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DIAGNOSTIK/420: Röntgen und Computertomographie - Riskanter Durchblick (Securvital)


Securvital 5/2011 - September/Oktober
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Röntgen und Computertomographie
Riskanter Durchblick

Von Norbert Schnorbach


Deutschland ist Weltmeister. In keinem anderen Land der Welt machen Ärzte so viele Kernspin-Untersuchungen, nirgendwo sonst werden Patienten so oft in die Röhre geschoben. Auch CT- und Röntgenaufnahmen nehmen immer weiter zu. Aber es tauchen Fragen auf: Wie groß ist der medizinische Nutzen? Und wie hoch ist das Risiko für die Patienten?


Als der deutsche Physiker Wilhelm Conrad Röntgen 1895 in Würzburg mit "X-Strahlen" experimentierte, machte er eine sensationelle Entdeckung: Erstmals konnte er ohne Operation einen Blick in das Innere des Körpers werfen. Knochen und Gelenke wurden sichtbar mit Hilfe dieser Strahlen, die später nach ihm benannt wurden. Röntgen erhielt den ersten Nobelpreis für Physik, seine Entdeckung trat einen Siegeszug rund um die Welt an. Heute sind Röntgenstrahlen nicht mehr aus der Medizin wegzudenken. Aber gleichzeitig sind sie zur massiven Gesundheitsbelastung und Ursache für Krebserkrankungen geworden.

Über 100 Millionen Röntgenuntersuchungen werden jährlich in Deutschland gemacht. Mit durchschnittlich 1,3 Röntgenaufnahmen pro Einwohner im Jahr nimmt Deutschland einen internationalen Spitzenplatz ein. Bei den üblichen Röntgenfotos (Zähne, Knochen, Mammographie) ist die Gerätetechnik erheblich verbessert worden, die jeweilige Strahlendosis ist viel niedriger als früher.

Doch immer häufiger werden in Krankenhäusern und Facharztpraxen statt einzelner Röntgenbilder umfassende Computertomographien (CT) gemacht. In fast jeder Notaufnahme stehen heutzutage CT-Geräte. Sie ermöglichen genauere Diagnosen, vor allem in komplizierteren Fällen wie etwa bei schweren Unfallverletzungen oder bei Gehirntumoren. Aber die Strahlendosis bei einer CT ist bis zu 500 oder gar 1.000 Mal so hoch wie bei einem einfachen Röntgenbild.


Tausende von Krebsfällen

Computertomographien sind die Hauptursache dafür, dass die Strahlenbelastung pro Person in Deutschland auf das doppelte der natürlichen Strahlung gestiegen ist. Eine einzelne CT kann die Strahlendosis erreichen, die ein Mensch ansonsten im Lauf von zehn Jahren aufnimmt. Bei einer CT des Brustkorbs nimmt der Mensch so viel zusätzliche Strahlung auf wie bei 200 Flügen zwischen Frankfurt und New York oder das 15fache der radioaktiven Monatsdosis, die in Tokio kurz nach der Fukushima-Katastrophe gemessen wurde.

Die Folgen dieser steigenden Strahlenbelastung: Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) spricht von 2.000 Krebserkrankungen und 1.500 Krebstodesfällen pro Jahr, die durch Röntgendiagnostik verursacht werden. Andere Schätzungen gehen sogar von bis zu 20.000 Krebsfällen aus, die fatalerweise dadurch verursacht werden, dass man Krankheiten aufspüren und heilen will.

Die Deutsche Röntgen-Gesellschaft hat festgestellt, dass die Hälfte der Röntgenaufnahmen in Deutschland überflüssig ist. Das sei eine finanzielle Belastung für das Gesundheitswesen allgemein und ein gesundheitliches Risiko für jeden Einzelnen.


Kein Grenzwert

"Jede Röntgenaufnahme bedeutet Strahlung, und es gibt keinen unteren Grenzwert, bei dem wir Schäden ausschließen können", sagt der Radiologe Dr. Christoph Heyer vom Universitätsklinikum Bochum. Deshalb sollte vor jeder Röntgenaufnahme und erst recht vor jeder CT überlegt werden, ob sie wirklich sinnvoll ist. Sie ist nur dann gerechtfertigt, "wenn der Patient aus der Röntgendiagnostik einen erheblichen Nutzen zieht und das Strahlenrisiko demgegenüber gering einzuschätzen ist", urteilt das BfS.

Ärzte sind sogar rechtlich dazu verpflichtet, vor einer Röntgenuntersuchung Nutzen und Risiken abzuwägen und alternative Methoden in Betracht zu ziehen. Kritisch beurteilt der Radiologe Dr. Reinhard Loose, Chefarzt am Klinikum Nürnberg-Nord, den Einsatz der Röntgendiagnostik allein zur Vorsorge. Computertomographien für einen "reinen Gesundheits-Check", ohne dass der Patient krank ist oder hohe Gesundheitsrisiken hat, seien völlig unangebracht. Für reine Routine-Untersuchung sollten auf keinen Fall Computertomographien mit ihrer hohen Strahlenbelastung gemacht werden.


Von Kopf bis Fuß durchleuchtet

Zahl der CT- und MRT-Untersuchungen in Deutschland 
 pro Jahr (insgesamt 18,8 Millionen). Davon
Kopf
Wirbelsäule
Gliedmaßen
Bauchraum
Brustkorb
Becken
Hals
sonstige
4,7 Millionen
3,4 Millionen
2,6 Millionen
2,2 Millionen
1,5 Millionen
0,6 Millionen
0,3 Millionen
3,5 Millionen

Grundsätzlich ist der Nutzen radiologischer Untersuchungen hoch, daran gibt es keinen Zweifel. Richtig eingesetzt, können sie bei Kopfverletzungen, Knochenbrüchen, Gelenkentzündungen, verengten Gefäßen und anderen Fällen wertvolle Hilfe zur Diagnostik und Behandlung geben. Bei Knochenbrüchen beispielsweise geht es fast nie ohne Röntgen. Doch mit jeder Röntgenbelastung steigt das Gesundheitsrisiko. Darum sollten Patienten kritisch nachfragen, bevor sie sich dem Strahlungsrisiko aussetzen, und darauf achten, dass keine überflüssigen Doppeluntersuchungen gemacht werden. In der täglichen Praxis kommen doppelte Untersuchungen immer wieder vor, weil frühere Aufnahmen nicht vorliegen oder auch, weil Ärzte sich zusätzlich absichern wollen.

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) rät, sich in jedem Fall vom Arzt die Notwendigkeit einer Röntgenuntersuchung und die Risiken erklären zu lassen. Wichtig sei es auch, den Arzt über frühere Untersuchungen zu informieren, etwa mit dem Röntgenpass, den sich jeder Patient geben lassen kann.

Das Dilemma der Mediziner zeigt sich bei der Mammographie. Frauen ab 55 Jahren werden im Rahmen der Brustkrebsvorsorge regelmäßig alle zwei Jahre zur Röntgen-Mammographie aufgefordert. Die Ergebnisse sind umstritten: Zu unzuverlässig und zu viele Fehldiagnosen, werfen Kritiker den Mammografie-Screenings vor. Eine Alternative sind Ultraschall-Untersuchungen. Sie haben den großen Vorteil, ohne Röntgenstrahlen auszukommen. Aber sie werden oft nur als zusätzliche Untersuchung zur Abklärung von Unsicherheiten angewandt, weil die Ergebnisse schwierig zu beurteilen sind.

Neu sind jene Geräte, die CT und PET (Positronen-Emissions-Tomografie) kombinieren. Bei dieser Zweifachuntersuchung werden den Patienten gleichzeitig radioaktive Substanzen injiziert. Krankenkassen zahlen dafür nur in Ausnahmefällen, zumal das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) keinen ausreichend belegten Nutzen von CT/PET-Untersuchungen erkannt hat.

In den vergangenen Jahren hat sich die Gesamtzahl der Röntgenuntersuchungen nicht sehr stark verändert, berichtet das BfS. "Allerdings hat der Anteil dosisintensiver Untersuchungsverfahren, insbesondere der Computertomographie, im Lauf der Jahre deutlich zugenommen." Innerhalb von fünf Jahren ist die Zahl der CT um 26 Prozent gestiegen, stellte die Barmer GEK im Arztreport 2011 fest. Auf 1.000 Einwohner in Deutschland kommen 114 CT pro Jahr, in den Niederlanden beispielsweise nur 60.


40 % mehr Kernspin

Ähnlich verläuft die Zahlenentwicklung bei der Magnetresonanztomografie (MRT), auch Kernspin genannt. Die Zahl ist stark gestiegen, um über 40 Prozent in fünf Jahren. Jetzt kommen auf 1.000 Einwohner in Deutschland 97 MRT-Untersuchungen pro Jahr, in den Niederlanden nur 39. In keinem anderen Land der Welt wird die MRT so häufig eingesetzt wie in Deutschland.

Ein Grund dafür sind die Kosten. MRT ist um ein Vielfaches teurer als CT. Sie kostet für Privatzahler bis zu 1.000 Euro und mehr pro Untersuchung, je nach Umfang und Aufwand. Die Anschaffung von extrem teuren MRT-Geräten rentiert sich deshalb für die Ärzte nur bei hoher Auslastung. Experten schätzen, dass fast 5.000 CT- und MRT-Geräte in Deutschland im Einsatz sind und jedes Gerät im Schnitt 1.000 Mal eingesetzt werden muss, um die Anschaffungskosten zu finanzieren.


Strahlenbelastung bei medizinischen Untersuchungen
(Durchschnittswerte für Erwachsene)
Röntgenbild beim Zahnarzt
Röntgenbild Hand oder Fuß
Röntgenbild des Brustkorbs
Mammografie (Brustuntersuchung)
Röntgenbild des Bauchraums
CT des Schädels
CT des Brustkorbs
CT des Bauchraums
5 - 10     Mikrosievert
10 - 100    Mikrosievert
20 - 100    Mikrosievert
200 - 600    Mikrosievert
600 - 1.000  Mikrosievert
2.000 - 4.000  Mikrosievert
6.000 - 10.000 Mikrosievert
10.000 - 25.000 Mikrosievert

Zum Vergleich:
Zusätzliche Strahlungsdosis bei einem Flug Frankfurt/New York
50 Mikrosievert

Strahlenbelastung in Tokio kurz nach der Atomkatastrophe von Fukushima (pro Monat)
600 Mikrosievert

natürliche Strahlung aus Kosmos, Luft und Boden (pro Jahr)
2.400 Mikrosievert

Gesetzlicher Jahresgrenzwert bei beruflicher Strahlenbelastung
20.000 Mikrosievert

Quelle: Bundesamt für Strahlenschutz, FAZ


Starke Magnetfelder

Die MRT-Geräte arbeiten im Unterschied zur Computertomographie nicht mit Röntgenstrahlen, sondern mit starken Magnetfeldern und Radiowellen. Diese bringen gezielt die Atomkerne in Wasserstoffatomen ins Schwingen, messen die Resonanz und ermöglichen damit einen computergesteuerten Blick ins Körpergewebe. Je stärker die Magnetfelder, desto schärfer und detailreicher werden die Bilder. Die technische Entwicklung schreitet rasend schnell voran.

Besonders für schwierige Diagnosen etwa an Bändern, Sehnen und Knorpel ist die Qualität der MRT-Bilder hilfreich, weil sie kontrastreiche dreidimensionale Bilder erzeugt, die Röntgen nicht liefern kann. "Man kann heute mit großer Brillanz in den Körper hineinsehen", urteilt der Bremer Prof. Norbert Schmacke, der an der Universität Bremen über Gesundheitsversorgung forscht.

Er warnt allerdings, ebenso wie auch Prof. Michael Forsting, der Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft, vor "Bildergläubigkeit" und übermäßigem Einsatz der neuen Diagnosetechniken. "Die Folge ist, dass Unmengen von irrelevanten Befunden erzeugt und im Falle der CT unnötige Strahlendosen verabfolgt werden", kritisiert Schmacke. "Die Ärzte haben die Bringschuld, ihre Patienten fair über Nutzen und Schaden empfohlener Untersuchungs- und Behandlungsverfahren aufzuklären."


Weitere Informationen

• Lassen Sie sich vom Arzt die Notwendigkeit einer Röntgenuntersuchung und das damit verbundene Risiko erklären.

• Lassen Sie sich einen individuellen Röntgenpass aushändigen, in den jede Untersuchung eingetragen wird, um Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Den gibt es kostenlos bei jedem Arzt und Zahnarzt, der Röntgenaufnahmen macht.

• Heben Sie Röntgenaufnahmen und Untersuchungsberichte auf.

• Bei Kindern ist das Risiko höher. Umso mehr gilt der Grundsatz: Nur röntgen, wenn es wirklich sinnvoll ist.

• Schwangere sollten nur in besonders begründeten Ausnahmefällen geröntgt werden.

• Weitere Infos: Bundesamt für Strahlenschutz, Tel. 018 88/333-0, www.bfs.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Radioaktiv markiert: Positronen-Emissions-Tomografie eines Gehirns zeigt auffällige Stellen.
- Röntgen ist die größte Strahlenbelastung: Eine einzige Brustkorb-CT entspricht der natürlichen Strahlenbelastung von vier Lebensjahren.
- Zintigraphie eines Bauchraums: Mit strahlendem Technetium werden Galle, Magen und Leber untersucht.


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Quelle:
Securvital 5/2011 - September/Oktober, Seite 6 - 10
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
alternativer Versicherungskonzepte
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2011