Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → FACHMEDIZIN

AUGEN/351: Der Diabetes als interdisziplinäre Aufgabe in der Augenheilkunde (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2012

Der Diabetes als interdisziplinäre Aufgabe in der Augenheilkunde

Von Dr. Udo Hennighausen



Diabetologie und Augenheilkunde standen im Mittelpunkt von zwei Fortbildungen, die unser Autor Dr. Udo Hennighausen besucht hat.


Mit der Untersuchung des Augenhintergrundes bei Patienten mit Diabetes verfolgt man zwei Ziele: die Früherkennung diabetischer Veränderungen am Auge ermöglicht die Planung einer optimalen augenärztlichen Behandlung und das Vorhandensein bzw. das Ausmaß einer diabetischen Retinopathie gilt als Gradmesser für die Einstellung des Diabetes. Darüber hinaus sollte auch der Diabetologe um die therapeutischen Möglichkeiten am Auge wissen, um seine Patienten ganzheitlich beraten zu können. Nachstehend seien die für die ärztliche Kommunikation und Kooperation wichtigen Aspekte zusammengefasst, gewonnen auf zwei Fortbildungen: In Hamburg berichteten Prof. Wolfgang Wiegand und sein Team im Rahmen des Ophthalmologen-Vormittags der Abteilung für Augenheilkunde der Asklepios Klinik Nord-Heidberg über dieses Thema, bei der 174. Versammlung des Vereins Rheinisch-Westfälischer Augenärzte in Essen sprach Prof. Diethelm Tschöpe (Bochum/Bad Oeynhausen) über das Thema "Diabetische Retinopathie - Internistischer Handlungsauftrag". Tschöpe zeigte, dass sich die diabetische Retinopathie als Risikomarker für makround mikrovaskuläre Ereignisse eignet, insbesondere für: Apoplex, kardiovaskuläre Ereignisse einschließlich Herzinsuffizienz, Polyneuropathie, Nephropathie, Amputationen der unteren Extremität sowie die Gesamtmortalität.

Das Team um Wiegand stellte die aktuellen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten der Augenheilkunde dar. In der nordamerikanischen NHANES-Studie wurde für Patienten ab 20 Jahren auf der Basis des Nüchtern-Blutzuckers für die Jahre 1999-2000 eine Prävalenz des Diabetes von 8,3 Prozent ermittelt. In Deutschland ist eine Zunahme der Zahl bekannter Diabetiker um ca. 2,5 Prozent pro Jahr zu erwarten. Risikofaktoren für die Entwicklung einer diabetischen Retinopathie sind außer Hyperglykämie und einem erhöhten HBA1C38-Wert (Zielwert sieben Prozent), Hypertonie, Nephropathie, erhöhte Lipidwerte (Triglyceride) und die Genetik. Eine strenge Einstellung des Blutdrucks reduziert bei Patienten mit Diabetes Typ 2 das Risiko einer Progression der diabetischen Retinopathie um 34 Prozent und gleichzeitig das Risiko, einer Laserbehandlung zu bedürfen, um 35 Prozent. Wichtig ist auch: Bei Kindern mit Diabetes ist vor der Pubertät nicht mit diabetisch bedingten Netzhautveränderungen zu rechnen.

In der Pathophysiologie der diabetischen Retinopathie spielen "AGE"-Products (Advanced Glycation Endproducts), welche sich in die Basalmembran der Netzhautkapillaren einlagern, sowie ein vermehrter Anfall von Sorbitol (ein toxischer Alkohol) eine wichtige Rolle: Die biochemische Schädigung der Netzhautgefäße führt zum Untergang ihrer Perizyten, pathognomonisch für die diabetische Retinopathie, einem Verlust von Endothelzellen mit der Folge des zunehmenden Kapillarverschlusses, einer gesteigerten Permeabilität der Kapillarwand, auch begünstigt durch die traumatische Wirkung des gesteigerten Blutflusses auf die Gefäßwand, sowie einer gestörten Autoregulation der Netzhautgefäße, sodass im Endeffekt die Blut-Retina-Schranke zusammenbricht. Es resultiert das Bild der schweren nicht-proliferativen diabetischen Retinopathie mit Mikroaneurysmen (Folge des Unterganges von Perizyten), einem Netzhautödem mit harten Exsudaten und perivaskulären intraretinalen Blutungen (Folge der erhöhten Gefäßpermeabilität), Cotton-Wool-Spots (Mikroinfarkte der kleinen Endgefäße) sowie IRMAs (Intraretinale Mikrovaskuläre Anomalien) als erste Antwort auf die Minderperfusion der Netzhaut. Bis zu diesem Stadium lässt sich eine diabetische Retinopathie oft noch durch eine konsequente Einstellung des Diabetes bessern. Aber auch bereits zu diesem Zeitpunkt sehen nicht wenige Ophthalmologen die Indikation zur Laserbehandlung der Netzhaut gegeben. Sind erst einmal Proliferationen aufgetreten, lassen sich diese durch eine Intensivierung der Diabeteseinstellung nicht mehr bessern, nur ihr Fortschreiten lässt sich verlangsamen. Die Minderperfusion der Netzhaut führt zu einer vermehrten Produktion von VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor, Wachstumsfaktoren), die eine Gefäßneubildung in der Netzhaut mit der Folge der proliferativen Retinopathie verursacht. Unbehandelt sprießen die neu gebildeten Gefäße in den Glaskörper ein und führen zu einer proliferativen Vitreoretinopathie und ohne Behandlung im Endeffekt durch Glaskörperblutungen, Netzhautablösung und Sekundärglaukom zur Erblindung. Die etablierten Methoden der augenärztlichen Behandlung ab dem Stadium der schweren nicht-proliferativen Retinopathie sind die Laser-, ggf. auch Cryobehandlung mit dem Ziel, Teile des Netzhautgewebes durch Vernarbung auszuschalten und so die Bildung von VEGF zu vermindern. Bei der Laserbehandlung werden, je nach Befund, bis zu 3.000 Laserherde mit einer SpotGröße von 0.3-0.5 mm in mehreren Sitzungen über den gesamten Augenhintergrund unter Aussparung des hinteren Augenpols gesetzt. Führt diese Therapie nicht zum gewünschten Erfolg, muss eine operative Entfernung des Glaskörpers einschließlich der Proliferationen, eine sog. Vitrektomie, erfolgen. Auch bei schwerer nicht-proliferativer Retinopathie mit ausgeprägter ischämischer Komponente kann eine frühe Vitrektomie sinnvoll sein. Die Erholung der Netzhaut und somit des Sehvermögens kann nach dieser Operation bis zu einem Jahr dauern. Berücksichtigt man die in der Regel auf eine Vitrektomie folgende Eintrübung der Linse und die dann notwendig werdende Cataract-Operation, die man auch simultan mit der Vitrektomie durchführen kann, kann es zwei Jahre dauern, "bis das Sehen wieder richtig gut ist". Ein sog. rubeotisches Sekundärglaukom, verursacht durch Gefäßneubildungen auf der Iris und im Kammerwinkel, ist heute selten geworden.

Die diabetische Makulopathie ist Ausdruck der diabetischen Retinopathie im Bereich der Stelle des schärfsten Sehens und diese kann alle Veränderungen erleiden, die auch an der übrigen Netzhaut möglich sind. Da eine panretinale Laserbehandlung im Sinne der "Fernwirkung" eine Besserung, aber auch eine Verschlechterung eines Makulaödems zur Folge haben kann, wird meist zuerst die Makula behandelt. Aufgrund der funktionellen Bedeutung der Makula bedarf diese gesonderter Beachtung und ihrer anatomischen Struktur entsprechend gezielt differenzierter Behandlung. Bei der ischämischen Makulopathie ist keine spezielle Behandlung möglich. Eine Laserbehandlung könnte die wenigen verbliebenen zuführenden Kapillaren veröden und so zu einer weiteren Schädigung führen. Mikroaneurysmen und Leckagen der kleinen Netzhautgefäße nahe der Makula können mit dem Laser behandelt werden, ein eher diffuses Ödem der Makula wird mit intravitrealen Injektionen behandelt. Hierbei werden Medikamente mit dem Ziel der Reduktion des Ödems in den Glaskörper des Auges injiziert, aktuell sind diese Ranibzumab (Lucentis(R), Bevacizumab (Avastin(R)), VEGF-Trap (Eylea) oder ein Cortisonpräparat, wobei Triamcinolon unlängst von Dexamethason (Ozurdex(R)) abgelöst wurde. Diese Injektionen müssen je nach Befundentwicklung wiederholt werden. Bei sichtbar verdickter Glaskörpergrenzmembran, Vorliegen einer epiretinalen Gliose (Membran auf der Netzhaut) oder bei Adhärenzen des Glaskörpers an der Makula ist eine Vitrektomie angezeigt. Eine Brillenglasbestimmung bei Patienten mit Diabetes sollte nicht in einer therapeutischen Ein- oder Umstellphase, sondern erst bei stabiler Stoffwechsellage erfolgen (geschätzt: mindestens vier Wochen), da bei einer Erhöhung des Blutzuckers und damit des Glucosespiegels im Kammerwasser die Augenlinse "entquillt" und somit eine passagere Hyperopie entsteht, während beim Absinken des Glucosespiegels im Kammerwasser die Augenlinse "quillt", was zu einer passageren Myopie führt, bis sich der Glucosespiegel in Linse und Kammerwasser wieder auf gleichem Niveau befinden.

Fazit: Die gute Behandlung durch den diabetologisch tätigen Arzt, verbunden mit den Anstrengungen des sich seiner Krankheit bewussten Patienten reduziert das Risiko der Entstehung einer diabetischen Retinopathie. Regelmäßige augenärztliche Kontrollen, insbesondere des Augenhintergrundes, tragen zur Verbesserung der Prognose des Sehens und der allgemeinen Morbidität des Diabetikers bei. Bis zum Einsetzen der Pubertät braucht man keine Retinopathia diabetica zu befürchten. Neu aufgetretene Sehstörungen bei Patienten mit Diabetes sollten Anlass zu einer erneuten augenärztlichen Untersuchung sein. Für die augenärztliche Therapie der diabetischen Retinopathie stehen mehrere Verfahren zur Verfügung: Von der Laser- über die Cryobehandlung bis hin zur Vitrektomie, hinzugekommen sind die intravitrealen Injektionen zur Behandlung des diabetischen Makulaödems.

*

Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2012 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2012/201204/h12044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

*

Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt April 2012
65.‍ ‍Jahrgang, Seite 38 - 39
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.org
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2012