu bekämpfen. "Die Umsetzung dieses vielversprechenden Ansatzes wurde bisher dadurch erschwert, dass die Mutationen eines Tumors von Patient zu Patient extrem unterschiedlich sind, und es daher sehr aufwändig ist, maßgeschneiderte Impfstoffe 'on demand' herzustellen", beschreibt Ugur Sahin. "Wir haben in unserer aktuellen Arbeit einen Weg gefunden, dieses Problem zu lösen und zeigen wie eine praktikable Umsetzung mit vertretbarem Aufwand aussehen kann. Wir beschreiben sowohl grundlagenimmunologische Erkenntnisse als auch technologische Fortschritte, die uns erlauben Krebspatienten einer individualisierten Immuntherapie zuzuführen."

Konkret haben sich die Wissenschaftler in präklinischen Versuchen zunächst die Mutationen bei drei unterschiedlichen Tumorarten (Hautkrebs (Melanom), Dickdarm- und Brustkrebs) angeschaut - und mittels Sequenzierung ihren genetischen Bauplan identifiziert. Ziel war herauszufinden, welche Mutationen für eine Immuntherapie relevant sind, also prinzipiell durch das Immunsystem erkannt werden können. Dabei konnten die Mainzer Forscher erstmals zeigen, dass bis zu 20 Prozent aller Mutationen eine Immunantwort auslösen können. "Hierfür haben wir uns unvoreingenommen das gesamte Repertoire der Immunabwehr angeschaut. Das war wichtig für den Erfolg", so Prof. Sahin. "Denn erstaunlicherweise wird der Großteil der Tumor-Mutationen nicht durch die 'üblichen Verdächtigen', die klassischen Killerzellen, erkannt, sondern durch die sogenannten Helferzellen. Ein solch hoher Anteil an relevanten Mutationen wiederum ist für die breite Anwendbarkeit des Ansatzes wichtig, denn viele Tumorarten weisen so genügend 'Angriffspunkte' auf und erscheinen prinzipiell behandelbar."

In einem zweiten Schritt haben sich die Wissenschaftler gefragt, wie sie diese neue Erkenntnis praktisch umsetzen und die relevanten Mutationen möglichst einfach und sicher identifizieren können. Hierzu haben sie einen bioinformatischen Algorithmus entwickelt, der dies ermöglicht. "Wenn erst einmal die relevanten Mutationen bekannt sind, können wir auf dieser Basis mit vertretbarem Aufwand ein Arzneimittel maßschneidern", so Sahin. Dabei nutzen die Wissenschaftler sogenannte Ribonukleinsäuren (mRNA) als Impfstoffsubstanz: Anhand des bekannten genetischen Bauplans der Mutationen lassen sich diese quasi als "Schablone" zur Herstellung eines mRNA-Impfstoffs verwenden. Verwendeten die Forscher nicht nur die genetische Information einer einzelnen Mutation zur Synthese, sondern von zehn verschiedenen Mutationen, können sie den Tumor sozusagen an mehreren Stellen gleichzeitig angreifen, so dass dieser schlechter ausweichen kann. Tatsächlich zeigte eine Anwendung im Tiermodell eine effektive Rückbildung und Heilung des Tumors. Dabei bewirken die RNA-Impfstoffe keine dauerhafte genetische Veränderung im Erbgut der Tumorzellen, sondern werden, vereinfacht ausgedrückt, nach "Einmalgebrauch" im Sinne der Aktivierung und Anleitung des körpereigenen Immunsystems wieder aufgelöst. "All dies zeigt, dass die 'on demand' Produktion eines maßgeschneiderten Impfstoffes zur Behandlung von Krebs in der Tat möglich und praktikabel ist", so Professor Sahin.

Aber es geht noch weiter: Auch in menschlichen Tumoren konnten die Forscher übereinstimmende Arten und Häufigkeiten von relevanten Mutationen feststellen. Darüber hinaus werden die Erkenntnisse bereits im Rahmen einer internationalen klinischen Studie zum malignen Melanom mit Beteiligung des Hautkrebszentrums der Universitätsmedizin Mainz unter der Leitung von Dr. Carmen Loquai geprüft. Weitere klinische Studien sind bereits in Planung.

"Wir richten unser Forschungsprofil konsequent translational aus", betont der Wissenschaftliche Vorstand der Universitätsmedizin Mainz, Univ.-Prof. Dr. Ulrich Förstermann. "Das aktuelle Forschungsprojekt zeigt in beeindruckender Weise den Erfolg dieser Strategie, denn es beschreibt Translation par excellence: Ergebnisse aus der immunologischen Grundlagenforschung werden unmittelbar überführt in eine praktikable klinische Umsetzung." Prof. Dr. Babette Simon, Medizinischer Vorstand und Vorstandsvorsitzende ergänzt: "Diese schnelle Umsetzung 'from Bench to Bedside' ist ein Alleinstellungsmerkmal universitärer Medizin. Auf diesem Weg sorgen wir dafür, dass neueste Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung schnell bei den Patienten ankommen."

* Originalpublikation
Mutant MHC class II epitopes drive therapeutic immune responses to cancer Sebastian Kreiter, Mathias Vormehr, Niels van de Roemer, Mustafa Diken, Martin Löwer, Jan Diekmann, Sebastian Boegel, Barbara Schrörs, Fulvia Vascotto, John C. Castle, Arbel D. Tadmor, Stephen P. Schoenberger, Christoph Huber, Özlem Türeci & Ugur Sahin
DOI: 10.1038/nature14426
Homepage: http://dx.doi.org/10.1038/nature14426

* Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend zusammenarbeiten. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Rund 3.300 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz ausgebildet. Mit rund 7.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die Universitätsmedizin zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor. Weitere Informationen im Internet unter
www.unimedizin-mainz.de

* Über TRON
TRON - Translationale Onkologie an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gGmbH ist ein biopharmazeutisches Forschungsinstitut, das innovative Diagnostika und Arzneimittel für die Therapie von Krebs und anderen Erkrankungen mit hohem medizinischem Bedarf entwickelt. Der Schwerpunkt von TRON liegt in der Entwicklung neuer Plattformen für personalisierte Therapiekonzepte und Biomarker, und somit in der Überführung grundlagenorientierter Forschung in die Entwicklung neuer Arzneimittel. In Zusammenarbeit mit akademischen Institutionen, Biotechnologiefirmen und der pharmazeutischen Industrie kommen in der Forschung am TRON modernste Technologien zum Einsatz. Zudem stellt TRON seine einzigartige Expertise und Infrastruktur der Entwicklung und Testung von innovativen Arzneimitteln zur besseren Patientenversorgung im Rahmen klinischer Studien zur Verfügung. Weitere Informationen unter
www.tron-mainz.de

* Über BioNTech
Die BioNTech AG (Biopharmaceutical New Technologies) ist eine Ausgründung aus der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und gehört mit insgesamt 350 Mitarbeitern, davon über 200 am Forschungsstandort in Mainz, zu den größten, privat finanzierten Biotechnologieunternehmen Europas. Das Unternehmen ist spezialisiert auf die Erforschung, Entwicklung und Herstellung potenter und gutverträglicher Immuntherapien zur personalisierten Behandlung von Krebs und anderen schweren Krankheiten. Mehr Informationen zu BioNTech unter
www.biontech.de

* Über das La Jolla Institut für Allergie und Immunologie
Das La Jolla Institut für Allergie und Immunologie widmet sich der Erforschung des menschlichen Immunsystems, um dessen Fähigkeiten vollumfänglich zu verstehen und im Kampf gegen eine Vielzahl von Krankheiten zu nutzen. Seit seiner Gründung im Jahr 1988, als unabhängige und gemeinnützige Forschungseinrichtung, hat das Institut große Fortschritte gemacht, um sein erklärtes Ziel zu erreichen: life without disease© - ein Leben ohne Krankheit. Mehr zu La Jolla unter
www.liai.org

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1431

Quelle: Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Dr. Renée Dillinger-Reiter, 22.04.2015

Raute

Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften / ISAS / e. V. - 23.04.2015

Gezielte Therapien für Herzkrankheiten

Maßgeschneiderte Medikamente sind das derzeit größte Ziel der modernen Medizin und zugleich eine ihrer größten Herausforderungen. Weil Menschen auf das gleiche Medikament vollkommen unterschiedlich ansprechen können, suchen Wissenschaftler nach Wegen, Therapieansätze auf Patientengruppen oder sogar einzelne Patienten zuzuschneiden. Am Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften (ISAS) in Dortmund ist im April deshalb ein neues Projekt gestartet, das sich der Entwicklung und vor allem der Validierung personalisierter diagnostischer Methoden für Herz-Kreislauf-Erkrankungen widmen will. Das NRW-Wissenschaftsministerium (MIWF) fördert das Vorhaben mit insgesamt 3,6 Millionen Euro.

Das Projekt mit dem Titel "Strategien zur personalisierten Frühdiagnose, Prävention und dem Monitoring von Therapien für kardiovaskuläre Erkrankungen" konzentriert sich auf die Funktionsweise von Thrombozyten oder Blutplättchen und damit auf ein Gebiet, auf dem ISAS-Wissenschaftler schon einige Erfahrungen gesammelt haben. Ziel ist eine neue diagnostische Methode, mit der man anhand des Zustands der Blutplättchen den Gesundheitszustand des Patienten ablesen kann. Anders als viele andere Projekte soll das Vorhaben jedoch nicht mit dem "Proof of Principle" enden: Die Wissenschaftler werden die neue Methode auch unter standardisierten Bedingungen testen und sie so weit optimieren, dass sie absolut zuverlässig läuft. Mit dieser Validierung schließen sie eine Lücke zwischen Grundlagenforschung und klinischer Nutzung, die von Unternehmen oft als zu riskant und teuer eingeschätzt wird und den Transfer vielversprechender Ergebnisse in die Praxis hemmt.

Thrombozyten sind verantwortlich für die Blutgerinnung und spielen deshalb eine ausschlaggebende Rolle bei vielen kardiovaskulären Erkrankungen. Der Zusammenhang ist lange bekannt, doch bis heute hat es nur ein einziges Testverfahren in den klinischen Alltag geschafft, das eine gestörte Thrombozyten-Funktion anzeigt - ohne allerdings Aufschluss darüber zu geben, worin genau die Störung liegt und in welchem Stadium der Prozess sich befindet. Dabei werden neue Therapien und Diagnosemöglichkeiten gerade in diesem Bereich dringend benötigt: 350.000 Menschen sterben in Deutschland jährlich an Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfällen oder Herzinfarkten, und auch weltweit sind sogenannte kardiovaskuläre Krankheiten mittlerweile die häufigste Todesursache - noch vor den Infektionskrankheiten. Schuld daran sind nicht nur alternde Gesellschaften und die oft ungesunde Lebensweise von Menschen in Industrienationen, sondern auch die Tatsache, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen meist zu spät erkannt werden und dann nicht mehr gut behandelt werden können. Zudem sind gerade kardiovaskuläre Erkrankungen extrem unterschiedlich ausgeprägt: Auch wenn etwa Rauchen und Fettleibigkeit zu den Risikofaktoren zählen, wird noch lange nicht jeder Raucher oder Übergewichtige herzkrank; bei Herzinfarkten zeigen Frauen andere Symptome als Männer, und verschiedene Bevölkerungsgruppen reagieren unterschiedlich auf Medikamente. Eine diagnostische Methode, die diese Unterschiede einbezieht, könnte die Therapiemöglichkeiten entscheidend verbessern.

Um ein solches Testverfahren zu entwickeln, das schon im Frühstadium Hinweise auf Blutgerinnungsstörungen und Thromboserisiken liefert, werden die Wissenschaftler am ISAS zunächst eine gründliche und umfassende Analyse von Proteinen, Lipiden und Metaboliten in Thrombozyten durchführen. Auf diesem Weg erfahren sie, welche Prozesse in Blutplättchen ablaufen, welche Moleküle sie üblicherweise in welchen Mengen enthalten und wie groß die Unterschiede zwischen gesunden Menschen sind. Diese Analyse ergibt sozusagen den Soll-Zustand für normal funktionierende Blutplättchen; aus dem Vergleich der Daten mit denen von Herz-Kreislauf-Patienten lassen sich dann der Gesundheitszustand oder auch das Erkrankungsrisiko ablesen. Um eine ausreichende Datenbasis zu schaffen, wird die Thrombozyten-Aktivität über mindestens ein Jahrzehnt verfolgt, und zwar unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht und anderen Risikofaktoren wie Übergewicht oder Rauchen - so ergibt sich ein möglichst individuelles Bild, das für eine personalisierte Risikobeurteilung und Therapie unabdingbar ist.

* Hintergrundinfos:

- Über das ISAS:
Das Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften - ISAS - e.V. treibt die Entwicklung analytischer Technologien als Baustein des wissenschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Fortschritts voran. Durch die Kombination unseres Fachwissens aus Chemie, Biologie, Physik und Informatik machen wir messbar, was heute noch nicht gemessen werden kann. Mit unseren Innovationen möchten wir die Prävention und Frühdiagnose von Krankheiten verbessern und schnellere und präzisere Therapien ermöglichen. Das Institut wurde vor mehr als 60 Jahren in Dortmund gegründet und hat etwa 160 Mitarbeiter an zwei Dortmunder Standorten sowie einem Standort in Berlin-Adlershof.
Weitere Informationen unter www.isas.dE

- Über die Leibniz-Gemeinschaft:
Das ISAS ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, die 89 selbständige Forschungseinrichtungen verbindet. Deren Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute bearbeiten gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevante Fragestellungen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Grundlagenforschung. Sie unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer in Richtung Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Institute pflegen intensive Kooperationen mit den Hochschulen, unter anderem in Form der WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem maßstabsetzenden transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 18.100 Personen, darunter 9.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei 1,64 Milliarden Euro. Weitere Informationen unter
www.leibniz-gemeinschaft.de

- Über die Wissenschaftsstadt Dortmund:
Wissenschaft und Forschung sind die neuen Rohstoffe im Dortmund des 21. Jahrhunderts. Mit sechs Hochschulen und 19 international tätigen außeruniversitären Forschungseinrichtungen verfügt Dortmund über eine breit aufgestellte Wissenschaftslandschaft, die überdurchschnittlich wächst. Über 46.000 Studierende, rund 10.500 Beschäftigte und Gesamtausgaben in Höhe von 467 Millionen Euro (2,53 Prozent der gesamten Dortmunder Wirtschaftsleistung) machen den Wissenschaftsstandort Dortmund zu einem der größten in Deutschland.

Verantwortlich für den Text:
Tinka Wolf, Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften - ISAS - e.V.

Kontakt:

Tinka Wolf
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Mail: tinka.wolf(at)isas.de

Prof. Dr. Albert Sickmann
Institutsleiter
Mail: albert.sickmann(at)isas.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution993

Quelle: Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften - ISAS - e. V., Tinka Wolf, 23.04.2015

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang