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MELDUNG/236: Nachrichten aus Forschung und Lehre vom 16.11.10 (idw)


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilungen


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Raute

Friedrich-Schiller-Universität Jena - 15.11.2010

30 Jahre alte Theorien bewiesen

Forscher aus Eindhoven, Jena und Erlangen untersuchen Knochenbildungsprozesse

Jena (15.11.10) Während einer Straßenbahnfahrt durch Wien können Forschungsprojekte entstehen. So fragten sich vor drei Jahren die Materialwissenschaftler Prof. Dr. Frank A. Müller von der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Prof. Dr. Nico Sommerdijk von der Technischen Universität Eindhoven (Niederlande) in der Tram, wie man das Nukleationsverhalten - also die initiale Bildung einer kristallinen Struktur - von Kalziumphosphaten genauer untersuchen könnte. Die Ergebnisse der Forscherteams aus Eindhoven, Jena und Erlangen erscheinen nun in einem Artikel des renommierten Fachjournals "Nature Materials". Bereits heute ist er auf der Homepage des Magazins zu lesen
http://www.nature.com/nmat/journal/vaop/ncurrent/full/nmat2900.html

"Uns gelang es in einem früheren Forschungsprojekt, biomimetischen - also an der Natur angelehnten - Hydroxylapatit aus sogenannter simulierter Körperflüssigkeit, die den anorganischen Teil des menschlichen Blutplasmas nachbildet, synthetisch herzustellen", fasst der Jenaer Materialwissenschaftler zusammen. "Dabei handelt es sich um ein spezielles Kalziumphosphat, das einen Grundbestandteil des Knochens darstellt", so Müller. "Allerdings wollten wir auch genau wissen, wie die unterschiedlichen Ionen in der synthetischen Wachstumslösung zu Kristallstrukturen zusammenwachsen, wenn man ihnen eine geeignete Oberfläche zur Verfügung stellt, an der sie andocken können. Hierfür nutzten wir sogenannte Self-assembled Monolayers." Die niederländischen Kollegen nahmen den Prozess der Nukleation unter die Lupe, genauer gesagt unter das Transmissionselektronenmikroskop (TEM).

Mit dem Eindhovener Cryo-TEM konnte das Wachstum der Kalziumphosphate zu definierten Zeitpunkten eingefroren und in verschiedenen Entwicklungsstadien beobachtet werden. Mit den neuen Erkenntnissen gelang es, 30 Jahre alte Theorien zur Bildung von Kalziumphosphaten aus wässrigen Systemen nun auch praktisch beweisen zu können. So weiß man nun definitiv, dass ein-nanometer-große Nukleationsvorstufen der Kalziumphosphate, sogenannte Posner-Cluster, in der Lösung schwimmen, ohne zu mineralisieren. Die besondere Zusammensetzung der physiologischen Lösung stabilisiert sie. Wenn man aber eine geeignete Oberfläche anbietet, beginnen sie sich dort zusammenzulagern, bilden ab einer bestimmten Größe amorphe Strukturen und kristallisieren schließlich in einer Weise, die dem gerichteten Knochenwachstum entspricht.

"Diese neuesten Ergebnisse sind praktisch der letzte Baustein eines Forschungsprojekts, in dem wir uns mit der biomimetischen Herstellung von Apatit beschäftigt haben", erklärt Prof. Müller. "Man konnte Hydroxylapatit zwar bereits vorher künstlich produzieren, allerdings hatte er dann nicht alle Eigenschaften des natürlichen Knochenminerals", sagt der Jenaer Materialwissenschaftler. "So ist beispielsweise die für Knochenumbauprozesse wichtige Löslichkeit in synthetischem Hydroxylapatit deutlich höher als im natürlichen Knochen. Uns ist es gelungen, biomimetischen Apatit herzustellen, der in seiner Zusammensetzung und Wachstumsorientierung genau dem im Knochen vorliegenden Apatit entspricht."

Mit den neuen Erkenntnissen ist es möglich, die Entwicklung innovativer Materialien für die Knochenregeneration voranzutreiben und ihre Bioakzeptanz zu verbessern. Außerdem unterstützen sie die Suche nach neuen Wirkstoffen gegen pathologische Kalzifizierungen - also Erkrankungen, die mit einer ungewollten Verknöcherung einhergehen.

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.uni-jena.de

Kontakt:
Prof. Dr. Frank A. Müller
Institut für Materialwissenschaft und Werkstofftechnologie
Universität Jena
Löbdergraben 32, 07743 Jena
E-Mail: Frank.Mueller[at]uni-jena.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution23

Quelle: Friedrich-Schiller-Universität Jena, Sebastian Hollstein, 15.11.2010

Raute

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg - 15.11.2010

Auf der Spur des Knochenminerals

Calciumphosphat ist im Skelett eines der wertvollsten Materialien: Als Hauptbestandteil von Zähnen und Knochen sorgt es für Härte und Stabilität. Bei Arteriosklerose jedoch ist die Ablagerung der kristallinen ionischen Verbindung aus Kalk, Phosphor und Sauerstoff ein ebenso gewichtiger wie verhängnisvoller Faktor. Wissenschaftlich ist noch nicht vollständig geklärt, wie sich dieses Mineral im Körper bildet. Beobachtungen dazu gelangen einer niederländisch-deutschen Forschergruppe in einem Modellsystem, das eine Körperflüssigkeit simuliert.

An den Arbeiten war Dr. Julia Will, Lehrstuhl für Werkstoffwissenschaften (Glas und Keramik) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg beteiligt. Das Fachmagazin Nature Materials stellte das Ergebnis am 14. November 2010 als Advance online publication auf seiner Website vor(1).

Bereits zuvor wurde davon ausgegangen, dass Calciumphosphat zunächst eine Vorstufe durchläuft, gekennzeichnet durch eine ungeordnete Struktur, die der Mineralisierung vorangeht (amorphes Calciumphosphat, ACP). Das in Nature Materials veröffentlichte Paper visualisiert zum ersten Mal die Bildung von Calciumphosphat aus einem Serum. Ein Monolayer - eine Schicht von der Dicke eines einzigen Moleküls - fungierte dabei als Andockstelle für die Kristallisation. Sichtbar wurde der Prozess durch den Einsatz eines höchstauflösenden Mikroskops für die direkte Abbildung von Objekten mittels Elektronenstrahlen (Transmissionselektronenmikroskopie, TEM). Zu diesem Zweck wurden die Proben in verschiedenen Stadien einer Cryo-Fixierung unterzogen, d. h. in flüssigem Ethan schockgefroren (Cryo TEM).

Die Mineralisation von Calciumphophat im Modell der simulierten Körperflüssigkeit verlief über mehrere Stufen. Aus Ionen im Serum bildeten sich erst Cluster, frei bewegliche Ansammlungen im Nanomassstab. Danach entstand ACP, das sich in immer stärkerer Dichte am Monolayer anlagerte. Schließlich waren orientierte, im typischen Gitter ausgerichtete Apatit-Kristalle festzustellen, die Endphase des Calciumphophat-Minerals.

Der Arbeitsgruppe gehörten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Universität Eindhoven (Niederlande) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena an. Die Arbeit entstand innerhalb des umfangreichen EU-Verbundprojektes "TEM-Plant" unter der Projektkoordinatorin
Dr. Anna Tampieri
Istituto di scienza e tecnologia dei materiali ceramici (ISTEC)
Italien (NMP4-CT-2006-033277).

(1) Nature Materials, 14. 10. 2010:
Nico A. J. M. Sommerdijk et al.
Cryo-TEM yields a comprehensive model for the surface induced crystallization of calcium phosphate
http://www.nature.com/nmat/journal/vaop/ncurrent/full/nmat2900.html

Die Universität Erlangen-Nürnberg,
gegründet 1743, ist mit 27.000 Studierenden, 550 Professorinnen und Professoren sowie 2000 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte Universität in Nordbayern. Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen an den Schnittstellen von Naturwissenschaften, Technik und Medizin in engem Dialog mit Jura und Theologie sowie den Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Seit Mai 2008 trägt die Universität das Siegel "familiengerechte Hochschule".

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution18

Quelle: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Pascale Anja Dannenberg, 15.11.2010

Raute

Philipps-Universität Marburg - 13.11.2010

Ausgezeichnete Vorsorge für Kinderzähne

Marburger Professor Dr. Klaus Pieper erhält DGZ-Wrigley Prophylaxe Preis 2010

Der Marburger Zahnmediziner Professor Dr. Klaus Pieper und die Psychologin Dr. Jutta Margraf-Stiksrud wurden mit ihrer Arbeitsgruppe am 13. November mit dem hoch angesehenen DGZ-Wrigley Prophylaxe Preis 2010 ausgezeichnet, der von der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ) verliehen wird. Der Direktor der Abteilung Kinderzahnheilkunde im Medizinischen Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde an der Philipps-Universität forschte im Rahmen eines Projekts des Bundesministeriums für Bildung und Forschung über die "Evaluation eines zahnmedizinischen Präventionsprogramms für Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko - Ergebnisse bei Schülern der 6. Klassen". Die Preisverleihung fand im Rahmen der Gemeinschaftstagung der wissenschaftlichen zahnmedizinischen Fachgesellschaften in Frankfurt am Main statt. Wie schon im Vorjahr teilte die unabhängige Jury aus vier renommierten Wissenschaftlern und einem Vertreter der Krankenkassen die Prämie von 10.000 Euro in diesem Jahr unter drei Anwärtern auf. Neben der siegreichen Autorengruppe aus Marburg gingen zwei weitere Preise zu je 3.000 und 2.000 Euro an Zahnmediziner aus Greifswald und Wilhelmshaven, die sich ebenfalls mit speziellen Prophylaxeprogrammen für Kariesrisikogruppen in Schulen und Kindergärten beschäftigt hatten. "Insbesondere bei Schulkindern, die aus sozialen Brennpunkten stammen, tritt verstärkter Kariesbefall auf. Deshalb ist es wichtig, Intensivprophylaxe-Programme für Kinder und Jugendliche aus diesen Bereichen zu entwickeln", erklärt der Preisträger. Dazu biete sich vor allem die Gruppenprophylaxe in Kindergärten und Schulen an. "Der Aufforderung des Gesetzgebers, für Gruppen mit erhöhtem Kariesrisiko eine spezielle präventive Betreuung einzuführen, kamen bisher aber nur sehr wenige Präventionsanbieter nach, so dass eine 'Selektive Intensivprophylaxe' (SIP), mit der Defizite im familiären Umfeld kompensiert werden können, bisher nur in wenigen Gebieten realisiert wurde", berichtet Pieper. Im Landkreis Marburg-Biedenkopf, der im Fokus von Piepers Studie stand, wird seit mehr als einem Jahrzehnt ein entsprechendes Programm in Schulen angeboten. Die SIP umfasst neben den üblichen schulzahnärztlichen Untersuchungen zweimal jährlich die Vorstellung zahnbezogener Themen im Unterricht, das gemeinsame Zähneputzen nach der "KAI-Methode" - Berücksichtigung der Kauflächen, Außenseiten und Innenseiten der Zähne - unter Anleitung im Klassenverband viermal pro Jahr und ebenso häufig die Applikation eines speziellen Fluoridlacks, den Piepers Vorgänger, Prof. Dr. Helmut F.M. Schmidt entwickelt hatte.

Im Vergleich zu einer Kontrollregion, in der keine Intensivprophylaxe stattfindet, zeigte sich, dass die Schüler der Prüfgruppe, die mit einer SIP betreut wurden, nur halb so viele kariöse Schäden aufwiesen wie die Kinder in der Kontrollregion ohne SIP. "Die Jugendlichen im Landkreis Marburg-Biedenkopf berichten zudem von weniger Angst vor der Zahnbehandlung," erläutert Pieper die Ergebnisse der Studie. Zwischen beiden Gruppen gab es keinen Unterschied im Zahngesundheitswissen und im Mundhygieneverhalten; Kenntnisse über die Gesundheit von Zähnen zeigten in keiner der beiden Gruppen einen Zusammenhang mit der Karieserfahrung. "Zwar wirkt sich die SIP ausgesprochen positiv auf die Zahngesundheit aus, doch können die pädagogischen Module anscheinend nicht dazu beitragen, Mundhygieneverhalten und Gesundheitswissen erkennbar zu verändern.

Somit ist der Effekt des Programms auf die Zahngesundheit wohl in erster Linie auf die häufigen Anwendungen des schützenden Fluoridlacks zurückzuführen", resümiert der Zahnmediziner. Er fordert deshalb: "Eine Selektive Intensivprophylaxe für Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko ist zwingend durch eine Lokalfluoridierung im Setting Schule zu ergänzen. Gleichzeitig reichen in der Schule angebotene Maßnahmen offensichtlich allein nicht aus, um eine nachhaltige Wissens- und Verhaltensänderung in den Familien zu bewirken. Deshalb sollten Familien in sozial schwierigen Lagen zusätzlich aufsuchend betreut werden."

Der DGZ-Wrigley Prophylaxe Preis mit einer Prämie in Höhe von 10.000 Euro wird jährlich unter der Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung ausgeschrieben und von dem 1989 gegründeten Informations- und Forschungsprogramm "Wrigley Oral Healthcare Program" der Wrigley GmbH gestiftet. Der Preis würdigt herausragende Arbeiten zur Forschung und Umsetzung der Prophylaxe in der Praxis oder im öffentlichen Gesundheitswesen. Der Preis kann geteilt werden.

Weitere Informationen:
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Klaus Pieper
Abteilung Kinderzahnheilkunde
Medizinisches Zentrum für Zahn-, Mund - und Kieferheilkunde
Email: pieper@med.uni-marburg.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution376

Quelle: Philipps-Universität Marburg, Dr. Susanne Igler, 13.11.2010

Raute

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. November 2010