Technische Universität Braunschweig - 13.05.2020
Mathematische Entscheidungshilfe: Wie Covid-19-Tests effizienter werden könnten
Mithilfe so genannter Pooling-Verfahren können Proben von verschiedenen Personen zu einem Pool zusammengefasst und auf Covid-19 getestet werden. Ein Team aus Mathematiker*innen, Informatikern und Medizinern der Jungen Akademie, der Technischen Universität Braunschweig, der Universität Stuttgart und der Firma Arctoris hat eine Entscheidungshilfe entwickelt, die berechnet, welches Verfahren in einem Probenpool möglichst effektiv alle an Covid-19 erkrankten Personen identifiziert. Ihre Simulationen zeigen, dass pool-basierte Testverfahren in Deutschland etwa acht Mal effizienter als Einzeltests sein können. Die Ergebnisse hat das Team in einem Preprint auf "arXiv" und Webseite veröffentlicht.
Beim Proben-Pooling wird das Probenmaterial von unterschiedlichen Personen zu einer Probe (Pool) zusammengefügt und gemeinsam getestet. Das kann bei einer niedrigen Infektionsrate im Vergleich zum individuellen Testen Zeit und Testkapazitäten sparen. Fällt die Probe negativ aus, muss keine der enthaltenen Einzelproben gesondert überprüft werden. Bei einem positiven Ergebnis werden weitere Tests durchgeführt. Dafür eignen sich je nach Szenario unterschiedliche Verfahren.
Insgesamt fünf verschiedene Pool-Testverfahren sowie das individuelle Testen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mithilfe eines mathematischen Modellierungsansatzes für fünf Länder simuliert. Dabei haben sie Parameter wie die Infektionsrate, Testeigenschaften, Populationsgröße und Testkapazitäten berücksichtigt. Algorithmen berechnen auf dieser Grundlage, welche der Pooling-Methoden jeweils am effektivsten ist.
Die vergleichende Analyse soll als Entscheidungshilfe für Labore und politische Entscheidungsträgerinnen und -träger dienen. Zusätzlich hat das Team eine interaktive Webseite entwickelt, auf der auch Szenarien für andere Länder oder Städte modelliert werden können.
"Neu an unserem Ansatz ist der Vergleich zwischen den verschiedenen existierenden Teststrategien und die Empfehlung, welches Verfahren in der jeweiligen Situation am geeignetsten wäre, um mit begrenzten Ressourcen maximal viele erkrankte Personen in kürzester Zeit zu identifizieren", sagt Professor Timo de Wolff von der Technischen Universität Braunschweig und Mitglied der Jungen Akademie, der das Projekt initiiert hat. Der Ansatz des Pool-Testens wird in der Medizin bereits seit mehreren Jahrzehnten eingesetzt, beispielsweise für das Testen von Blutspenden auf Viren. Kürzlich wurde im Labor nachgewiesen, dass solche Testmethoden auch für Covid-19 möglich sind. Mit Bezug auf Covid-19-Tests wird dieser Ansatz momentan in einer Reihe von Preprints aufgegriffen.
In dem jetzt veröffentlichten Preprint zeigen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass pool-basierte Testverfahren in aktuellen Szenarien bei einer Infektionsrate von 1 Prozent etwa acht Mal effizienter als Einzeltests sein können. Ein Zehntel der Bevölkerung Deutschlands könnte bei einer solch niedrigen Infektionsrate mithilfe von realistischen und optimierten Pool-Teststrategien innerhalb von ca. 10 Tagen auf Covid-19 getestet werden. Pool-basierte Testverfahren können außerdem die Anzahl der falsch-positiven Diagnosen stark reduzieren.
Mithilfe solcher Ansätze wären Breitentests innerhalb einer Bevölkerung möglich, um vor allem auch symptomfrei Erkrankte schnell zu identifizieren. Ihre Effektivität nimmt jedoch mit steigender Infektionsrate ab, weshalb ihr Einsatz insbesondere bei niedrigen Infektionsraten sinnvoll ist.
In ihrer Veröffentlichung haben die Forschenden die Situationen in den
USA, Deutschland, Großbritannien, Italien und Singapur simuliert, um eine
breite Vielfalt von Populationsgrößen und Testkapazitäten widerzuspiegeln.
An dem Projekt sind Professor Timo de Wolff und Janin Heuer, TU
Braunschweig, Professor Dirk Pflüger und Michael Rehme, Universität
Stuttgart, sowie Dr. Dr. Martin-Immanuel Bittner, Arctoris, Oxford,
beteiligt. Timo de Wolff, Dirk Pflüger und Martin-Immanuel Bittner sind
Mitglieder der Jungen Akademie. Der Preprint sowie der Code sind frei
verfügbar. Die interaktive Webseite ist zu finden unter
https://ipvs.informatik.uni-stuttgart.de/sgs/cgi-bin/JA/covid19/
Finanziert wurde das Projekt von der Jungen Akademie. Die Veröffentlichung
ist bisher als Preprint auf "arXiv" erschienen und unter
https://arxiv.org/abs/2004.11851 verfügbar.
Die Veröffentlichung ist bisher als Preprint auf "arXiv" erschienen. Als Preprint werden Veröffentlichungen bezeichnet, die das Begutachtungsverfahren (Peer-Review) eines Verlages oder einer Fachzeitschrift noch nicht durchlaufen haben. Über diesen Weg stehen die Ergebnisse schneller für die wissenschaftliche Nutzung zur Verfügung. Ein Begutachtungsverfahren folgt noch.
Technische Universität Braunschweig
Mit über 20.000 Studierenden und 3.700 Beschäftigten ist die Technische
Universität Braunschweig die größte Technische Universität
Norddeutschlands. Sie steht für strategisches und leistungsorientiertes
Denken und Handeln, relevante Forschung, engagierte Lehre und den
erfolgreichen Transfer von Wissen und Technologien in Wirtschaft und
Gesellschaft. Unsere Forschungsschwerpunkte sind Mobilität, Infektionen
und Wirkstoffe, Metrologie und Stadt der Zukunft. Starke
Ingenieurwissenschaften und Naturwissenschaften bilden unsere
Kerndisziplinen. Diese sind eng vernetzt mit den Wirtschafts- und Sozial-,
Geistes- und Erziehungswissenschaften. Der Campus liegt inmitten einer der
forschungsintensivsten Regionen Europas. Mit den über 20
Forschungseinrichtungen in unserer Nachbarschaft arbeitet die TU
Braunschweig ebenso erfolgreich zusammen wie mit ihren internationalen
Partnerhochschulen und Kooperationspartnern.
Universität Stuttgart
Die Universität Stuttgart ist eine führende technisch orientierte
Universität in Deutschland mit weltweiter Ausstrahlung. Sie versteht sich
als Knotenpunkt universitärer, außeruniversitärer und industrieller
Forschung sowie als Garant einer auf Qualität und Ganzheitlichkeit
ausgerichteten, forschungsgeleiteten Lehre. Den Transfer von Wissen und
Technologien in die Gesellschaft fördert die Universität in all ihren
Profil-, Kompetenz- und Potenzialbereichen. Der Stuttgarter Weg steht für
interdisziplinäre Integration von Ingenieur-, Natur-, Geistes- und
Gesellschaftswissenschaften auf der Grundlage disziplinärer
Spitzenforschung. Ihre Vision lautet "Intelligente Systeme für eine
zukunftsfähige Gesellschaft".
Arctoris
Arctoris Ltd ist ein in Oxford beheimatetes Technologieunternehmen im
Bereich der lebenswissenschaftlichen Forschung. Arctoris hat die weltweit
erste vollautomatisierte Plattform für Medikamentenentwicklung etabliert,
die validierte und optimierte Experiments-as-a-Service für
Biotechnologiefirmen, pharmazeutische Unternehmen und Universitäten
anbietet. Wissenschaftler weltweit können Experimente der Zell- und
Molekularbiologie sowie der Biochemie online konfigurieren, um sie in der
Forschungsanlage von Arctoris robotergestützt durchführen zu lassen.
Dadurch ermöglicht Arctoris schnellere, bessere, und effizientere
Forschung für Partner und Kunden weltweit.
Junge Akademie
Die Junge Akademie wurde im Jahr 2000 als weltweit erste Akademie für
herausragende junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ins Leben
gerufen. Ihre Mitglieder stammen aus allen wissenschaftlichen Disziplinen
sowie aus dem künstlerischen Bereich - sie loten Potenzial und Grenzen
interdisziplinärer Arbeit in immer neuen Projekten aus, wollen
Wissenschaft und Gesellschaft ins Gespräch miteinander und neue Impulse in
die wissenschaftspolitische Diskussion bringen. Die Junge Akademie wird
gemeinsam von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
(BBAW) und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina getragen.
Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin.
Originalpublikation:
De Wolff, Timo; Pflüger, Dirk; Rehme, Michael; Heuer, Janin; Bittner,
Martin-Immanuel:
Evaluation of Pool-based Testing Approaches to Enable Population-wide Screening for COVID-19 (arXiv:2004.11851)
Weitere Informationen finden Sie unter
https://ipvs.informatik.uni-stuttgart.de/sgs/cgi-bin/JA/covid19/
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution179
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Technische Universität Braunschweig - 13.05.2020
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2020
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang