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VORWÄRTS/1517: Keine Abstriche beim Zivildienst


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 31/32 vom 4. Oktober 2019

Keine Abstriche beim Zivildienst

von Magdalena Küng


Am 17. Mai 1992 haben über 82 Prozent der Schweizer Wahlbevölkerung der Einführung des zivilen Ersatzdienstes zugestimmt. Nun hat das Parlament eine massive Verschärfung des Zugangs beschlossen. Der Bedarf nach einer Alternative zur Armee ist jedoch längst nicht obsolet.


Welche gesellschaftliche Bedeutung sich aus dem Zivildienst entwickeln würde, konnte 1992 niemand wissen. Es war nicht absehbar, dass die assistierenden Arbeiten der Zivildienstleistenden wichtige Entlastungen in den Einsatzbetrieben mit sich bringen würde. Die Erklärung für die enorm hohe Ja-Quote liegt also woanders - nämlich in der Überzeugung, dass ein ziviler Ersatzdienst zur Armee unabdingbar ist, solange die obligatorische Wehrpflicht besteht.


Faktische Abschaffung

Dass die Armee den Zivildienst einmal mehr als Sündenbock für ihre schwindende Attraktivität auserkoren hat, darf nicht weiter überraschen. Diese Haltung ist sogar bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar: Ein Grossteil der Aufgabenbereiche der Armee sind aus einer sicherheitspolitischen Perspektive zumindest fragwürdig. Dies zehrt selbstverständlich an der Motivation der Armeeangehörigen.

Diese Sinnkrise muss nun der Zivildienst ausbaden. Das Parlament hat sieben Massnahmen zugestimmt, die den Zugang zum Zivildienst auf eine Art und Weise verschärfen sollen, so dass man geradezu von einer faktischen Abschaffung des Ersatzdienstes sprechen muss. Eine der Änderungen macht dies besonders deutlich: Armeeangehörige sollen neu eine Wartefrist von zwölf Monaten erdulden, um in den Zivildienst wechseln zu können. Während diesem Jahr bleiben die Betroffenen einsatzpflichtig - trotz des mit dem Wechselgesuch explizit angenommenen Gewissenskonfliktes mit dem Militärdienst. Die höheren Hürden für einen Wechsel in den zivilen Ersatzdienst, wirft die Handhabung des Dienstzwanges zurück an die Anfänge des letztenJahrhunderts.


Lange Geschichte, wichtiger Erfolg

Der Einführung des Zivildienstes gingen jahrzehntelange Forderungen voraus. Die Botschaft des Bundesrates zum Bundesgesetz über den zivilen Ersatzdienst von 1994 bestätigt dies. Sie beginnt mit einer einfachen Feststellung: "Die Militärdienstverweigererfrage beschäftigt unser Land seit anfangs dieses Jahrhunderts". Die obligatorische Wehrpflicht bringt automatisch die Frage mit sich, wie mit der Tatsache umzugehen ist, dass viele junge Männer* aus Gewissensgründen keinen bewaffneten Dienst leisten wollen, geschweige denn, in ihm irgendeinen Sinn zu sehen. Der Bedarf nach einem Ersatzdienst ist demnach so alt wie die Militärpflicht selbst.

Bis zu Beginn der 90er-Jahre konnten Militärdienstverweigerer* noch mit Haftstrafe und einem Eintrag ins Strafregister geahndet werden und waren so einer krassen Kriminalisierung ausgesetzt. Diese beschränkte sich nicht auf formelle Schikanen der Militärjustiz: Militärdienstverweigerer* wurden auch in der Gesellschaft als Landesverräter* betitelt, bekamen keine Anstellungen oder verloren ihre Jobs. Es brauchte zwei Initiativen - die sogenannte Münchensteiner-Initiative von 1977 und die Initiative für einen echten Zivildienst auf der Grundlage des Tatbeweises 1984 - bis im dritten Anlauf 1992 eine parlamentarische Initiative mit über 80 Prozent Ja-Stimmen angenommen und dieser Missstand behoben wurde. Die aktuellen verbalen Attacken auf die Zivis und ihre Fremdbezeichnung als "Abschleicher" und "Weicheier" lassen erahnen, dass die soziale Rehabilitierung der Zivildienstleistenden nicht nachhaltig genug war.


Referendum in den Startlöchern

Die Revision des Zivildienstgesetzes wird die strukturellen Probleme der Armee nicht lösen. Diese Tatsache macht die Unverhältnismässigkeit der geplanten Massnahmen noch absurder. Der Zivildienst muss - nebst all den wichtigen Leistungen, die sich aus ihm für die Gesellschaft erwirken - vor allem aus einem Grund möglichst niederschwellig zugänglich bleiben: Junge Männer, die aus Gewissensgründen keinen Militärdienst leisten können, dürfen weder dazu gezwungen noch deswegen diskriminiert werden. Die 1,5 mal längere Einsatzdauer der Zivildienstleistenden ist bereits einschränkend genug. Alle zusätzlichen Hürden für einen Wechsel sind weitere blosse Schikanen, die gefährlich stark an den Grundrechten der Betroffenen kratzen.

Die obligatorische Militärpflicht ist überholt. Sie abzuschaffen bleibt aber mit den aktuellen Mehrheitsverhältnissen im Parlament illusorisch. Solange der Dienstzwang besteht, braucht es den zivilen Ersatzdienst. Und damit dieser nicht unter fadenscheinigen Argumenten abgeschafft wird, braucht es einmal mehr die Allgemeinheit: Mehrere Organisationen, darunter die GSoA, CIVIVA und die Grünen, haben bereits angekündigt, dass sie gegen die Änderungen des Zivildienstgesetzes das Referendum ergreifen werden.

Magdalena Küng ist GSoA-Sekretärin in Zürich.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 31/32 - 75. Jahrgang - 4. Oktober 2019, S. 5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2019

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