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UMWELT/248: Gesundheitsforschung - Es wird heiß ...    Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann im Gespräch (Securvital)


Securvital 2/22, April - Juni 2022
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Gesundheitsforschung: Es wird heiß

Der Klimawandel beeinflusst nicht nur unsere Umwelt. Er führt auch jetzt schon zu gesundheitlichen Belastungen.

Astrid Froese sprach mit der Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann



Porträt von Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann - Foto: © 2021 by Anatoli Oskin, Universität Augsburg

Prof. Dr. Traidl-Hoffmann ist Direktorin der Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg. Sie erforscht die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit und zeigt Wege auf, wie sich Menschen an die neuen Bedingungen anpassen können.
Foto: © 2021 by Anatoli Oskin, Universität Augsburg

Securvital: Als Umweltmedizinerin erforschen Sie die Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit. Wie wirken sich die Veränderungen auf Allergien und Atemwegserkrankungen aus?

Claudia Traidl-Hoffmann: Da sind zwei Aspekte. Zum einen haben wir eine längere Pollensaison. Wir sehen aggressivere Pollen und auch neue Pollen, z.B. Ambrosia oder Glaskraut. Das ist der Effekt über die veränderte Pflanzenwelt auf uns. Das Zweite ist die zunehmende Umweltverschmutzung durch Schadstoffe. Diese feuern den Klimawandel mit an und wirken auf uns, indem sie unser Immunsystem für eine allergische Antwort empfänglicher machen. Für Menschen mit Atemwegserkrankungen ist darüber hinaus die zunehmende Hitze ein großer Risikofaktor.

Securvital: Wem macht die zunehmende Hitze sonst noch zu schaffen?

Traidl-Hoffmann: Ältere Menschen sind gefährdet, weil ihr Herz-Kreislauf-System belastet ist. Und weil sie verstärkt Diabetes oder geschädigte Herzkranzgefäße haben. Es trifft aber auch junge Leute. Wie einen Patienten, der bei uns in die Notaufnahme kam. Er hatte den ganzen Tag auf dem Dach gearbeitet, ohne Kopfbedeckung. Er wurde bewusstlos eingeliefert mit einer Kerntemperatur von 43 Grad und ist uns leider innerhalb von Stunden verstorben: 35 Jahre, kerngesund. Dies zeigt, dass wir Menschen Grenzen haben, was unsere Anpassungsfähigkeit betrifft. Und diese Grenzen bedeuten, dass wir den Klimawandel unbedingt abmildern müssen.

Securvital: Gibt es auch neue Krankheiten?

Traidl-Hoffmann: Ja, zum Beispiel das West-Nil-Fieber. Neu sind besonders Erkrankungen, die durch Mücken oder Zecken übertragen werden. Und dann treten auch verstärkt die auf, die wir schon haben, wie die Leishmaniose oder Chikungunya. Zudem sehen wir eine Zunahme der Borreliose und der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME).

Securvital: In welcher Form sind Kinder von diesen Veränderungen betroffen?

Traidl-Hoffmann: Kinder haben zum einen unter der vermehrten Pollenbelastung zu leiden. Es gibt neue Daten, die zeigen, dass je früher ein Kind mit starken Pollenkonzentrationen in Kontakt kommt, die Wahrscheinlichkeit steigt, dass es eine Allergie entwickelt. Asthma und Allergien nehmen bei Kindern nachweislich zu - auch durch die Umweltbelastung, durch Schadstoffe in der Luft, in der Ernährung, im Wasser. Oder durch Seifen, die unsere Hautbarriere schädigen. Zum anderen sind Kinder durch Hitze gefährdet. Im schlimmsten Fall, wenn sie im Auto gelassen werden. Oder wenn sich Schulräume zu sehr aufheizen und dadurch die Lernleistung beeinträchtigt ist. Oder durch sportliche Sommerspiele im Juli, bei denen Kinder kollabieren. Hinzu kommt, dass wir durch die höheren Durchschnittstemperaturen auch eine Zunahme von Diabetes sehen. Kurz: Unsere Kinder haben es schwerer, gesund zu altern. Ein Kind, das heute geboren wird, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit unter Hitze zu leiden haben.

Securvital: Was kann der Einzelne tun, um sich zu schützen?

Traidl-Hoffmann: Jede Person kann viel tun. Simple Maßnahmen wie an heißen Tagen viel trinken, Räume abdunkeln und keinen Sport während der Mittagshitze treiben. Auch was die Arbeit betrifft, müssen wir umdenken und zum Beispiel für manche Berufsgruppen die Arbeitszeiten ändern wie in Südeuropa. Als Allergiker kann ich meine Schleimhäute bei starkem Pollenflug durch eine FFP2-Maske und eine Brille schützen. Und ich kann versuchen, erst gar keine Allergien zu bekommen. Das ist das große Ziel meiner Forschung: die Prävention von Allergien. Wir wissen zum Beispiel, dass je diverser die Ernährung eines Kindes im ersten Lebensjahr ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind eine Allergie entwickelt. Entgegen vieler Mythen haben wir interessanterweise keine Hinweise darauf, dass langes Stillen vor Allergien schützt. Jeder Einzelne kann also etwas tun. Aber das Gesundheitssystem muss ihm auch helfen.

Securvital: Was sollten Stadtplaner künftig berücksichtigen?

Traidl-Hoffmann: Wir brauchen mehr Freiräume für Fahrräder und weniger Raum für Autos. Wir brauchen viele Parks und Grünflächen. Und wir sollten Städte so anlegen, dass Frischluft reinkommt und gleichzeitig Schutz vor Extremwetterlagen gegeben ist. Um Kenntnisse dafür zu sammeln, haben wir ein Forschungsprogramm gestartet, in dem Architekten, Geografen, Mediziner und Städteplaner mit Doktoranden zusammenarbeiten, um Städte der Zukunft zu entwerfen.

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Quelle:
Securvital 2/22, April - Juni 2022, Seite 11
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH -
Gesellschaft zur Entwicklung alternativer Versicherungskonzepte
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 9. April 2022

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