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GESUNDHEIT/986: Geburtshilfe - zu viele Kaiserschnitte? (Securvital)


Securvital 4/2011 - Juli/August
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Geburtshilfe
Zu viele Kaiserschnitte?

Von Julia Fiedler


Warum kommen so viele Kinder per Kaiserschnitt auf die Welt? So viele Risikogeburten gibt es nicht, und viele Mütter wollen eigentlich keine Geburtsoperation. Liegt es an den Kliniken?


Natürlich »hatte ich auch ein bisschen Angst und war unsicher«, sagt Brigitte Hobmeier. Sie hat sich während der Schwangerschaft dafür entschieden, ihr Kind nicht im Krankenhaus, sondern zu Hause auf die Welt zu bringen. Die »Vertrauensbeziehung zu unserer Hebamme« hat den Ausschlag für die Hausgeburt gegeben, berichtet die Schauspielerin, die selbst in die Rolle der Geburtshelferin schlüpfte (siehe Interview auf Seite 34).

Die Entscheidung zwischen einer Entbindung zu Hause, im Hebammengeburtshaus oder im Krankenhaus fällt vielen Schwangeren nicht leicht. Hobmeier hat Verständnis dafür: »Jeder von uns kennt doch diesen großen Druck, alles richtig machen zu wollen«. Die große Mehrheit der Geburten findet heute im Kreißsaal statt. Es ist gar nicht mehr so leicht, eine Hebamme zur persönlichen Betreuung zu finden. Gleichzeitig steigt die Zahl der Kaiserschnitte. Jedes dritte Baby kommt mittlerweile per Kaiserschnitt zur Welt. Woher kommt dieser seit Jahren steigende Trend?

Befragt man die Eltern, die vor der Wahl standen und sich für einen Kaiserschnitt entschieden haben, wird an erster Stelle die »Angst ums Kind« genannt. In einer Studie der Universität Bremen gaben schon 2006 von 1.339 Kaiserschnittmüttern nur zwei Prozent an, es sei ein Wunschkaiserschnitt gewesen. 60 Prozent meinten hingegen, die Operation sei ihnen vom Arzt ausdrücklich empfohlen worden.


Schnell verunsichert

Fragt man in den Kliniken, so wird auch von dort überwiegend Kritik laut. »Meinem Erleben nach sind mittlerweile zwei Drittel der Indikationen für einen Kaiserschnitt nicht wirklich medizinischer Art«, meint Dr. Michael Krause, Facharzt für Geburtshilfe am Klinikum Nürnberg. Machen es sich also viele Ärzte zu leicht? Verantwortungsvolle Gynäkologen sind frustriert, Hebammen fühlen sich zur OP-Schwester degradiert, Mütter trauern um das entgangene Geburtserleben. Wie kommt es zu diesem Dilemma? »Ein gesellschaftliches Problem«, so sieht es Dr. Krause. Das Anspruchsdenken sei gewachsen. Was fehle, seien Zeit und Geduld. Eltern wollen alles richtig machen und sind dementsprechend schnell zu verunsichern. Es gehört nicht viel dazu, eine schwangere Frau in Panik zu versetzen und ihr das Vertrauen in den eigenen Körper und die eigene Gebärfähigkeit zu nehmen.

Die Mütter sind heute beim ersten Kind im Schnitt älter als noch vor fünfzehn Jahren. Auch das scheint eine Rolle zu spielen bei der Entscheidung für oder gegen einen Kaiserschnitt. Mit zunehmendem Alter steigt das Sicherheitsbedürfnis. Und genau diese Sicherheit suggeriert zunehmend, wenn auch alle medizinischen Fakten dagegen sprechen, die Kaiserschnittgeburt. Mit den Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung ist außerdem die Zahl der Mehrlingsgeburten angestiegen. Mehr Risikoschwangere, mehr Fortschritte in der Frühgeborenenmedizin treiben die Kaiserschnittrate in die Höhe. Aus Sicht von Krankenhausökonomen mag es auch eine Rolle spielen, dass Kaiserschnitte viel besser zu planen sind, freitags oder montags zum Beispiel statt am Wochenende.

Hebammen dagegen haben eine andere Sicht der Dinge. Natürliche Geburten in vertrauter Umgebung seien für Mutter und Kind fast immer vorzuziehen. »Schwangerschaft ist keine Krankheit«, betont die Initiative »Hebammen für Deutschland«. Sie sehen ihre Aufgabe darin, Müttern bei dem einzigartigen Erlebnis der Geburt zu helfen. Das kann bei Hausgeburten sein, in einem Geburtshaus oder auch in der Form, dass Hebammen »ihre« werdenden Mütter schon während der Schwangerschaft betreuen und sie dann bei der Geburt in einer Klinik begleiten.


Geduld und Zuwendung

Allerdings macht das Gesundheitswesen den Hebammen die Ausübung ihres Berufes immer schwerer. Die Honorare für die Geburtshilfe sind zu gering. Die Versicherungsprämien für die Berufshaftpflicht sind im vergangenen Jahr so stark gestiegen, dass viele freiberufliche Hebammen die Geburts hilfe aufgegeben haben. Extra-Honorare für besondere Aufwendungen wie die Rufbereitschaft zahlt kaum eine Krankenkasse - außer der SECURVITA.

Die Mütter, die vor die Wahl gestellt werden, brauchen Unterstützung: Von Hebammen, die ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen können, von Kliniken, die nicht ihre Wochenenddienstpläne an die oberste Stelle setzen und von Medizinern, die eine Geburt in erster Linie als Leistung der Mütter anerkennen. Die Mütter brauchen mit anderen Worten ein Umfeld, das der Geburt entgegenbringt, was sie verdient: Geduld, Zeit, Zuwendung und Achtung.


31 % Kaiserschnitte

Von rund 644.000 Kindern kamen im Jahr 2009 etwa 201.000 per
Kaiserschnitt

auf die Welt. Der Prozentanteil ist in den Bundesländern
unterschiedlich hoch.

Saarland
38 %
Hessen
34 %
Baden-Württemberg, Bayern,
Nordrhein-Westfalen,
Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein
33 %


Niedersachsen
32 %
Bundesdurchschnitt
31,3 %
Bremen
31 %
Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern
28 %
Berlin
27 %
Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen
26 %
Sachsen
23 %

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Quelle:
Securvital 4/2011 - Juli/August, Seite 32 - 33
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
alternativer Versicherungskonzepte
Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2011