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ETHIK/1085: Tagungsbericht der 17. Jahrestagung der Ärzte für das Leben (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 103 - 3. Quartal 2012
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

MEDIZIN
Angriffe auf die Menschenwürde

Von Dr. med. Erwin Grom



»Technische Manipulationen am Lebensanfang: Bedeutung für die Menschenrechte.« So lautete das Thema der 17. Jahrestagung der »Ärzte für das Leben«, bei der es unter anderem um die Herstellung von Tier/Mensch-Mischwesen sowie die Entwicklung und Markteinführung des neuartigen Bluttests zur Früherkennung des Down-Syndroms bei ungeborenen Menschen ging. Ein Tagungsbericht.


In ihrem Einleitungsvortrag »Vom Menschsein - eine aktuelle anthropologische Betrachtung« arbeitete die Trierer Ärztin Maria Overdick-Gulden heraus, dass »das Wesen alles Lebendigen immer eine Einheit vom Werden und Sein ist«. Menschen seien darüber hinaus einmalige Personen. Zwar könnten Ärzte heute viele Funktionen ihres Leibes analysieren und erklären, was sie Diagnosen stellen und Hilfe anbieten lasse. Allerdings handelt es sich dabei stets um vorläufiges Detailwissen.

Laut dem Freiburger Moraltheologen Eberhard Schockenhoff sei der Arztberuf zudem heute drei korrumpierenden Tendenzen ausgesetzt: der Ökonomisierung, der Verrechtlichung und der Technisierung. Zwar verhelfe Technisierung dem Menschen zu einem verbesserten Erkennen, doch berge sie die Gefahr der Selbstlegitimierung der Naturwissenschaft in bioethischen Fragen. Overdick-Gulden stellte die Frage, ob der Mensch nur animal aus der Gruppe der Primaten oder doch ein Lebewesen ganz eigener Art sei, nicht biologisch »festgestellt« (Friedrich Nietzsche), sondern frei und offen in seiner einzigartigen Bedeutung. Unterscheide sich der Mensch von den Tieren nicht allein dadurch, dass er bewusst darüber reflektiert, was er sein soll und wie er wird?

In der abendländischen Tradition sei das Leben als Verlauf zwischen Zeugung, Geburt und Tod zu verstehen und in jeder seiner Phasen gebürtig und sterblich. Moderne Naturwissenschaft dagegen analysiere nur jeweilige Etappen dieses kontinuierlichen Werdeprozesses und versuche, den Menschen auf reine Stofflichkeit zu reduzieren. Rudolf Safranski zitierend fuhr die Ärztin fort: Die derzeitige Wissenschaft sei davon überzeugt, dass »[w]enn wir die Dinge und das Leben bis auf seine elementaren Bausteine reduzieren, dann werden wir (...) das Betriebsgeheimnis der Natur entdecken. Wenn wir herausbekommen, wie alles gemacht ist, sind wir imstande, es nachzumachen.« Diese Sichtweise werde besonders in der Molekulargenetik sichtbar. Einem strengen Reduktionismus folgend beschrieb sie etwa Craig Venter, der gleichzeitig mit der Gruppe um Francis Collins als Erster das Humangenom vollständig sequenzierte, als »der erste chemische Apparat, der seine eigene Sequenz betrachten kann«. Diese Sichtweise führe dazu, Manipulationen im Sinne von »Verbesserungen« an der menschlichen Keimbahn und sogar die Verschmelzung von Mensch und Maschine zu einem neuen »Metamenschen« anzustreben.

Overdick-Gulden zitierte hier eine Bemerkung des Gladbecker Mediziners Linus Geisler, derzufolge »die neue Biomacht (...) im Feenkleid der grenzenlosen Wunscherfüllung [komme]. Wünschen ist so leicht geworden: Ein Mausklick im Internet weist den Königsweg zum Wunschkind (...) Zellkulturen aus 'überzähligen' Embryonen sollen Rollstühle überflüssig machen und gedächtnislose Alte aus ihren rastlosen 'Demenzschleifen' befreien.«

Das Partielle der naturwissenschaftlichen Sichtweise, die nur Ausschnitte aus dem Leben eines Menschen betrachte, übersehe, dass das Leben von der Befruchtung bis zum Tod ein kontinuierliches Werden als Ganzes ist. Die beschränkende Engführung führe dazu, dass man am Anfang des menschlichen Lebens ein »Stufenmodell« bemühe. Vor der Einnistung sei demzufolge der Embryo lediglich ein »Präembryo«, das sich ohne seine Mutter nicht entwickeln kann. Dabei werde verkannt, so Overdick-Gulden, dass unser ganzes Sein ein abhängiges sei. Wir seien Sozialwesen und blieben als solche auf andere verwiesen. Zum Schluss zitierte Overdick-Gulden Karl Jaspers: »Die Verwahrlosung des Menschenbildes führt zur Verwahrlosung des Menschen selber. Denn das Bild des Menschen, das wir für wahr halten, wird selbst ein Faktor unseres Lebens. Es entscheidet über die Weisen unseres Umgangs mit uns selbst und mit den Mitmenschen.«


Tier/Mensch-Mischwesen: »Eine absolute Horrorvision«

In seinem Vortrag mit dem Titel »Von Chimären, Zybriden und anderen Mischwesen« ging der Münsteraner Internist und Labormediziner Professor Paul Cullen auf neue reproduktive Techniken ein, die als Ziel haben, Mensch/Tier-Mischwesen bereits im Embryonalstadium »herzustellen«. Zunächst zeigte Cullen ein Fernseh-Interview zwischen dem Radikal-Tierschützer Peter Singer und dem Biologen und »bekennenden Atheisten« Richard Dawkins, in dem klar wurde, dass ein erklärtes Ziel dieser Forschung darin besteht, die Grenzen zwischen Homo sapiens und anderen Spezies niederzureißen. Besondere Freude bereitete Herrn Singer in diesem Interview offensichtlich die Idee der Bildung von Chimären zwischen Mensch und Affe, da hierdurch das Besondere des Menschseins endgültig in Frage gestellt würde. Nach Cullen gibt es drei Hauptarten von Mensch/Tier-Mischwesen:

1. Chimäre: Ein Menschen-Embryo, in das Zellen tierischen Ursprungs eingebracht wurden: das Embryo besteht somit aus einer Mischung von Zellen menschlichen Ursprungs und Zellen tierischen Ursprungs.

2. Hybrid: Entsteht, wenn eine menschliche Eizelle durch tierisches Spermium befruchtet wird oder umgekehrt. Im Gegensatz zur Chimäre haben alle Zellen eines Hybrids dieselbe genetische Zusammensetzung.

3. Zybrid (zytoplasmatischer Hybrid): Entsteht dadurch, dass der Kern einer menschlichen somatischen Zelle in eine entkernte befruchtete tierische Eizelle eingebracht wird (vgl. Abbildung 1 der Druckausgabe). Das Ergebnis ist eine totipotente Zelle, deren Kern-DNA von einem Menschen stammt, während die DNA in den Mitochondrien von einem Tier stammt.

Hiervon seien am wichtigsten die Zybriden, da diese am einfachsten »herzustellen« und dem Menschen am ähnlichsten sind. Die Herstellung von Zybriden diene als eine »Einführungstechnologie«, um das Prinzip des Mensch/Tier-Mischwesens moralisch und juristisch zu etablieren. Zybride seien keine Science-Fiction, sondern werden beispielsweise in Großbritannien routinemäßig erzeugt. Neben wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Vorgänge in der Frühphase der Embryobildung verspreche man sich von Zybriden eine theoretisch unbegrenzte Anzahl an »menschlichen« embryonalen Stammzellen, ohne auf menschliche Embryonen direkt zurückgreifen zu müssen, die sonst mühsam aus »überzähligen« Embryonen im Rahmen der In-vitro-Fertilisation gewonnen werden müssten. Befruchtete tierische Eizellen seien dagegen praktisch unbegrenzt verfügbar.

Wichtig im deutschen Kontext sei die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zu »Mensch/Tier-Mischwesen in der Forschung« von Oktober 2011. Hier werde festgehalten, dass »vom moralischen Eigenwert der neu geschaffenen Wesen ab[hängt], ob ihre Herstellung als zulässig angesehen werden kann und welcher Umgang mit ihnen angemessen ist«. Ferner werde laut dem Ethikrat »die Frage aufgeworfen, ob schon die Konstruktion eines menschlichen Mischwesens (...) eine vollständige Instrumentalisierung« des Menschen bedeute. Wichtig für den Ethikrat war neben der Menschenwürde auch die Gattungswürde. Laut dem Ethikrat sei die »Menschenwürde (...) nicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern die Würde des Menschen als Gattungswesen«. Die Bildung von Mischwesen könnte diese Gattungswürde verletzen, da »das Individuum (...) sich womöglich weder der Gruppe der Menschen noch der Gruppe der Tiere als vollständig zugehörig begreifen [könnte]«.

Nach einer Analyse der Unterschiede zwischen Mensch und Tier kam der Ethikrat zu dem Schluss, dass »[d]ie Erzeugung von Mensch/Tier-Mischwesen, die in weit erheblicherem Umfang als existierende Tiere eine Annäherung an die typisch menschlichen Befähigungen zeigen, (...) [die] kulturell verankerte gattungsbezogene Basis unseres Verständnisses von Menschenwürde infrage stellen [würde]«. Vor diesem Hintergrund befasste sich dann der Rat explizit mit der Frage, ob Zybride eher dem Menschen oder dem Tier zuzuordnen sind und, daraus ableitend, ob auch solchen Wesen der Schutz, der einem Mensch u.a. im Sinne des Grundgesetzes zukommt, gleichfalls zukommen sollte. Im Bezug auf Phänotyp, Form und Morphologie kommt der Ethikrat zu dem Schluss, dass ein solches Wesen eher dem Menschen als dem Tier zuzuordnen ist.

Dennoch entschieden 13 von den 25 Mitgliedern des Ethikrats, darunter drei mit leitenden Funktionen in der Evangelischen Kirche, dass die Herstellung von Mensch/Tier-Zybriden ethisch zulässig sei. Hierfür werden zunächst Gründe angeführt, die sich mit den Umständen der Zybrid-Entstehung befassen: Neben dem Verfahren des Zellkerntransfers wird dessen Kontext sowie die Tatsache, dass (derzeit) das Stadium der Totipotenz nur für wenige Tage in Kauf genommen wird, genannt. Darüber hinaus sei der Vorgang »ganz auf die Erzeugung eines (...) experimentelle[n] Zellkonstrukt[s] gerichtet, (...) das sowohl taxonomisch wie ontologisch weder der Gattung Homo noch der anderen beteiligten Tiergattung zuzuordnen ist«. Aber »[s]elbst wenn man zur Überzeugung gelange, dass es sich um einen menschlichen Embryo handelt, (...) wird [nun die Frage] (...) relevant, zu welchem Zweck menschliche Embryonen hergestellt und benutzt werden dürfen (...) Geht man davon aus, dass Menschenwürde- und Lebensschutz allenfalls nach der Nidation greifen (...), sprechen gute Argumente dafür, Herstellung und Nutzung von Zybriden für zulässig zu halten.«

Dagegen hielten elf Mitglieder des Ethikrats fest, dass die Herstellung von Mensch/Tier-Zybriden ethisch nicht zulässig sei. Der Zybrid komme dem menschlichen Embryo von seiner Grundstruktur her sehr nahe. Eine Zuordnung zur taxonomischen Einheit Mensch sei beispielsweise aufgrund der molekulargenetischen Klassifizierung gegeben, aufgrund derer man auch davon ausgehen könne, dass humanspezifische Befähigungen, die sich erst im Laufe einer prä- und postnatalen Entwicklung entfalten würden, von Anfang an angelegt sind. Der Zybrid weise zudem alle Eigenschaften einer menschlichen befruchteten Eizelle auf - diese »Nahezu-Identität« werde ja bei der Herstellung bewusst angestrebt. Somit sei insgesamt von einer Zuordnung zur Art Mensch auszugehen. Zybride seien daher in ihrem moralischen Status nicht grundsätzlich von menschlichen Embryonen in den ersten Stadien der Zellteilung zu unterscheiden. Ihnen komme demgemäß in vollem Umfang der Schutz vor ihrer Verwendung und Vernichtung im Rahmen der Forschung zu. Für die Entscheidung, dass die Erzeugung von Mensch/Tier-Mischwesen die Menschenwürde verletzt, sei unerheblich, ob sie frühzeitig vernichtet werden oder ob sie sich bis zur Implantation oder gar Geburt entwickeln können. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass Zybride in eine Gebärmutter eingepflanzt werden, und somit ein menschliches Wesen erzeugt wäre, das seiner Identität und Integrität beraubt wäre, sollten derartige Vorhaben etwa in einem überarbeiteten Embryonenschutzgesetz verboten werden.

Die Herstellung von Mensch/Tier-Mischwesen, von welcher Art auch immer, befinde sich laut Cullen auf einer Kontinuität der Deformierung. Während einerseits in der »transhumanistischen« Bewegung darüber spekuliert wird, Mensch und Maschine zu vermengen und so eine gottähnliche Unsterblichkeit zu erlangen, wird andererseits alles daran gesetzt, die Grenze »nach unten« zum Tier hin niederzureißen. Können wir nicht zu Göttern werden, so wollen wir anscheinend nur Tier sein (vgl. Abbildung 2). Seinen Vortrag schloss Cullen mit einem Zitat des Philosophen Robert Spaemann zur Herstellung von Mensch/Tier-Mischwesen. Das ist ein »Verbrechen«, sagte Spaemann, »das eine absolute Horrorvision ist, die schlimmste vielleicht, die je ausgedacht wurde«. Die Menschen, die das machen, »legen Hand an die Wurzeln unseres Menschseins«.


Zu Gast, wenn auch nicht bei Freunden: Die Firma Lifecodexx

Anschließend stellte Dr. Martin Burow, kommerzieller Direktor des Unternehmens LifeCodexx AG aus Konstanz, eine neue Methode vor, mittels derer ab der zwölften Schwangerschaftswoche eine Trisomie 21 (Down-Syndrom) des ungeborenen Kindes mit nahezu hundertprozentiger Treffsicherheit festgestellt werden kann. Seit einigen Jahren weiß man, dass bereits ab der vierten Schwangerschaftswoche geringe Mengen der Erbsubstanz (DNA) des ungeborenen Kindes als kleine Fragmente im Blut der Mutter nachgewiesen werden können. Der »Clou« der Methode von LifeCodexx besteht darin, die Sequenz vieler dieser Fragmente zu bestimmen und mittels aufwendiger Datenverarbeitung den einzelnen Chromosomen zuzuordnen. Liegt eine Trisomie 21 vor, so werden mehr Fragment-Sequenzen dem Chromosom 21 zugeordnet als erwartet. Bisherige Auswertungen erwiesen den Test in der Praxis als sehr zuverlässig, mit diagnostischen Sensitivitäten (die Fähigkeit, eine Trisomie 21 des Kindes zuverlässig zu erkennen) und diagnostischen Spezifitäten (die Fähigkeit, bei Kindern ohne Trisomie 21 diese zuverlässig auszuschließen) von beinahe 100 Prozent. Bereits heute kann diese Methode verwendet werden, um andere Chromosomenstörungen zu diagnostizieren oder um das Geschlecht des Kinds zu bestimmen. Theoretisch wäre auch der Nachweis von Einzelgendefekten wie Mukoviszidose oder Duchenne Muskeldystrophie möglich, wobei technischer Aufwand und Rechenleistung für eine solche Diagnostik noch zu hoch sind und diese damit nicht praktikabel ist. Es sei aber eine Frage der Zeit, bis auch solche Analysen routinemäßig verfügbar sind.

In Deutschland ist geplant, diese Untersuchung unter der Bezeichnung »PraenaTest« im Rahmen des Ersttrimesterscreenings in der zehnten oder elften Schwangerschaftswoche bei Frauen mit erhöhtem Risiko für ein Kind mit Down-Syndrom durchzuführen, etwa wegen ihres Alters oder aufgrund einer Ultraschalluntersuchung. Die »Erweiterungsoption« auf Trisomie 13 (Patau-Syndrom) und 18 (Edward-Syndrom) ist zudem vorgesehen. Derzeit wird empfohlen, bei auffälligem Praena Test-Ergebnis eine invasive Diagnostik mittels Amniozentese und Chorionzottenbiopsie zur Sicherung der Diagnose durchzuführen. Bei unauffälligem Testergebnis kann hierauf verzichtet werden. Hierdurch, so argumentiert LifeCodexx, können Komplikationen der invasiven Pränataldiagnostik, vor allem Fehlgeburten, vermieden werden.


Gefährliches déjá-vu: über die Wiederkehr der Selektion

Im Schlussreferat nahm der Journalist und Bioethikexperte Stefan Rehder zur Untersuchungsmethode der Firma LifeCodexx unter dem Aspekt »Wiederkehr des Selektionsgedankens« Stellung. Wiederkehren könne natürlich nur etwas, was auch schon einmal da war. Gerade in Deutschland denke man hier unweigerlich an die Aktion T4 der Nationalsozialisten, in deren Verlauf zwischen 1940 und 1944 mehr als 200.000 Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen ermordet wurden. Darf ein pränatales Screening in einem Atemzug mit solchen Verbrechen genannt werden? Hätten nicht diejenigen Recht, die darauf verwiesen, der neue Bluttest sei »keine Aufforderung, das Kind abzutreiben«, und betonten, es ginge »nur darum Klarheit zu schaffen«? Ist es nicht etwas völlig anderes, ob ein Staat die Tötung von Menschen anordnet und organisiert oder ob ein Unternehmen ein Verfahren entwickelt und anbietet, das Eltern die Möglichkeit eröffnet, mehr über die genaue Anzahl der Chromosomen ihrer Kinder zu erfahren? Lasse sich das eine überhaupt mit dem anderen vergleichen?

Man könne nicht nur, man müsse sogar aller »political correctness« zum Trotz beides miteinander vergleichen, äußerte Rehder. Erst dann fielen auch tatsächliche Unterschiede auf. So seien zum Beispiel bislang keine Berechnungen gefunden worden, aus denen hervorginge, wie viel Geld der Staat durch die vorgeburtliche Tötung von Menschen mit Trisomie 21 einsparen kann, während die erhoffte Einsparung an Lebensmitteln durch die Aktion T4 akribisch festgehalten wurde. Und selbstverständlich macht es einen Unterschied, ob die Tötung von Menschen vom Staat angeordnet oder aber seinen Bürgern anheimgestellt wird. Nur gelte dies dummerweise nicht für die Betroffenen. Für sie sei es - wenn überhaupt - von nachrangiger Bedeutung, wer ihre Tötung in Auftrag gebe und aus welchen Motiven.

Bleibe die Frage, ob die Bereitstellung eines Bluttestes für Trisomie 21 an sich schon moralisch verwerflich sei. Könne es überhaupt verwerflich sein, Wissen zu ermöglichen? Laut Rehder komme es ganz darauf an, wozu dieses Wissen verwandt werden kann. Denn Wissen verleihe, wie der Besitz einer Technologie, Macht. Macht aber müsse immer verantwortet werden. Dabei infiziere die Möglichkeit des Missbrauchs einer Technologie freilich nicht deren rechten Gebrauch. Daher könne man den Hersteller eines Brotmessers nicht dafür verantwortlich machen, dass jemand dieses zweckentfremdet und jemandem - statt ihm ein Butterbrot zu schmieren - die Gurgel durchschneidet.

Laut Rehder ist der neue Bluttest aber von ganz anderer Art als das Brotmesser. Was einleuchte, wenn man sich frage, was denn der rechte Gebrauch eines solchen Tests sei. Da es nun einmal keine Therapie gebe, die aus drei Chromosomen wieder zwei macht, eröffne der Test keine therapeutische Option.

Wenn aber das Wissen, welches der Test ermöglicht, keinerlei therapeutische Option eröffne und somit einen rechten Gebrauch der Technologie nicht ermögliche, gleichzeitig aber 90 Prozent der Eltern, die mit der Diagnose konfrontiert werden, ihr Kind habe das Down-Syndrom, dieses auch abtreiben, dann stelle die Entwicklung und Bereitstellung eines solchen Tests eine »cooperatio ad malum« dar. Ethisch könne die Bereitstellung eines solchen Tests ähnlich gesehen werden wie die Bereitstellung von Zyklon B für die T4-Anstalten der Nazis. Auch die Lieferanten des Gases hätten mit ihrer Lieferung nicht die »Aufforderung « verbunden, die auf Schloss Hartheim und anderorts untergebrachten Behinderten zu vergasen. Trotzdem werde heute niemand behaupten wollen, die Lieferanten des Zyklon B hätten »bloß ihren Job gemacht« und moralisch korrekt gehandelt.

Wie der Würzburger Medizinrechtler Rainer Beckmann bereits 2011 im Kontext der PID-Debatte festgehalten habe, sähe sich die Gesellschaft auch im Falle des LifeCodexx-Tests mit einer Argumentation konfrontiert, nämlich der, dass »[d]ie (genetische) Behinderung eines (ungeborenen) Menschen (...) als Selektionsgrund akzeptabel [sei], allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz. Kinder dürfen nach dieser 'Logik' (...) getötet werden, weil sie nach der Geburt in besonderer Weise der Hilfe und Unterstützung bedürfen!« Wenn Menschen nicht die gleiche Würde hätten, weil ihr Erbgut ein Chromosom zu viel oder ein Gen zu wenig aufweist, dann sei die Würde des Menschen in ihrem Kern getroffen. Denn ein »ungleiches Existenzrecht« lasse sich, zitierte Rehder Beckmann, »nicht - jedenfalls nicht rational - begründen«.


INFO
So votierten die Ethikräte

In ihrer Stellungnahme »Mensch/Tier-Mischwesen in der Forschung« von Oktober 2011 sprachen sich 13 der 25 Mitglieder des damaligen Deutschen Ethikrates für die Zulässigkeit der Forschung an und mit Mensch/Tier-Mischwesen aus, elf dagegen.

Halten die Herstellung von Mensch/Tier-Zybriden für ethisch zulässig:

Stefanie Dimmeler, Prof. f. Experimentelle Medizin u. Leiterin d. Instituts f. kardiovaskuläre Regeneration, Frankfurt/Main; Frank Emmerich, Direktor d. Translationszentrums f. Regenerative Medizin, Leipzig; Volker Gerhardt, Prof. f. Philosophie, Humboldt Universität Berlin, Mitglied im Hochschulbeirat der EKD; Hildegund Holzheid, Präsidentin a. D. des bayerischen Verfassungsgerichtshofs u. des OLG München; Regine Kollek (Sondervotum), Prof. f. Technologiefolgeabschätzung der modernen Biotechnologie, Univ. Hamburg; Weyma Lübbe, Prof. f. Praktische Philosophie, Univ. Regensburg; Eckhard Nagel, Transplantationsmediziner, Leiter der Uni-Klinik Essen, Mitglied des Präsidiumsvorstands des Deutschen Evangelischen Kirchentages; Jens Reich, Arzt u. Molekularbiologe, em. Prof. f. Bioinformatik, Humboldt Universität Berlin, DDR-Bürgerrechtler; Edzard Schmidt-Jorzig (Vorsitz d. Ethikrats), em. Ordinarius f. Öffentliches Recht in Kiel, 1996-1998 Bundesjustizminister (FDP); Jürgen Schmude, ehem. Bundesbildungsminister (SPD, 1978-1981), ehem. Präses der Synode u. Ratsmitglied der EKD (1985-2003); Jochen Taupitz, Jurist, Direktor d. Inst. f. Deutsches, Europäisches u. Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht u. Bioethik, Univ. Heidelberg/Mannheim, Koordinator eines zweijährigen EU-Projekts der Chimären- u. Hybridforschung; Kristiane Weber-Hassemer, ehem. Vorsitzende Richterin eines Strafsenats, OLG Frankfurt/Main; Christiane Woopen (stellv. Vorsitz d. Ethikrats), Prof. f. Ethik u. Theorie der Medizin an der Univ. Köln, Mitglied im Kuratorium d. Bundesstiftung Mutter und Kind.

Halten die Herstellung von Mensch/Tier-Zybriden für ethisch unzulässig:

Axel W. Bauer, Prof. f. Geschichte, Theorie u. Ethik der Medizin, Univ. Heidelberg/Mannheim; Alfons Bora, Jurist u. Prof. f. Soziologie, Univ. Bielefeld; Wolf-Michael Catenhusen, ehem. Staatssekretär BMBF (1999-2005, SPD), stellv. Vorsitz d. Normenkontrollrates (Bürokratieabbau), Mitglied im Präsidium d. Dt. Evang. Kirchentages, Vorsitz Kompetenznetzwerk Stammzellforschung NRW; Wolfgang Huber, evang. Theologe, bis 2009 Bischof d. Evang. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, ehem. Ratsvorsitzender der EKD (2003-2009); Christoph Kähler, lutherischer Theologe, ehem. Landesbischof d. Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen (2001-2008), ehem. stellv. Ratsvorsitzender der EKD (bis 2009); Anton Losinger, Weihbischof u. Domprobst im Bistum Augsburg, Mitglied d. Kommission f. soziale u. gesellschaftliche Fragen der Dt. Bischofskonferenz; Peter Radtke, Autor u. Schauspieler, Vertreter der Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien e.V.; Ulrike Riedel, Medizinrechtlerin, ehem. Staatssekretärin in Hessen u. Sachsen-Anhalt (1991-1996, Die Grünen); Eberhard Schockenhoff, katholischer Priester u. Prof. f. Moraltheologie in Freiburg im Breisgau; Erwin Teufel, ehem. Ministerpräsident d. Landes Baden-Württemberg (1991-2005, CDU), Mitglied im Zentralkomitee d. deutschen Katholiken; Michael Wunder, Psychologe u. Psychotherapeut, Mitglied im Kuratorium d. Instituts Mensch, Ethik und Wissenschaft (Behindertenhilfe).


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Technik der Einzelzellkerntransfer (engl. »single cell nuclear transfer« SCNT)
- Kontinuität der Deformierung: »Können wir nicht zu Götter werden, so wollen wir nur noch Tier sein«.

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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 103, 3. Quartal 2012, S. 22 - 25
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Herausgeber: Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2012