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REZENSION/035: "Viel Gutes erwartet uns" - Dokumentarfilm über alternative Tierhaltung (SB)


Tierliebe und Tierverbrauch - Widersprüchliches ästhetisch serviert





Der Landwirt Niels Stokholm und der Chef des Kopenhagener Restaurants NOMA stehen vor einem laut grunzenden Schwein, das sich in seinem Freigehege offensichtlich wohlfühlt. Zwischen den beiden Männern entspinnt sich ein trotz aller Beiläufigkeit vielsagendes Gespräch über die sich ihren Augen darbietende kulinarische Köstlichkeit: "Das Schwein, das wir Ihnen vor zwei Wochen geliefert haben, war sogar noch etwas größer als dieses hier." "Es war fantastisch. Wir hatten ein großes Dinner für die Belegschaft. Es war alles aufgeschnitten, und 60 bis 70 Personen haben davon gegessen." "Ja, es gibt hier sehr viel Fleisch. Aber ich möchte hier nicht darüber reden." "Dieses hier sieht köstlich aus. Es ist fantastisch."

Ob das Schwein, das der Tierzüchter seinem Kunden präsentiert, der ein Restaurant repräsentiert, dem dank der Produkte des im Norden Kopenhagens gelegenen Hofes Thorshøjgaard eine hochrangige Auszeichnung zuerkannt wurde, versteht, daß gerade über seinen absehbaren Tod verhandelt wird, kann der Zuschauer nicht wissen. Er ahnt jedoch schon aufgrund des Unbehagens, das sich bei dem Landwirt während dieses kurzen Wortwechsels einstellt, daß dessen Tierliebe nicht so ungeteilt ist, wie ihre breiten Raum einnehmende Darstellung vermuten läßt. Der Film "Viel Gutes erwartet uns" verfolgt die Spur der in dieser Szene angelegten Frage jedoch nicht weiter, sondern widmet sich ganz der vermeintlichen Idylle eines Landwirtschaftsbetriebes, der als einziger Hof in Dänemark an der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise ausgerichtet ist.

Die Regisseurin Phie Ambo legt mit diesem Dokumentarfilm eine Arbeit vor, die am Beispiel dieses dänischen Hofes für eine die Natur schonende und ihre inneren Wirkverhältnisse nutzende Landwirtschaft plädiert. Dabei setzt sie ganz auf die Ausstrahlung ihres fast 80jährigen Protagonisten. Während der Arbeit spricht Niels Stokholm ausgiebig über den kosmischen Einfluß auf das Wachstum von Pflanze und Tier, über den Kreislauf von Werden und Vergehen und andere Prinzipien aus dem Fundus anthroposophischer Weltanschauung. Daß die darauf basierende biologisch-dynamische Wirtschaftsweise im Bereich ökologisch bewirtschafteter Biohöfe eine Sonderstellung einnimmt und worin diese besteht, erfährt das Publikum ebensowenig, wie es über die in der Bundesrepublik verbreitete Kritik an den Lehren des Anthroposophie-Begründers Rudolf Steiner als eine Form des magisch-okkulten Denkens aufgeklärt wird.

Statt dessen wird Bauer Niels Stokholm als eine Art Naturweiser dargestellt, der allerlei geheimnisvolle Zusammenhänge zwischen den Gestirnen und der Erde, Licht und Wachstum, Mensch und Tier zum besten gibt. Das mit den elegischen Klängen einer sakral anmutenden Chormusik unterlegte und durch Großaufnahmen von Insekten und Pflanzen in die Perspektive noch erhaltener Artenvielfalt gesetzte Idyll seines Hofes, den er zusammen mit seiner Frau Rita und freiwilligen Hilfskräften betreibt, ist allerdings in seinem Bestand durch staatliche Kontrollmaßnahmen gefährdet. Die Beamtinnen, die zu einer unangemeldeten Visite erscheinen, monieren vor allem, daß die Rinder des Hofes während der Zeit, die sie im Stall und nicht auf der Weide verbringen, angebunden werden und keinen permanenten Zugang zu Trinkwasser haben. Dem hält der Bauer entgegen, daß sich die Kühe im Stall aufgrund der bei ihnen nicht erfolgten Enthornung beim Streit um die Nahrung verletzen könnten und daß die einmalige Tränkung artgerechter sei als die ständige Bereitstellung von Wasser.

Auch wenn eine Diskussion der Vor- und Nachteile der Anbindehaltung, Enthornung und Wasserversorgung der Rinder den Rahmen einer Filmdokumentation sprengen könnte, so wird in diesem Fall auf so oberflächliche Weise Partei für diese alternative Form der Tierhaltung ergriffen, daß der Erkenntnisgewinn für das Publikum gering bleiben muß. Zwar wird das dauerhafte Anbinden von Tieren im Stall auch in der Bundesrepublik erst ab 2020 vollständig verboten sein, aber es gibt einen breiten Konsens darüber, daß es sich dabei um eine tierquälerische Maßnahme handelt, die durch Laufställe überflüssig gemacht werden sollte. Daß die in der biologisch-dynamischen Tierhaltung untersagte Enthornung notwendigerweise zu Verletzungen führt, wenn die Rinder nicht angebunden sind, ist selbst unter deren Fürsprechern umstritten.

Es ist jedoch leicht nachvollziehbar, daß die sogenannten Nutztieren auferlegte Enge des Stalls der wesentliche Grund für dieses Problem ist. Ihre Ausbeutung zur Fleisch- und Milchproduktion kann mehr oder weniger grausam vonstatten gehen, sie ist aber immer damit verbunden, das Tier dem Willen des Menschen zu unterwerfen. Kein leidensfähiges Lebewesen läßt sich gerne einsperren oder gar töten, das sollte auch Menschen klar sein, die sich gegen Massentierhaltung aussprechen, aber auf Tierprodukte nicht verzichten wollen.

Zweifellos gibt es begründete Kritik an der Art und Weise, wie der Staat in die Belange von Landwirten eingreift. Es werden jedoch immer wieder Fälle schlimmster Tierquälerei auch in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft bekannt, so daß so lange Handlungsbedarf besteht, wie die Ausbeutung der Tiere für eine maßgebliche Voraussetzung menschlicher Ernährung gehalten wird. Da sich der dramatische Spannungsbogen in dieser insgesamt beschaulichen Dokumentation lediglich auf die Frage zuspitzt, ob die dänischen Aufsichtsbehörden vor Gericht über den dort vorgeladenen Landwirt obsiegen und er die Tierhaltung aufgeben muß, bleibt dem dieser Praktiken unkundigen Zuschauer kaum eine andere Sicht auf Niels Stokholm als die eines auf ungerechte Weise verfolgten Rebellen.

Wer diesen Film nicht aus der Perspektive eines Menschen sieht, dem das Aufziehen und Schlachten sogenannter Nutztiere kein selbstredender Bestandteil eigener Lebenssicherung ist, kann über die Unbedarftheit, mit der die Regisseurin über die seit längerem ins Bewußtsein vieler sogenannter Verbraucherinnen und Verbraucher vorgedrungene Frage des Tierverbrauchs hinweggeht, nur staunen. So werden Bäuerin und Bauer als Menschen mit ausgesprochen großer Tierliebe in Szene gesetzt, ohne daß der sich aufdrängende Verdacht, daß diese Zuneigung vor allem durch den Magen geht, ausgeräumt werden könnte.

Die ausführlichen Gespräche mit einem anderen erfolgreichen Kopenhagener Gastronomen lassen erkennen, daß die in leuchtenden Farben gezeichnete Empathie des Landwirtes nicht minder ökonomisch bedingt ist, als sie von einer Empfindsamkeit der Kontaktaufnahme mit seinen Tieren getragen ist, die nicht nur aus seiner Sicht echt und überzeugend wirkt. So schwärmt der Restaurantbetreiber, der Hof Thorshøjgaard mit Hilfe einer Stiftung finanziell unterstützen will, über die dort hergestellten Produkte und weiß sie auf einem ökologisch inspirierten Staatsbankett zu präsentieren, auf dem die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt eine Rede über die Notwendigkeit Grünen Wachstums hält. Auf diesem durch Grasmatten auf den Tischen und Kohlpflanzen in Blumentöpfen angeblich klimaschonenden Dinner reüssiert eine internationale Prominenz, die erstklassige Nahrungsmittel ebenso zu schätzen weiß wie die Geldbörse, die deren Konsum ermöglicht.

Auch wenn nicht explizit behauptet wird, daß die biologisch-dynamische Fleischproduktion eine universale Lösung für die ökologischen Probleme sein könnte, die aus dem anwachsenden Verbrauch tierischer Nahrungsmittel erwachsen, so legt ihre Idealisierung dies jedoch nahe. Schon der für diese Wirtschaftsweise anfallende Arbeitsaufwand und Flächenverbrauch sprechen jedoch dafür, daß der globale Fleisch-, Milch- und Eierkonsum beim heutigen Verbrauchsstand, dem der permanente Hunger von einer Milliarde Menschen gegenübersteht, ohne die brutale Effizienz der Massentierhaltung nicht mehr zu gewährleisten ist. Demgegenüber zu propagieren, sehr viel weniger oder gar keine Tierprodukte zu konsumieren, wird in dem Film nicht einmal in einer randläufigen Bemerkung versucht.

Das scheint die in starken Bildern zelebrierte Tierliebe des dänischen Landwirtes denn auch so unglaubwürdig zu machen wie in jedem anderen Fall, in dem ethisch korrektes Schlachten propagiert wird, anstatt schlicht einzugestehen, daß das Töten von Tieren wie der Verbrauch von Milch und Eiern im Rahmen eines räuberischen Verhältnisses erfolgen. Zweifellos wäre letzteres nüchterner, doch auch weniger attraktiv für den Handel mit einer Ware, die aus der physischen Substanz anderer Lebewesen erwirtschaftet wird. Für Menschen, die sich mit dieser Problematik auseinandergesetzt haben, werden alle noch so ehrfurchtgebietenden Weisheiten durch das schlichte Brauch- und Nutzinteresse desjenigen, der sich ihrer bedient, um die Fortsetzung des Blutflusses in mystische Dimensionen zu entrücken, widerlegt.

Die große Bedeutung, die die Aufzucht, die Haltung und das Schlachten der Rinder und Schweine auf Hof Thorshøjgaard hat, erschließt sich nicht nur aus dem allgemeinen Interesse am Tierverbrauch. Für die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise ist die Haltung von Wiederkäuern im Unterschied zu anderen Formen des in Westeuropa betriebenen ökologischen Landbaus unverzichtbar. Wer sie betreibt, für den kann sich die Frage, ob ein noch so tief empfundenes Mitgefühl mit dem Tier nicht im Ende allen Schlachtens münden sollte, nur dann stellen, wenn er nicht mehr nach der Doktrin Rudolf Steiners verfährt.

So bleibt der euphemistische Umgang der Regisseurin Phie Ambo mit dieser Frage auf der Strecke einer Symbolsprache, die an die zerstörerischen Umstände erinnert, unter denen die Wahrheit des Kosmos beschwörende Ideologien häufig am besten gedeihen. Schlußendlich wird das gründlich umschiffte Thema des Schlachtens doch noch durch das im Boden versickernde Blut der auf dem Hof geschlachteten Tiere ins Bild gesetzt. Die Idee, daß auch dies zur organischen Einheit der biologisch-dynamischen Kreislaufwirtschaft gehöre, weil die im Blut wirkenden Kräfte in den Boden übergingen und daraus um so fruchtbareres neues Leben erwachse, will vom Schmerz der jeweils betroffenen Kreatur nichts wissen. Was sich in modernen Systemtheorien, wo das Leben in selbstregulativen Kreisläufen fortgeschrieben und alles einem permanenten Formwandel unterzogen wird, in abstrakter Form wiederfindet, hat vor allem den Zweck, die zentrale Bedeutung des Schmerzes zu negieren, um sich desto bedenkenloser von ihm nähren zu können.


Fußnote:

Zur Debatte über bäuerliche Tierhaltung und ethisches Schlachten im Schattenblich siehe auch:
INTERVIEW/028: Nutztier, Mensch und Lebensraum - Schritt für Schritt aufs Ganze gehen ...    Jan Gerdes und Karin Mück im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trin0028.html

Viel Gutes erwartet uns
(engl. Titel: Good Things Await)
Ein Dokumentarfilm von Phie Ambo
Dänemark 2014
Orignal mit deutschen Untertiteln
93 Minuten
Verleih: Mindjazz Pictures
Kinostart: 19. März 2015


20. Januar 2015


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