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ONKOLOGIE/1324: Forschung - Gehirntumoren in den Tod treiben (idw)


Ludwig-Maximilians-Universität München - 22.07.2012

Neurowissenschaften: Gehirntumoren in den Tod treiben



Stammzellen im Gehirn können entarten und Krebs auslösen. Das junge Gehirn scheinen sie aber vor bestimmten Tumorarten zu bewahren, indem sie die Krebszellen abtöten. Dies könnte therapeutisch genutzt werden - auch bei älteren Patienten.

Bei einer durchschnittlichen Überlebenszeit von wenigen Monaten nach der Diagnose ist das Glioblastoma multiforme eine der bösartigsten Krebserkrankungen des Menschen. Es ist ein Vertreter von Gehirntumoren,die wohl aus genetisch mutierten Stammzellen des Gehirns hervorgehen - und bislang auch durch eine operative Entfernung, eine Strahlenbehandlung,eine Chemotherapie oder eine Kombination dieser Maßnahmen kaum geheilt werden können.

Diese primären Gehirntumoren oder Astrozytome treten vor allem bei älteren Menschen auf, während junge Patienten sehr selten betroffen sind. "Dabei nimmt auch die Aktivität und Anzahl der neuralen, also gehirneigenen Stammzellen vom Jugendalter an stark ab", sagt der LMU-Biologe Professor Rainer Glaß. "Das bedeutet, dass eine stammzellbasierte Erkrankung wie das primäre Glioblastom just dann auftritt, wenn im zentralen Nervensystem kaum mehr Stammzellen vorhanden sind."

Tödlicher Stress für die Tumorzellen

Glaß ging, während seiner Zeit am Max Delbrück Centrum in Berlin, diesem scheinbaren Widerspruch nach und konnte zeigen, dass die zahlreichen neuralen Stammzellen im jungen Gehirn die Krebszellen sogar aktiv unterdrücken - und das junge Gehirn wohl vor den aggressiven Tumoren schützen. "Die Stammzellen nähern sich den Tumorzellen ganz gezielt", sagt Glaß. "Dann sekretieren sie unter anderem Faktoren, die bei den Glioblastomzellen direkt den stressbedingten Zelltod auslösen."

Das Team, zu dem Kristin Stock, Michael Synowitz, Vincenzo Di Marzo und Helmut Kettenmann gehören, konnten diese Faktoren identifizieren: Es handelt sich um eine Gruppe bioaktiver Lipide, die Endovanilloide. Diese Moleküle lagern sich am sogenannten TRPV1-Rezeptor an, der auf der Oberfläche der Tumorzellen sehr viel zahlreicher vertreten ist als auf gesunden Gliazellen. Damit docken die Endovanilloide bevorzugt an Krebszellen an,die dann durch die Aktivierung des Rezeptors in den Zelltod getrieben werden.

Erfolg im Tiermodell

Das ältere Gehirn verfügt über entsprechend weniger neurale Stammzellen - und verliert damit auch den Schutz vor Tumorzellen. "Diese Schutzwirkung ließe sich möglicherweise aber mit Hilfe synthetischer Vanilloide und anderer Moleküle, die den TRPV1-Rezeptor aktivieren,wiederherstellen", sagt Glaß. "Im Tiermodell war der TRPV1 Aktivator Arvanil therapeutisch wirksam. Für den Einsatz am Menschen müssen aber andere TRPV1-Aktivatoren entwickelt werden, da der Mensch Arvanil nicht verträgt."

Glaß und sein Team werden die Wirksamkeit der synthetischen Vanilloide in nachfolgenden Studien im Detail untersuchen. Glaß leitet seit Herbst 2011die Neurochirurgische Forschung am Klinikum München, wo er einige der Untersuchungen zur aktuellen Studie - einige Arbeiten am Mausmodell - durchführte. Der größte Teil der Experimente aber stammt noch aus den Arbeiten, die in der Zeit davor am Max-Delbrück-Zentrum (MDC) in Berlin erfolgten. (suwe)


Publikation:
Neural precursor cells induce cell death of high-grade astrocytomas via stimulation of TRPV1 Kristin
Stock et.al.
Nature Medicine online, 22. Juli 2012
Doi 10.1038/nm.2827


Ansprechpartner:

Prof. Dr. Rainer Glaß
Leiter der Neurochirurgischen Forschung
Klinik der Universität München
Marchioninistr. 15, 81377 München
E-Mail: Rainer.Glass@med.uni-muenchen.de

Prof. Helmut Kettenmann
Max Delbrück Center, Berlin
Cellular Neuroscience Group
kettenmann@mdc-berlin.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution114

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Ludwig-Maximilians-Universität München, Luise Dirscherl, 22.07.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2012