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VORWÄRTS/1555: Südafrika - Die Hoffnung war gross


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 01/02 vom 17. Januar 2020

Die Hoffnung war gross

Interview mit Urs Seckinger von Siro Torresan


Solifonds hat seit seiner Gründung 1983 gegen die Apardheid gekämpft und unterstützt bis heute die Gewerkschaften in Südafrika. Ein Gespräch mit Urs Seckinger, der 29 Jahre lang für Solifonds gearbeitet hat und heute als Präsident amtet.


vorwärts:
Busi und Mondli zeichnen ein trauriges Bild von Südafrika. Was löst dies bei dir aus? Bist du auch enttäuscht?

Urs Seckinger: Ich kann die Kritik von Busi und Mondli sehr gut nachvollziehen. Der Übergang zur Demokratie in Südafrika war mit sehr viel Hoffnung verbunden und mit der Erwartung, dass es wirtschaftlich vorwärts gehen würde. Heute müssen wir festhalten, dass dies für die grosse Mehrheit der schwarzen Bevölkerung leider nicht der Fall war. Klar bin auch ich enttäuscht, dass es nicht besser geworden ist. Die Hoffnung war gross. Doch sind wir ehrlich: Wir erlebten dies mit verschiedenen Bewegungen in Afrika und Lateinamerika, die im Verlauf der Zeit in eine andere Richtung kippten als die, für die sie eigentlich zuerst gekämpft hatten. Es ist eine Erfahrung, die wir als Linke schon oft machten und wir müssen uns daher damit auseinandersetzen, warum dies so ist. Mein Mitgefühl gilt natürlich den Menschen in Südafrika, gleichzeitig frage ich mich: Machten wir hier in der Schweiz genug, um sie zu unterstützen? In der Schweiz wurde einiges nicht gemacht, was hätte getan werden müssen.


vorwärts:
Zum Beispiel?

Urs Seckinger: Die ganze Aufarbeitung der Beziehung zwischen der Schweiz und Südafrika. Wir erreichten zwar, dass es das nationale Forschungsprojekt NFP42+ gab. Untersucht wurden die wirtschaftlichen, militärischen sowie politischen Beziehungen. Doch sperrte dann der Bund sehr rasch den Zugang zu den Archiven. Dies aus Angst, dass zu viel belastendes Material für Schweizer Firmen, vor allem für die Banken, ans Tageslicht kommen würde. Die Archivsperre wurde erst vor wenigen Jahren wieder aufgehoben. Und wohlverstanden: Wir reden hier nur von den öffentlichen Archiven. Die privaten Archive der Firmen, die ja die interessanteren wären, blieben natürlich immer verschlossen. Aber trotz der Archivsperre konnten Beweise erbracht werden, dass die Beziehungen der Schweiz zum Apartheidregime sehr eng waren. Doch auch heute noch sind die Fragen der Verantwortlichkeiten, des Profits und der Wiedergutmachung offen: Die Schweiz hat lediglich einen kleinen Beitrag von zwei oder drei Millionen Franken in einen Fonds in Südafrika als Entschädigung für die Apardheidsopfer geleistet.


vorwärts:
Hat demnach die offizielle Schweiz alles dafür getan, damit die Aufarbeitung nicht stattfinden kann?

Urs Seckinger: Ja, davon bin ich überzeugt. Als das Forschungsprogramm lanciert wurde, kündigte der Bundesrat an, Stellung zu beziehen. Wir warten noch heute darauf. Es ist eine politische Verweigerung, sich der Verantwortung zu stellen. Es hätte ein Bundesbeschluss erwirkt werden können, wie bei den jüdischen Vermögen, um die Privatarchive zu öffnen. Das war ja die grosse Angst der Unternehmen, die mit dem Apartheidregime Geschäfte gemacht hatten und nicht etwa die Zahlung einer Entschädigung von ein paar Millionen. Das bürgerlich dominierte Parlament verhinderte dies alles.


vorwärts:
Wie erklärst Du dir die Entwicklung und die aktuelle Situation in Südafrika. Oder anders gefragt: Warum ist die Hoffnung auf Veränderung eine Hoffnung geblieben?

Urs Seckinger: An den wirtschaftlichen Machtstrukturen veränderte sich nichts. Das ist ein wesentlicher Punkt, der auch von Mondli im Interview unterstrichen wird. Bis heute ist die Frage des agrarischen Landbesitzes ungelöst. Grossmehrheitlich ist das Land weiterhin im Besitz von weissen Farmern, was ein real existierendes Problem ist. Auch das Industriekapital ist weiterhin in den Händen der Weissen. Das schränkt den Spielraum einer Regierung ein. Gleichzeitig ist auch zu sagen, dass viele Probleme heutzutage kaum noch auf nationaler Ebene gelöst werden können. Angenommen Südafrika hätte wirklich eine linke Regierung gehabt - was nie der Fall war, von Beginn an nicht -, die zum Beispiel Verstaatlichungen hätte durchführen wollen, wäre der Druck von aussen so massiv gewesen, dass sie wieder zurückgebunden worden wäre. Auf nationalstaatlicher Ebene kannst du heute nur noch in kleinen Schritten etwas bewegen und verwirklichen. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass mehr möglich gewesen wäre. Zum Beispiel im Wohnungssektor wurde ein grosses Hausprogramm versprochen, gebaut wurden kleine Einzimmerwohnungen, die mehr Löcher sind als Wohnungen. Hier hätte auch unter den geltenden Bedingungen mehr gemacht werden können. Diesbezüglich versagte der ANC ganz klar. Eine riesige Enttäuschung ist auch, dass ein Teil jener Leute, welche die Antiapardheitsbewegung angeführt hatten, sich quasi auf die andere Seite schlugen und nun den ANC repräsentieren, den niemand will. Der aktuelle Staatspräsident ist ein leuchtendes Beispiel dafür. Es hat sich eine kleine, schwarze Elite gebildet, die sich von der früheren, weissen Elite in nichts unterscheidet. Es ist ein Verrat an die Ideale des ANC, sie vertrat im Antiapardheitskampf eine andere Position, nämlich dass sie einen Staat für alle Schwarze schaffen wolle.


vorwärts:
Busi, Mondli und du äussern eine harte Kritik gegenüber der ANC-Regierung. Kriegte sie denn überhaupt etwas Sinnvolles hin?

Urs Seckinger: Sie gab der schwarzen Bevölkerung eine Stimme und hob die Rassengesetze auf, dies ist ganz wesentlich. Es ist eben auch eine zwiespältige Situation. Nehmen wir das Beispiel der Gewerkschaft der Haushälter*innen, die von Solifonds mehrere Jahre lang mit kleinen Beträgen unterstützt wurde. Sie setzte sich für einen Mindestlohn ein. Aktivist*innen ketteten sich dafür auch am Parlament an und sagten den schwarzen Parlamentarier*innen: Ihr beschäftigt Schwarze im Haushalt zu miserablen Löhnen, so wie es damals die Weissen taten, ändert es endlich. Sie konnten gewisse Erfolge erzielen. Ich fragte mal die Generalsekretärin für wen sie stimmt. Ihre Antwort: Für den ANC. Ich wollte wissen warum. Sie antwortete mir: Der ANC hat uns die Befreiung und die politische Partizipation gebracht.


vorwärts:
Hat man sich in der Solibewegung vor der Befreiung Gedanken gemacht, was nach der Apartheid geschehen könnte oder würde?

Urs Seckinger: Der Kampf gegen die Apartheid sowie die Involvierung der Schweizer Wirtschaft war der wesentliche Inhalt. Danach ging es um die Hilfe für die Opfer des Apartheidsregimes. Vermutlich gab man sich aber auch einem falschen Bild hin, in dem man die ganze Befreiungsbewegung als soziale Bewegung anschaute und damit verband, dass sie auch zu grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen führen würde. Es war aber viel mehr eine nationale Befreiungsbewegung, im Sinne von der Befreiung vom inneren Feind. Der ANC ist nicht einfach ein homogener Block. Es gibt viele Kräfte, die darin wirken. Man hat also die verschiedensten Flügel innerhalb des ANC. Und was sich festgesetzt hat, ist eine korrupte Bande. die den Apparat durchdrungen hat. Es wird schwierig werden, dies zu ändern.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 01/02 - 76. Jahrgang - 17. Januar 2020, S. 11
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts,
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vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2020

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