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PRESSE/170: Stadtmagazine Tip und Zitty erscheinen jetzt im selben Verlag (M - ver.di)


M - Menschen Machen Medien Nr. 3/April 2014
Medienpolitische ver.di-Zeitschrift

Vom Trendsetter zum Auslaufmodell?
Stadtmagazine Tip und Zitty erscheinen jetzt im selben Verlag

Von Günter Herkel



Der Markt für Stadtmagazine schwächelt. Die Konkurrenz durch das Internet macht den einstigen Szeneprodukten zu schaffen. Noch trifft es nicht alle so hart wie Prinz, das Ende 2012 eingestellt wurde. In Berlin übernahm jetzt der Raufeld Verlag ein halbes Jahr nach dem Tip auch den zweiten Platzhirsch Zitty.


Die Blütezeit der Stadtillustrierten liegt schon eine Weile zurück. Anfang der 80er Jahre verkaufte zum Beispiel das Berliner Magazin Tip zweiwöchentlich rund 100.000 Exemplare. Mit Geschichten über die vermeintliche Krise des deutschen Films, oder auch mit einer Aufklärungskampagne zu Aids. "Gerade in Berlin war das 'ne wirkliche Gegenöffentlichkeit zu den etablierten Tageszeitungen", erinnert sich Alfred Holighaus, von 1986 bis 1995 Tip-Chefredakteur und heute Geschäftsführer der Deutschen Filmakademie. "Eine solche publizistische Alternative sind diese Magazine heute nicht mehr." Mittlerweile ist die Verkaufsauflage des Tip auf gut 28.000 zusammengeschnurrt.

Ende der 80er Jahre, unmittelbar nach dem Mauerfall, entdeckten Großverlage den Marktwert der Stadtmagazine. Der Hamburger Jahreszeitenverlag übernahm Prinz, der Berliner Verlag kaufte den Tip, der "Tagesspiegel"-Verlag Holtzbrinck verleibte sich den Lokalkonkurrenten Zitty ein. Mit dem Einsetzen des Internet-Zeitalters begann der Ausverkauf. Mit der Aktualität des Netzes können die in der Regel 14täglich bis monatlich erscheinenden Magazine schwerlich mithalten. Gerade die Hauptzielgruppe der jungen Nutzer bedient sich zur Freizeitplanung mehr und mehr digitaler und mobiler Medien.

Auch die früher als "bürgerlich" denunzierten Medien haben sich verändert, die Tages- und Wochenzeitungen sind frecher und kritischer geworden. Auch die Feuilletons von Zeit, Süddeutscher Zeitung und Frankfurter Allgemeiner Zeitung widmen sich subkulturellen Themen. Viele Stadtillus dagegen wurden längst vom Mainstream aufgesogen. Prominentestes Opfer der neuen Zeit war vor anderthalb Jahren Prinz, der Monatstitel des Hamburger Jahreszeiten-Verlags. Als bundesweites Magazin erschien der Titel mit zehn Regionalausgaben in den wichtigsten Großstädten.

Selbst die Berliner Zitty blieb von dieser Entwicklung nicht unberührt. Früher galt das Blatt als Leib-und-Magen-Lektüre, teilweise sogar als Sprachrohr der linksalternativen Szene. Doch dieses Milieu gibt es so nicht mehr. Mit der Auflösung linker Gewissheiten sank auch die Zitty-Auflage, zuletzt auf noch rund 26.000 verkaufte Exemplare. Die Macher reagierten darauf mit anspruchsvollerer Ästhetik und journalistischerem Herangehen. Zum Beispiel mit Geschichten wie: "Was heißt hier links?", in denen versucht wurde, das Lebensgefühl der Hauptstadt zwischen Hausbesetzern, Häuslebauern und bürgerlichen Occupy-Aktivisten zu ergründen. Genützt hat es offenbar wenig. Seit dem 1. April erscheint das Blatt im Raufeld Verlag, einem Unternehmen, das sich mit der Redaktion und Herstellung von Sonderseiten und Kulturbeilagen für deutsche Zeitungen einen Namen gemacht hat. Außerdem realisiert der Verlag im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung die "Drehscheibe", ein Serviceorgan für Lokaljournalisten.

Man werde die beiden Marken Zitty und Tip "auch künftig als eigenständige Titel weiterführen", versichert Raufeld-Geschäftsführer Jens Lohwieser. Einstweilen müssten die 40 bisherigen Zitty-Mitarbeiter nicht um ihre Jobs fürchten. Ziel sei es, "die Titel redaktionell deutlicher zu profilieren und gleichzeitig die Vermarktung durch einen gemeinsamen Auftritt zu stärken". Eine stärkere Profilierung könnte nicht schaden: Im März brachten beide Magazine nahezu zeitgleich Titel über "Die neue Lust am Fahrrad" (Tip) bzw. "Rauf aufs Rad" an die Kioske. Diese Duplizität soll künftig nicht mehr vorkommen, versichert Lohwieser. Zitty werde wieder "verstärkt an seine traditionelle Rolle als kritisches, politisches Stadtmagazin anknüpfen" - noch lokaler, noch härter an den großen gesellschaftspolitischen Debatten der Stadt entlang. Der Tip wiederum werde schwerpunktmäßig sein Profil als Berliner Kulturmagazin schärfen, angereichert mit gewohnt starkem Servicecharakter.

Entscheidend für das künftige Schicksal der Stadtmagazine dürften Erfolg oder Misserfolg ihrer jeweiligen Online-Strategie sein. Die meisten Blätter haben es versäumt, einen zeitgemäßen Internetauftritt hinzulegen. Lohwieser kann sich vorstellen, die Veranstaltungshinweise sukzessive aus dem Heft ins Netz zu verlagern. Im Heft dagegen will er mehr journalistische Geschichten platzieren. Der bisherige Vollständigkeitsanspruch im Programmteil werde in den Heften tendenziell aufgegeben - im digitalen Zeitalter gehören Termine in den Online-Auftritt, servicegerecht verstärkt durch mobile Apps. Also: Raus mit den Listings, stattdessen mehr redaktionelle Empfehlungen für die Leser. Überlebenshilfe könnte auch eine Strategie der "line extension" leisten, durch Pflege der Marke. Zum Printprodukt gesellen sich bei Tip und Zitty längst Webauftritt, Apps sowie Sonderhefte über regionale Gastronomie- und Tourismusangebote. Ob diese Strategie ausreicht, um das Genre zu retten, muss die Zukunft weisen.

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Quelle:
M - Menschen Machen Medien Nr. 3/April 2014, S. 27
Medienpolitische ver.di-Zeitschrift, 63. Jahrgang
Herausgeber:
ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Fachbereich 8 (Medien, Kunst, Industrie)
Bundesvorstand: Frank Bsirske/Frank Werneke
Redaktion: Karin Wenk
Anschrift: verdi.Bundesverwaltung, Redaktion M
Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin
Telefon: 030 / 69 56 23 26, Fax: 030 / 69 56 36 76
E-Mail: karin.wenk@verdi.de
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"M - Menschen Machen Medien" erscheint neun Mal im Jahr.

Jahresabonnement: 36,- Euro einschließlich Versandkosten


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2014