Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → FAKTEN


BILDUNG/1142: Interview - Erste Professur für Hebammenwissenschaften an der Uni Lübeck (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 11/2018

Hebammen
Uni Lübeck leistet Geburtshilfe

Interview mit Professorin Christiane Schwarz


Akademisierung der Hebammenausbildung: Lübeck ist schneller als die EU-Richtlinie. Erste Professur für Hebammenwissenschaften. Interview mit Professorin Christiane Schwarz.


Nur in wenigen Ländern ist der Beruf der Hebamme ein reiner Ausbildungsberuf. In der EU nur in Deutschland, in allen anderen EU-Ländern erfolgt die Ausbildung an Hochschulen. Nun soll auch in der Bundesrepublik die Hebammenausbildung akademisiert werden, Stichtag zur Umsetzung ist gemäß EU-Richtlinie der 18. Januar 2020. An der Universität Lübeck startet zum Wintersemester 2018/2019 bereits der zweite Durchgang des Studienganges Hebammenwissenschaft. Im April dieses Jahres hat die Universität zu Lübeck die bundesweit erste universitäre Professur für Hebammenwissenschaften besetzt. Astrid Schock vom Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt hat Professor Christiane Schwarz zum Studiengang befragt.

Ärzteblatt: Ein Abschluss als Bachelor of Science für Hebammen: Warum braucht dieser Beruf nach so vielen Jahren nun eine wissenschaftliche Ausrichtung, was hat sich in den letzten Jahren im Berufsbild verändert?

Professorin Christiane Schwarz: Gesellschaftlich haben sich in den vergangenen Jahrzehnten viele Dinge verändert: Die Lebenswelten der Frauen und ihrer Familien sind diverser und komplexer geworden. Daraus ergeben sich für Hebammen neue Herausforderungen und Handlungsfelder. Mit Recht erwarten Schwangere und ihre Familien eine hochprofessionelle Betreuung auf dem aktuellen wissenschaftlichen Niveau. Dazu gehören auch die angemessene Aufbereitung von evidenzbasierten Informationen für die Frauen, umfangreiche Maßnahmen in Qualitätssicherung und -management und eine rechtssichere Dokumentation. Jedes klinische Vorgehen bedarf einer kritischen Reflexion; "Best Practice" muss implementiert und immer wieder aktualisiert werden. Die gesamte Hebammenbetreuung wird eigenverantwortlich durchgeführt; das bedeutet ein hohes Maß an Verantwortung. Diese und viele weitere Ansprüche erfordern ein höheres Bildungsniveau als es in einer fachschulischen Ausbildung gewährleistet werden kann. Die EU hat das erkannt; in allen anderen Ländern Europas ist die Hebammenausbildung längst akademisch.

Was könnte eine angehende Hebamme reizen, ein Studium, das vier Jahre dauert, einer dreijährigen Ausbildung vorzuziehen?

Schwarz: Die Möglichkeit, neben einem Berufsabschluss auch einen akademischen Grad zu erwerben, ist für junge Frauen heutzutage sehr attraktiv. Ein Examen als Hebamme war in der Vergangenheit eine Bildungssackgasse, die zudem zu einer Benachteiligung dieser Personengruppe in finanzieller und auch sozialer Hinsicht geführt hat. Die Bewerber*innenlage zeigt uns: Die jungen Frauen stimmen mit den Füßen ab; wir haben eine sehr große Anzahl exzellenter Bewerbungen für unseren Studiengang. Es wird höchste Zeit, diesen Frauenberuf aus der Misere zu befreien.

"Ein Examen als Hebamme war in der Vergangenheit eine Bildungssackgasse [...]. Es wird höchste Zeit, diesen Frauenberuf aus der Misere zu befreien."
Prof. Christiane Schwarz

Welche Berufsperspektiven ergeben sich zusätzlich durch einen Hochschulabschluss?

Schwarz: Der Bachelor in Hebammenwissenschaft bereitet in erster Linie auf die praktische Tätigkeit als Hebamme vor. Zusätzlich können die so qualifizierten Hebammen sich in Kreißsaal oder Praxis/Geburtshaus mit in die Ausgestaltung der strategischen und fachlichen Rahmenbedingungen der Geburtshilfe einbringen, da sie das Rüstzeug dazu haben.

Alle BSc-Hebammen haben außerdem methodisch-didaktische Grundkenntnisse erworben, mit denen sie sich in der Ausbildung engagieren können. Und dann gibt es auch noch die Möglichkeit, sich akademisch weiterzuentwickeln und einen Masterabschluss oder gar eine Promotion aufzusatteln.

Warum muss vor Beginn des Studiums ein vierwöchiges Praktikum absolviert werden?

Schwarz: Die Kandidatinnen sollen wissen, worauf sie sich bei dem Beruf einlassen. Es wäre eine scheußliche Verschwendung kostbarer Ressourcen, wenn jemand erst nach Studienbeginn merkt, dass dieser Beruf doch nicht die richtige Wahl ist.

In den ersten sechs Semestern findet eine duale Ausbildung statt. Wie können Studierende die räumlichen Distanzen zu den Praxispartnern in ganz Schleswig-Holstein bewältigen?

Schwarz: Die Problematik der weit entfernten Einsatzorte regeln wir mit mehreren Schritten. Bei der Bewerbung können die Studierenden bereits ihre Präferenzen angeben; da gibt es oft bestehende Netzwerke, die genutzt werden können. Dann haben wir die Praxis so organisiert, dass die Studierenden immer blockweise über mehrere Wochen an der Uni oder in der Klinik eingesetzt sind, so dass das zu häufige Fahren entfällt.

Interprofessionalität ist an der Universität Lübeck Programm. Was versprechen Sie sich davon, dass die angehenden Hebammen gemeinsam mit Humanmedizinern unterrichtet werden?

Schwarz: Wir sind davon überzeugt, dass das interprofessionelle Studium eines der Kernprobleme der gesamten medizinischen Versorgung in Deutschland positiv beeinflussen kann und wird: Fragmentierung und Kommunikationsprobleme zwischen Berufsgruppen und Sektoren. Wer gemeinsam lernt, forscht, und in die Patientenversorgung eingebunden ist, lernt - mit unserer Moderation - miteinander zu sprechen und zu arbeiten. Gegenseitige fachliche Wertschätzung und gelungene Kooperation führt letztendlich auch zu einer besseren Patientenversorgung.

Wird mit den Studierenden auch über Haftung, Versicherung und Wirtschaftlichkeit gesprochen?

Schwarz: Alle Inhalte zu gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie Ethik und Gesundheitspolitik sind selbstverständlich Themen in den entsprechenden Modulen. Dazu gehört insbesondere auch die Vorbereitung auf die freiberufliche Tätigkeit, die ja zum Aufgabenbereich der Hebammen gehört.

Die Gruppenhaftpflichtversicherung des Deutschen Hebammenverbandes ist 2016 ausgelaufen, freiberufliche Hebammen sind gezwungen, selbst eine meist kostspielige Haftpflichtversicherung abzuschließen. Sehen Sie die veränderte Versicherungsthematik als Problem für die Zukunft des Berufes der freiberuflichen Hebamme?

Schwarz: Es gibt nach wie vor eine Gruppenhaftpflicht für Hebammen über den Berufsverband. Die Regierung hat hier nach viel Öffentlichkeitsarbeit der Bevölkerung und der Berufsverbände unter schwierigen Verhandlungen bereits reagiert und mit dem Sicherstellungszuschlag dieses aktuelle Problem erst einmal entschärft. Langfristig muss natürlich noch eine dauerhafte, tragfähige Lösung gefunden werden.

Auch freiberufliche Hebammen sind nun daran gebunden, ein QM-System einzuführen. Welche Vor- und Nachteile sehen Sie in dieser Verpflichtung?

Schwarz: Davon abgesehen, dass das QM einmal, nämlich bei der erstmaligen Einrichtung, etwas Mühe macht, ist es - einmal implementiert - nicht nur eine großartige Arbeitshilfe. Es sorgt auch dafür, dass die gute Qualität der Hebammenarbeit transparent und nachvollziehbar wird. Das gilt sowohl für den Leistungserbringer, als auch für den Beitragszahler der GKV und PKV. Für die betreuten Frauen wird ein Mindeststandard an gleichbleibender Qualität und verlässlicher Struktur garantiert.

Seit dem 1. April 2018 sind Sie Professorin für Hebammenwissenschaften an der Universität zu Lübeck. Was hat Sie an der Aufgabe gereizt?

Schwarz: Ich liebe Lehre, Forschung und Praxis gleichermaßen. Lübeck war bundesweit die erste Universität, die den mutigen Schritt gewagt hat, einen ausbildungsintegrierenden dualen Hebammenstudiengang in der Sektion Medizin einzurichten. Mit dem Lehrstuhl hier kann ich rund um die Uhr Geburtshilfe leisten - praktisch und intellektuell. Ich kann meine (zukünftigen) Kolleginnen bei dem anstrengenden Prozess des Studiums begleiten, aber auch Forschungsfragen generieren und explorieren. Eine Weiterqualifizierung ist hier bis hin zur Promotion möglich. Auch die Nähe zur Praxis ist unschätzbar wertvoll, der Austausch gelingt auf kurzem Dienstweg. Das Team im Studiengang und die Kolleg*innen an der Universität sind großartig. Hier schätzen wir gemeinsam Bewährtes und schaffen mutig und kreativ Neues. Es ist eine große Ehre, auf diese Stelle berufen zu sein und zur Professionalisierung unseres Berufes, aber auch zur Verbesserung der geburtshilflichen Versorgung in Deutschland beitragen zu können.

Vielen Dank für das Gespräch.



STUDIENGANG HEBAMMENWISSENSCHAFT

Die Absolventen des dualen Bachelorstudienganges erlernen klinische und ethische Kompetenzen in der Praxis und organisatorische und wissenschaftliche Kompetenzen im Studium. Studium und Praxis lösen sich in den ersten drei Studienjahren monatlich ab, im vierten Jahr erfolgt das Vollzeitstudium. Am Ende stehen der Berufsabschluss als staatlich geprüfte Hebamme/Entbindungshelfer und der Hochschulgrad Bachelor of Science.

Die 24-Jährige Anneke Jost beginnt das Studium zum Wintersemester 2018/2019. "Die Kombination aus Praxis und Theorie überzeugen", sagt sie. Aus Stuttgart stammend hat sie im Vorwege ein Studium der Architektur abgeschlossen und ein Langzeitpraktikum in einer Zimmerei absolviert. Schon bald nach ihrem Abschluss war jedoch klar, dass sie sich einen Beruf am Schreibtisch nicht dauerhaft vorstellen kann. In Praktika bei zwei freiberuflichen und zwei klinischen Hebammen sowie in einem großen Geburtshaus in Villingen-Schwenningen war der Berufswunsch dann sehr deutlich. "Das Versicherungsproblem bzw. die Einführung eines neuen QM-Systems für Hebammen sind mir zwar bewusst, schrecken mich aber nicht ab. Ich möchte mit Menschen arbeiten und sie in einem der wichtigsten Momente in ihrem Leben begleiten."


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 11/2018 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2018/201811/h18114a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

*

Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
71. Jahrgang, November 2018, Seite 20 - 21
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-272, -273, -274,
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.de
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang