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REZENSION/006: Marlon Brando - "Die letzten Tage einer Legende" (SB)


"Die letzten Tage einer Legende - Marlon Brando"


Ein Film von Jean-François Delassus, Sunset Presse Productions, Frankreich (2007)

Deutsche Erstausstrahlung am Montag, 14. Juli 2008, PHOENIX, 22.15 Uhr


Die letzten Tage einer Filmlegende - Geschmackloses Highlight bei PHOENIX

Marlon Brando, richtungsweisender Pionier auf dem Gebiet des Method Acting von Stella Adler und Lee Strasberg, dem "Inbegriff einer Revolution der Darstellungskunst vor der Kamera"(1), prägte als Johnny im Rockerdrama DER WILDE von Lázló Benedek (O: THE WILD ONE, USA 1952) das Outlaw-Image für Generationen und wurde in der Rolle des jungen Hafenarbeiters Terry Malloy in DIE FAUST IM NACKEN von Elia Kazan (O: ON THE WATER FRONT, USA 1954) - noch vor James Dean und Elvis Presley - für das weibliche wie auch männliche Publikum zur Symbolfigur jugendlicher Rebellion. Nach mehreren Flops in den 60ern schaffte er in den 70er Jahren mit der überragenden Darstellung des Don Corleone im Mafia-Epos DER PATE (USA 1972) von Francis Ford Coppola sein Comeback in die Filmwelt und ging auch mit seinem knapp dreiminütigen Auftritt als vom Krieg besessener Colonel Kurtz im Vietnamfilm APOCALYPSE NOW (R: Francis Ford Coppola, USA 1979) in die Filmgeschichte ein. Brando, der seit längerem an Lungenfibrose erkrankt war, starb am 1. Juli 2004 mit 80 Jahren in Los Angeles unter mysteriösen Umständen.

Marlon Brando ist die erste Persönlichkeit der Zeitgeschichte, die in der sechsteiligen Reihe "Die letzten Tage einer Legende", die PHOENIX ab dem 14.07.2008 als Free TV-Premiere fortsetzt, vorgestellt wird. Der Sender kündigt die "spannenden 60-Minuten-Porträts" aus französischer Produktion in seiner Pressemitteilung als "Programm-Highlight" an. "Die außergewöhnlichen Dokumentationen lassen die Zuschauer die letzten dramatischen und tragischen Momente vor dem Tode dieser berühmten Persönlichkeiten miterleben", heißt es weiter. Außerdem werde "die Wahrheit" darüber enthüllt, warum das Leben der Stars "innerhalb weniger Sekunden so dramatisch endete"(2)...

Das Konzept der Reihe lässt ahnen, dass sich die Sendung nicht so sehr um die künstlerischen Leistungen der Schauspielerlegende dreht, als vielmehr um Einzelheiten aus dem Leben des Privatmannes Brando. So ist auch keine Darstellung der film- und zeitgeschichtlichen Bedeutung des Ausnahmeschauspielers zu erwarten, der durch seinen Ausbruch aus dem beklemmenden Lebensgefühl der "silent generation" der 50er Jahre zum Idol wurde.

Die oft zu schnell geschnittenen und vom Informationsgehalt her meist unbefriedigenden Ausschnitte aus Interviews mit zwei der drei Ex-Ehefrauen, mehreren Freunden und mehr oder weniger engen Mitarbeitern Brandos scheinen allein in Hinsicht auf brisante Anekdoten aus der Intimsphäre des Stars gewählt worden zu sein. Leider fehlen im englischsprachigen Presse-Rezensionsexemplar der Dokumentation die üblichen Einblendungen von Namen und Funktionen der im Bild gezeigten Personen, so dass sich der Zuschauer selbst herleiten muss, in welcher Beziehung die Sprechenden zu Brando standen. Darüber hinaus drängen der zynisch-sarkastische Kommentar und die ironisierende, von Trauermusik untermalte Montage dem interessierten Publikum unter dem Aspekt "schwere Kindheit" das Bild eines soziopathischen und zu konstruktiver Zusammenarbeit unfähigen Despoten auf, der seine Frauen und Kinder ins Unglück stürzte und aufgrund seiner gespaltenen Persönlichkeit kurz vor seinem Tode nur noch als Schauspieler ansprechbar war.

Die Dokumentation beginnt geschmackloserweise mit einer subjektiven Kamera. Der Zuschauer sieht wie durch die Augen von Marlon Brando selbst, der im Schlafzimmer seiner Villa liegt. Er blickt über einen runden Bauch, hinter dem von einer hellen Decke zugedeckte Beine zu sehen sind, auf eine breite Fensterfront, in die bisweilen stümperhaft Interviewteile und Bilder von Personen aus Brandos Leben montiert sind. Zu hören sind die Geräusche eines Beatmungsgerätes und sogar ein leicht zitternder Sauerstoffschlauch fehlt nicht... Durch solche "unterhaltsamen" filmischen Kunstgriffe wird versucht, die Zurückgezogenheit des Stars zu demontieren, der sich bereits als junger Schauspieler von der Hollywood-Öffentlichkeit distanziert hatte.

Spätestens durch die Darstellung der schrecklichen Tragödie in Brandos engstem Familienkreis - sein Sohn ermordete den gewalttätigen Verlobten seiner Halbschwester Cheyenne, die sich einige Jahre später selbst erhängte - wird deutlich, dass die Macher der Dokumentation kaum das Ziel verfolgen, dem im Hollywood-Zirkus völlig vereinsamten Menschen Brando näher zu kommen, als vielmehr dem ohnehin skandalumwitterten und eher fiktiven, öffentlichen Bild des alternden Stars Nahrung zu geben. Der Regisseur Jean-François Delassus, der die Sendung 2007 fertig stellte, beleuchtet so hauptsächlich Brandos Schicksalsschläge und wertet seine bahnbrechenden schauspielerischen Errungenschaften, wie auch seinen Einsatz für die Black Panther Party in den 60er Jahren und seine Arbeit für das American Indian Movement stets durch die negative Darstellung von Brandos Privatleben ab. Das letzte von Digitalfilmer und Freund Scott Billups geführte Interview mit Marlon Brando, in dem er sich seine schwere Krankheit nicht anmerken lässt und das für die Zuschauer als Dokument seiner letzten Tage von höchstem Interesse sein dürfte, wird dagegen nicht gezeigt, sondern nur als Beispiel für Brandos Blendertum angeführt.

Kommentare wie "Marlon Brando hat ohne Zweifel mehr Frauen erobert als Don Juan und Casanova zusammen. Möglicherweise dachte er am Ende seiner Tage an die vielen Schauspielerinnen und Mätressen, die auf seine Verführungskünste hereingefallen waren" (3), "Brando kümmerte sich so wenig um sein Aussehen, dass er seiner Unersättlichkeit nachgab, und so mutierte er von einem griechischen Gott in ein Ungeheuer, sein Gewicht erreichte 170 Kilo" (4) oder "Sein abgeschiedenes Haus war von Bambus umgeben und wurde von allen nur vorstellbaren technischen Geräten und Sicherheitsvorrichtungen geschützt. Brando, von Natur aus faul, verbrachte die meiste Zeit im Bett, wo er jeden sehen und hören konnte, der sich vorbeiwagte." [Übersetzung der Schattenblick-Redaktion](5), belegen die Intention des Filmemachers. Die einseitige Berichterstattung überblendet so auch die von einigen Zeitzeugen gewährten seriösen und durchaus zugewandten Einblicke, die Brandos sanften und verletzlichen Charakterzüge andeuten.

Marlon Brandos Tod kam überraschend. Es gibt widersprüchliche Angaben zu seinem Todesort. Offiziell ist er im Kreise von Familienangehörigen in einem Krankenhaus in L.A. an den Folgen seiner Lungenfibrose gestorben. Die Dokumentation, wie auch andere Presseberichte, geht davon aus, dass er vereinsamt in seinem Haus in den Hollywood Hills zu Tode gekommen ist und es wird spekuliert, er sei von "neuen Freunden" unter Drogen gesetzt worden. Die testamentarische Rechtslage ist bis heute umstritten.

Marlon Brandos skandalträchtiges und höchst tragisches Privatleben ist jahrzehntelang öffentlich ausgeschlachtet worden. Sicher ist, dass in dieser Dokumentation dem Publikum jüngerer Generationen verborgen bleibt, warum Marlon Brando zur Legende geworden ist. Seine Bedeutung in der Rolle des Johnny in DER WILDE, die weltweit als Initialzündung für ein neues subkulturelles Lebensgefühl der Jugendlichen der 50er Jahre und darüber hinaus gelten kann, läßt sich nicht auf die Mode enge Bluejeans, weißes Muskelhemd, Lederjacke, Schiebermütze und Motorrad reduzieren. Dass er mit seiner Körperlichkeit, die auf der Leinwand ihresgleichen sucht, und seiner darstellerischen Emotionalität "Männlichkeit" als solche neu zu definieren half und nicht nur in den 50er Jahren den Träumen und Ängsten seiner Zuschauer ein rebellisches Gesicht verlieh, wird nicht genügend gewürdigt, die Dokumentation wird Brandos zeitgeschichtlichen Bedeutung nicht gerecht.


Anmerkungen:

(1) Koebner, Thomas (Hg.): Reclams Sachlexikon des Films. Reclam, Stuttgart 2002. Artikel "Actors Studio", S. 17.

(2) Schreiben der Presseerklärung von PHOENIX vom 29. Mai 2008.

(3) "Marlon Brando no doubt conquered more women than Don Juan and Casanova put together. As the end approached perhaps he reflected on the many actresses and mistresses, who fell for his seductive power." DIE LETZTEN TAGE EINER LEGENDE (R: Jean-François Delassus, F 2007), ca. 13. Minute.

(4) "Brando cared so little about his image that he ceded to his voracious appetite, and his Greek-God-looks were transformed to that of an ogre, his weight reached 170 kilos." DIE LETZTEN TAGE EINER LEGENDE (R: Jean-François Delassus, F 2007), ca. 26. Minute.

(5) "His secluded house was surrounded by bamboo and guarded by every imaginable security device and gadget. Brando spent most of the time in bed, being lazy by nature, where he could watch and listen to any one who dared to pass by." DIE LETZTEN TAGE EINER LEGENDE (R: Jean-François Delassus, F 2007), ca. 26. Minute.


18. Juni 2008