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BERICHT/120: Medienaktivitäten in kolumbianischer Frauenbasisarbeit (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 103, 1/08

"Einen Sarg für deine Zunge!"
Über die Herausforderungen von Medienaktivitäten in der kolumbianischen Frauenbasisarbeit
Interview mit Maria Jackeline Rojas Castañeda

Von Helga Neumayer


Anfang November 2007 befand sich die leitende kolumbianische OFP-Aktivistin(1) Maria Jackeline Rojas Castañeda zu einer Rundreise für die Kampagne "1 Million Freundinnen und Freunde der OFP"(2) in Österreich. Helga Neumayer sprach bei dieser Gelegenheit mit ihr über die erfolgreichen, aber schwierigen Medienaktivitäten der Organisation.


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Seit 1972 ist die Frauenbasisorganisation OFP (Organización Femenina Popular) in der Region Magdalena Medio in der kolumbianischen "Benzinhauptstadt" Barrancabermeja tätig. Die OFP richtet sich mit den vielfältigsten Strategien gegen den bewaffneten Konflikt zwischen Staat, Guerilla und Paramilitärs, der viele Menschenleben gekostet und das soziale Netz zersetzt hat. In diesem Krieg, in dem es um reiche Ressourcen wie Land und Bodenschätze geht, gibt es eine Unzahl binnenvertriebener Frauen, die alle Bereiche des Lebens wie Wohnen, Gesundheit, materielle Versorgung und die Einforderung von Gerechtigkeit für sich und ihre Familienangehörigen und Nächsten organisieren müssen. Ein Instrument, um an die Menschen in der Region Magdalena Medio heranzukommen und Informationen zu verbreiten, ist die Medienaktivität in Print, Funk und Fernsehen.


FRAUENSOLIDARITÄT: Wieviele Frauen sind bei der OFP aktiv und wie viele erreicht ihr mit euren Programmen?

CASTAÑEDA: In der Region Magdalena Medio, dort, wo unsere Bewegung begonnen hat, sind ca. 3.500 Aktivistinnen tätig. In Bogotá, wo wir ebenfalls zwei Büros haben, sind ca. 1.500 Frauen aktiv in die Arbeit involviert. Mit unseren Programmen und Aufrufen erreichen wir im ganzen Land ca. 150.000 Menschen, wenn wir auch die Familienangehörigen, also die Kinder und die Männer, hinzuzählen.

FRAUENSOLIDARITÄT: Mit welchen Kommunikationsmitteln und Medien arbeitet die OFP?

CASTAÑEDA: Unser wichtigstes Kommunikationsmittel ist unsere Zeitschrift 'Mujer Popular', die 'Frau aus dem Volk'. Diese Publikation nutzen wir als Werkzeug zur Bildung und zur Information für die Mitglieder. Jede Mitfrau bekommt zwei Zeitungen, eine für sich und ihre Familie und eine, um sie einer weiteren Person anzubieten. So findet die Druckschrift eine weite Verbreitung, ihre Artikel werden in den Versammlun en diskutiert, und sie informiert über die Aktivitäten der Organisation. Natürlich verteilen wir sie auch an die anderen sozialen Organisationen, damit sie im regionalen, nationalen und internationalen Rahmen gelesen wird. Und wir übergeben sie selbstverständlich auch den offiziellen lokalen und staatlichen Behörden, damit sie über unsere Tätigkeiten und unsere Dynamik informiert sind.

FRAUENSOLIDARITÄT: Wie finanziert ihr die Zeitung, wird sie gratis verteilt?

CASTAÑEDA: Prinzipiell ist sie gratis. Jene Mitglieder, die in der Lage sind, zahlen einen Unterstützungsbeitrag in der Höhe von umgerechnet weniger als einen halben Dollar. Wir suchen auch Unterstützung außerhalb der Organisation, davon hängt das Erscheinen der Druckschrift besonders ab. Ursprünglich sollte sie monatlich erscheinen, aus finanziellen Gründen erschien sie dann zweimonatlich und im Moment versuchen wir, sie alle sechs Monate erscheinen zu lassen. Mit den wenigen Mitteln ist das wirklich nicht leicht!

FRAUENSOLIDARITÄT: Die OFP war aber auch in Funk und Fernsehen aktiv ...

CASTAÑEDA: Ja, ab dem Jahr 2000 wandten wir uns auch mit Radio und Fernsehen an die Menschen. Wir sind das sehr systematisch angegangen und haben bei bestimmten Gelegenheiten sogar professionelle Beratung in Anspruch genommen. Aber eigentlich haben wir alles selbst gemacht: Wir waren die Journalistinnen, wir haben interviewt und die Drehbücher geschrieben. Ich glaube, wir haben das - mit unseren Möglichkeiten - sehr gut gemacht.

Sowohl das Radio- als auch das Fernsehprogramm hieß 'La Moana', ein weiblicher Flussgeist, der die Herzen der Menschen zum Kampf um Gleichheit und Gerechtigkeit verführt. Mit dem morgendlichen fünfminütigen Radioprogramm erreichte die Organisation seit dem Jahr 2000 von Montag bis Freitag hunderttausende Menschen in der ganzen Region um den Río Magdalena. Die Sendezeit kauften wir von einem privaten Sender.

Am Morgen haben viele Frauen Tätigkeiten im Haus zu erledigen und deshalb die Möglichkeit, Radio zu hören. So wurde unser Programm 'La Moana' sehr populär, die Arbeit der OFP wurde weithin bekannt, und die Aktivistinnen selbst empfanden eine Stärkung durch die Arbeit mit diesem Medium. Wir haben geschaut, wer von den Kolleginnen am besten passe, um die ganze Verantwortung übernehmen zu können, denn mit dem Radioprogramm wird ja die Stimme und das Gefühl einer Organisation publik.

Angelpunkt der Sendungen waren Alltäglichkeiten aus dem Leben der Frauen - eine Szene aus der Kantine, vom Feld oder vom Fischmarkt. Damit machten wir die Sensibilisierungs- und Bildungsarbeit. Zwei Kolleginnen haben das fünftägige Radioprogramm an den Wochenenden vorbereitet. Denn es ist unser Grundsatz, dass niemals eine allein an etwas arbeiten muss. So vermeiden wir Fehler, geben dem Wissen ein breiteres Feld, und fällt eine aus, so hat noch eine weitere Person das Know-how. Bei unserer Arbeit in den Gemeinden bekamen wir immer recht gute Rückmeldungen von den Frauen, die uns in der Früh gehört hatten. Bis November 2006 strahlten wir dieses Programm mit großem Erfolg aus und die Leute fragen bis heute danach.

Es gab auch ein gleichnamiges Fernsehprogramm, ein halbstündiges Magazin zu Sonntag Mittag. Inhalt waren die Arbeit der OFP und die Aktivitäten in den Gemeinden, aber auch das Aufzeigen und Anklagen von Menschenrechtsverletzungen und das Informieren über die Aktivitäten der multinationalen Konzerne und über die Strategien der Paramilitärs hinter den Kulissen.

FRAUENSOLIDARITÄT: Gab es von Seiten der Paramilitärs Angriffe auf die Moderatorinnen?

CASTAÑEDA: Die Präsentatorin des TV-Jugendprogrammes 'Cultura para la vida', Kultur für das Leben, war unsere erste Medienaktivistin, die brutalen Übergriffen der Paramilitärs ausgesetzt war. Sie wurde entführt und man verbrannte ihr die Füße mit heißem Wasser, "damit sie vom falschen Weg ablasse". Die junge Frau machte danach trotz des traumatischen Vorfalles weiter - wir alle haben sie natürlich sehr unterstützt und sie nie allein gelassen. Allerdings war sie zu diesem Zeitpunkt in einem frühen Stadium schwanger. Nachdem sie das Baby, das nervliche Schäden davongetragen hatte, zur Welt gebracht hatte, konnte sie nicht mehr weitermachen.

Auch ich erhielt als Radiopräsentatorin Drohbotschaften der Paramilitärs. Sie hinterließen bei der Radiostation die Nachricht ich möge "einen Sarg für meine Zunge und einen weiteren für meinen Körper" vorbereiten. Die Vorfälle wurden natürlich angezeigt. Wir haben danach zu dem Problem Leute ins Studio eingeladen. Denn uns ist klar, je mehr wir sichtbar machen, desto weniger allein sind wir, desto höher ist der politische Preis, den die Angreifer zu zahlen haben. Diese Strategie hat uns bis jetzt geholfen und ich hoffe, dass sie uns weiter helfen wird. Also gingen die Programme als Publikumserfolge weiter.

Das endgültige Aus für die erfolgreichen Sendungen erfolgte Ende 2006 allerdings aus finanziellen Gründen, denn der Sendeplatz musste von privaten Regionalsendern gekauft werden und es fehlte an den entsprechenden Mitteln. Seither versucht die OFP wieder Mittel für die audiovisuellen Medientätigkeiten zu finden und wir sind dabei, uns in die neu erstarkenden Community-Radios einzuklinken.

Es ist eine strategische Notwendigkeit, uns wieder medial einzumischen. Wir haben so viel Publikum gewonnen und wir selbst haben ja auch sehr viel dazu gelernt. Die Leute verlangen nach den Programmen und wir sind mit verschiedenen Sendern und Geldgebern in Verhandlung, um die Programme wieder aufleben zu lassen.

Anmerkungen:

(1) OFP: Organización Femenina Popular.

(2) Der Verein Frauensolidarität betreibt mit anderen österreichischen Frauen- und Menschenrechtsorganisationen die Solidaritätskampagne "1 Million Freundinnen und Freunde der OFP" in den eigenen Medien, im Internet und durch gezielte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Untertützungserklärungen unter www.frauensolidaritaet.org oder an Frauensolidarität, Berggasse 7, A-1090 Wien.


Hörtipps:

"Einen Sarg für deine Zunge": die kolumbianische OFP-Aktivistin Maria Jackeline Rojas Castañeda im Gespräch zu den Herausforderungen von Medienarbeit in der kolumbianischen Frauenbasisarbeit; Globale Dialoge - Women on Air vom 4. März 2008 auf Orange 94.0.
Audioarchiv unter www.noso.at

Frauen im Visier der Paramilitärs: Live-Sendung mit der kolumbianischen Menschenrechtsaktivistin Jackeline Rojas Castañeda; Globale Dialoge -Women on Air vom 13. November 2007 auf Orange 94,0.
www.noso.at

Übersetzung aus dem Spanischen: Helga Neumayer


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 103, 1/2008, S. 28-29
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-355
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Inland 20,- Euro; Ausland 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2008